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Schnarrendes Herz zersägt die Zeit

«Verloren im bebenden blauen / schattigen Schilfe ein Taucher weint. / Da erschreckt sich dein Herz so, als wär es gemeint / und erwartet von jeglichen Dingen. / Und leise beginnt es zu singen.»

Mit fünfzehn, als ich noch plante, eine berühmte Malerin zu werden, und meine Karriere mit dem Kopieren der Werke meiner Vorgänger_innen begann, malte ich auf einer überdimensionierten Schichtholzplatte das Berg’sche Lavant-Holzschnittporträt vom Cover der «Bettlerschale» ab und signierte redlicherweise: «Berg/Bolyos».

 

Fast zwanzig Jahre sind vergangen, bis ich (aus der keine Malerin wurde) nun von der intensiven künstlerischen Freundschaft und der nicht gerade heilsamen Liebesbeziehung zwischen Christine Lavant und Werner Berg lese, und davon, dass Lavant selbst beim Otto Müller Verlag durchsetzte, dass sie fortan, holzschnittartig durch die Augen ihres Freundes gesehen, vom Umschlag ihres Gedichtbandes glotzen würde. Spinnfadenartige Verbindungen tun sich auf zwischen diesem Blick und einer von Lavants unprätentiösesten Gedichtzeilen: «Mir tut auch nur der halbe Schädel weh.»

Christine Lavant (1915-1973), aufgewachsen als Christl Thonhauser in St. Stefan im Lavanttal, Tochter einer Flickschneiderin und eines Bergmanns, Kind der Kargheit und des ständigen Krankseins, schrieb achtzehnjährig, von einem kurzen Intermezzo in einer Haushaltungsschule an die Lavant zurückkehrend, in einem Brief an eine Freundin: «Anfangs freilich schien es mir unmöglich, als so ein verlassenes Schaf weiterzuleben, und da hab ich halt drauflos gedichtet, daß es ein Jammer war.» Ihre Gedichte, in denen Plurale wie «schönere Glücke» der Leserin zum schöneren Glück gereichen, in denen selbstbewusst mit Schutzengeln gedealt und mit Gott gehadert wird, und deren Anfänge Lavant rückblickend selbst «rilkisch» und «olls lei Kas» nennt, kamen an: erst in Lokalzeitungen, dann bei diesem, jenem Verlag, schließlich in der österreichischen Literaturszene. Es war unter anderem Thomas Bernhard, der sich in Christine Lavants Dichtung verfangen hatte. Kein Wunder, liest man so etwas: «Hinter meiner Rippenfalle / schnarrt das Herz, die Wiesenralle / und zersägt die Zeit.»

Bei Wallstein wurden nun in Band I von geplanten vieren die «zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte» gesammelt und kommentiert herausgegeben.

Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentliche Gedichte

Mit editorischem Kommentar und Nachworten von Doris Moser und Fabjan Hafner

Wallstein Verlag 2014, 720 Seiten, 39,10 Euro