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Griechenland - Der Traum von der Putzfrau, die den Staat regiert

Jede Köchin soll in der Lage sein, den Staat zu regieren, so formulierte einst Lenin den kommunistischen Traum von der Aufhebung der historischen Separation von Berufspolitik und Zivilgesellschaft. Der neue linke Regierungschef Griechenlands, Alexis Tsipras, hätte die Utopie in den Alltag herunterbiegen können. Er hätte die Sprecherin der 595 Putzfrauen, die für den Untergang der alten Regierung mitverantwortlich waren, ins Regierungsteam nehmen können, schlägt Augustin-Redakteur Robert Sommer vor.Eine Reinigungskraft als Ministerin – die neue Regierungspartei Syriza hätte ihre Vorbildwirkung, die auf der europäischen Ebene ohnehin unbestritten ist, potenzieren können. Eine Putzfrau an der Spitze, das wäre eine Maßnahme jenseits symbolischer Gesten geworden, jenseits jeder Instrumentalisierung der betreffenden Frau zu PR-Zwecken einer um geneigte Aufmerksamkeit ringenden Staatsführung. Denn die «595» – allen in Griechenland war sofort klar, wer damit gemeint war, wenn diese Zahl genannt wurde – wissen besser, wie die Politik funktioniert, als so mancher selbsternannte Revolutionär. Ihr einjähriger Widerstand gegen ihren Arbeitgeber, das griechische Finanzministerium, erwies sich als lehrreicher als jedes Politologiestudium.

Der Finanzminister der alten Regierung hatte der Troika versprechen müssen, einen Teil der im Ministerium Beschäftigten zu entlassen. Im September 2013 ereilte die 595 fest angestellten Reinigungskräfte das Schicksal der Suspendierung. Der griechische Journalist Wassilis Aswestopoulos beschrieb, wie sich die Regierung dabei verrechnete: «Bei allen Entlassungswellen gab es zunächst für ein paar Tage oder auch Wochen Streiks. Je länger die Arbeitskämpfe dauerten, umso mehr nutzte sich die Widerstandsfähigkeit der Geschassten ab. In einer schnelllebigen medialen Zeit setzte die Regierung bislang sehr erfolgreich auf den Effekt des nachlassenden Interesses. Offenbar schätzte die Regierung die Widerstandsfähigkeit der Reinigungsfrauen beim Finanzministerium eher gering ein.»

Troika wegfegen

Die entlassenen Putzfrauen erhoben ihre Berufsbezeichnung zum Adelstitel. Im Land wurde bekannt, dass erschreckend viele von ihnen Alleinerziehende sind und dass viele von ihnen über ein Bildungsniveau verfügen, das sie für «höhere» Berufe qualifizieren würde. Das Plakat der «595» wurde zur bekanntesten Graphik des Landes. Es zeigt eine erzürnte Putzfrau, die mit einem Besen Premier Antonis Samaras und Vizepremier Evangelos Venizelos in den Abfall befördert. «Wir machen für Euch sauber», lautet das Motto. Der (damalige) Finanzminister versuchte, die Bewegung mit Lügen zu denunzieren. Er sprach von einem «Luxusgehalt» der Putzfrauen. Die Betroffenen hängten ihre Gehaltsabrechungen vor das Ministerium. Die Gesellschaft erfuhr so, dass viele von den Frauen nicht einmal 500 Euro im Monat verdienten.

Aswestopoulos: «Statt angesichts des unterschätzten Gegners den Dialog zu suchen, reagiert die aufgeschreckte Regierung Samaras mit Gewalt. Sie ließ die vor dem Finanzministerium aus Protest kampierenden Putzfrauen ohne Vorankündigung brutal niederknüppeln.» Diese Frauen sind schrittweise «politisches Subjekt» geworden – sie symbolisierten den Widerstand gegen die Politik der Troika. Ganz allgemein wuchs im letzten Jahr die Beteiligung der Frauen an der Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung des Sozialstaates durch die Sparmaßnahmen massiv. Anfangs traten die Frauen nicht als «politisches Subjekt Frauen» in der Bewegung hervor. Sie hatten dieselben Forderungen und dieselben Kampfformen wie die Männer. Im Kampf gegen den Goldabbau in der Region von Skouries ließen sich erstmals geschlechtsspezifische Kampfformen erkennen. Die Putzfrauen legten in dieser Hinsicht ein Schäuferl nach. Sie spielten mit dem Klischee ihrer Bildungsferne: «Wir sind keine Dummköpfe, wir sind Putzfrauen», lautete einer ihrer Demo-Slogans.

Große Zeiten für Frauenversteher

Sie heißen Litsa, Despina, Georgia, Fotini, Dimitra … ihr Engagement war nicht umsonst. Die neue Regierung unter Alexis Tsipras verkündete wenige Tage nach der Regierungsbildung ihre Wiedereinstellung und sorgte damit für Jubel und Freudentränen. Wie groß aber wäre der Jubel gewesen, wenn zum ersten Mal in der Weltgeschichte ein Putzfrau mit an der Spitze des Staates stünde. Auch politische Freund_innen von Tsipras staunen über die männerbündlerische Ministerliste. Die merkwürdig frauenlose Linksregierung versetzt die reaktionärsten Politiker und Journalisten Europas in die Lage, als Frauenversteher zu posieren und Syriza auch mit «feministischen» Argumenten zu bekriegen.

Als Oberfeminist spielt sich Andreas Unterberger, ehemaliger Chefredakteur der «Presse» und der «Wiener Zeitung«, auf: «In ganz Westeuropa wird die Tatsache ignoriert, dass sich unter den neuen griechischen Ministern keine einzige Frau befindet. Würde das bei einer nicht linksradikalen Regierung passieren, hätten wir bereits große Demonstrationen dagegen. Bei Syriza schweigt man aber auch darüber lieber. Die Linken sind verlogen bis in die Knochen. Aber alle Linksmedien haben tagelang gejubelt, dass die neue griechische Regierung nach zwei Tagen schon angelobt worden ist. Als ob das der wichtigste Aspekt wäre.» Nein, viel wichtiger wäre die Geschlechterparität, suggeriert Unterberger damit.

Aber bitte vorerst nur in Athen…