Augustine haut abArtistin

Wie kann man sexualisierte Gewalt in Bilder übersetzen, ohne sie zu verstärken?

Die Linzer Tagung «Kicking Images» erforscht Bilder zu sexualisierter Gewalt. Kerstin Kellermann hat sich dort umgehört und mit der Künstlerin Letizia Werth über ihre Graphitzeichnungen von Frauen in psychiatrischen Zwangssituationen gesprochen.

Zeichnung: Letizia Werth

«Viele Frauen, die aus ihren Familien abgeschoben wurden, Alkoholikerinnen, Epileptikerinnen und die, die man loswerden wollte, oder einfach Frauen mit Problemen kamen im 19. Jahrhundert in das Hôpital de la Salpêtrière in Paris», sagt die Wiener Künstlerin Letizia Werth. «Aber auch solche Frauen, die sexuelle Gewalt erleben mussten, und die nach einem traumatischen Erlebnis aufgehört hatten zu sprechen.» Die Salpêtrière war Armenhaus, Gefängnis und die erste Psychiatrie gleichzeitig. Vorher war das Gebäude eine Waffen-Schwefel-Fabrik, heute ist es noch immer ein Krankenhaus.

Ab 1882 führte der berühmte Arzt Charcot in Paris seine Hysterie-Patientinnen in einem eigens gebauten Amphitheater jeden Donnerstag innerhalb seiner Vorlesung vor. Sie hatten live «hysterische Anfälle» vor den Studierenden. «Die Patientinnen erhielten Erleichterungen, wenn sie gute Darbietungen boten», meint Werth, die die zeitgenössischen Fotos dieser Frauen dermaßen beeindruckten, das sie die dargestellten Posen mit grauem Graphit nachzeichnete. Sie möchte erspüren und nachvollziehen, was hinter diesen «Hysterie-Performances» steckte. «Auch Sigmund Freud war zu Besuch im Hôpital de la Salpêtrière. Aber die Debatte darüber, warum Menschen auf einmal seltsam oder anders sind, entstand erst viel später. Heute gibt es die Diagnose der Hysterie nicht mehr, damals dachte man an eine wandernde Gebärmutter, die Störungen verursache.»

Die Bilder-Serie von Letizia Werth hat eine starke Ausstrahlung. Man spürt, das hier irgendetwas schief läuft, kriegt aber nicht genau klar, was es ist. Die seltsamen Bilder beschäftigen einen innerlich noch lange. «Die Bilder sind für mich gewalttätig. Wie eine Frau in einen Rahmen gepresst wird. Die Frauen haben Nummern, tragen Bezeichnungen. Sie wirken wie hineingepresst in den hysterischen Bogen.»

Der Täter gerät aus dem Blick

Es sei schlichtweg nicht möglich, andere, neue Bilder zum Thema «sexualisierte Gewalt» hervorzubringen, weil die Gewalt bereits in den Beginn der Fotografie und des Films eingeschrieben sei, sagte die erste Vortragende auf der Tagung an der Linzer Kunstakademie. Damit führte Kerstin Schroedinger das Motto der Tagung «Kicking Images», den in den Medien verbreiteten Bildern zu sexueller Gewalt den Kampf anzusagen und neue Bilder zu schaffen, allerdings irgendwie ad absurdum. «Die allerersten Fotobilder kommen aus der sexualisierten Gewalt, aus den pathologisierten Körpern von Frauen. Als sich das Kino formiert, schreibt sich die Salpêtrière in die Materialität ein», analysiert Schroedinger. «Die Machtverhältnisse werden in die Blickverhältnisse eingeschrieben. Wie wird der Schmerz und die Unaussprechlichkeit der Gewalt vor unserem Blick ins Werk gesetzt? Es verschiebt sich die Blickrichtung. Schmerz hat einen Verursacher! Und der Täter gerät aus dem Blick durch die Kamera auf die Frau, die Patientin.»

Schroedinger zeigt einen eigenen Film, ein Filmexperiment vor, in dem ein Raster auf einen unscharfen Körper gesetzt ist. Das Raster bewegt sich, «lebt» durch die Bewegung des Körpers. Unscharfe Figuren mit einem Licht in der Hand, alles verschwimmt Grau in Grau. «Wenn sich das Objekt zu schnell bewegt, verschwindet es vom Film, es entstehen Streifen, Unschärfen, Freeze-Movements», erklärt sie. Das störe die «Kamera-Maschine», die Langzeit-Belichtungen, den «maschinisierten Blick und die vermessende Beobachtung». «Die Fuge» heißt ihr Film, das bedeutet Flucht und bezieht sich auf eine Musik-Kompositionstechnik, bei der Motive von anderen Instrumenten aufgegriffen

werden. Eines der wenigen Modelle, das immer wieder dargestellt wurde, mit Namen Augustine, verschwand eines Tages aus der Salpêtrière. Augustine verkleidete sich als Mann, entging den Wächtern und verschwand für immer. Genug der unfreiwilligen Performances vor Doktoren. Sie machte die Fuge, sozusagen.

Große Geste mit Zwangsjacke

Schroedinger redet von dem «Zwang auf eine Frau, ein Bild zu sein oder ein Bild zu werden». Die eingesperrten Frauen durften sich bei einem hysterischen Anfall nicht bewegen, um das Foto des Arzt-Fotografen nicht zu zerstören. Es entstanden in Folge seltsame Starrheiten und Verkrampfungen. Die Fotos zeigten große Gesten ohne Bewegung und stellten den pathologischen Blick auf die jeweilige Frau erneut her. Eine Statue des lebendigen Schmerzes mit oder ohne Zwangsjacke wird fabriziert. Eine Art Pathologie-Flash, egal wodurch die Frau in diesen Zustand geraten war. «Das eigentliche Element des Kinos ist die Geste und das Stottern», sagt Schroedinger. «Durch die Hysterie und die Übertreibung wollen sich die Frauen genau die Gesten wieder zurückholen, die ihnen durch die Gewalt verloren gingen. Das wird im Stummfilmkino nachgeahmt.»

«Man wollte mit Hilfe der Fotos die Gesten dokumentieren und die inneren Zustände einer Frau darstellen, sozusagen das Unsichtbare fotografieren, von außen wissen, was innen passiert», erklärt Letizia Werth in Wien. «Das, was in einem Menschen ist, sieht man nur, wenn der tot ist. Nun glaubten sie, sie könnten von außen erkennen, was die Seele bei Hysterie tut. Die Hysterie galt als Lösung für alle Merkwürdigkeiten. Die Frauen hatten ja keine äußere Wunde an sich. Es hat nie jemand Stellung bezogen zu diesen merkwürdigen Foto-Praktiken.»

Der tollen Linzer Tagung, die einen weiten Bogen von Comic-Bildern zur Erotik der Dominanz in Kriegen bis zu Soundinstallationen spannte, aber auch die Analyse von TV-Sendungen (zu Natascha Kampusch!) bot, ging laut der Medienprofessorin Angela Koch das Geld aus, eine entsprechende Ausstellung zu organisieren. Die wird hoffentlich noch nachgeholt.

Literaturempfehlung:

Georges Didi-Huberman: Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Marie Charcot, Wilhelm Fink Verlag 1997