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Kunst und Magie

Hexen, Vampire, Tarot: Das magische und das Okkulte sind in der Kunst derzeit Thema. Was das mit kollektiver Utopie, ­realer Politik und feministischem ­Widerstand zu tun hat, haben sich Julia Grillmayr und Ruth Weismann im Kunstraum Niederösterreich und in einem Workshop angeschaut.

Foto: Die Arbeit «Metal Goddess» von Roxanne Jackson

Eine Gruppe von Frauen schreitet den Raum ab. Zu den Wänden gerichtet klatschen sie in die Hände, besonders die Ecken werden abgeklatscht. Ein glühendes Bündel weißer Salbei wird geschwenkt, der Boden mit einem breiten Besen gekehrt. Schließlich bleiben sie vor der geöffneten Tür stehen und zeichnen mit ihren Zeigefingern Pentagramme in die Luft. Als dann die Tür geschlossen wird, ist der Raum von schlechter Energie gereinigt und geschützt.

«Spelling it like it is – Zaubersprüche für Feministinnen», unter diesem Titel zeigten Katharina Brandl und Johanna Braun beim Rrriot-Festival Anfang März, wie sich zeitgenössisches Hexentum äußern kann. Sie selbst beschäftigen sich mit Hexerei im Kontext von zeitgenössischer Kunst. Ende März wurde dann die Ausstellung «Magic Circle» im Kunstraum Niederösterreich eröffnet, die Kunstwissenschaftlerin Katharina Brandl zusammen mit Künstlerin Daniela Brugger kuratiert hat. Die Schau versammelt Werke von 14 Künstler_innen, die sich viel mit queer-feministischer Widerstandskultur auseinandersetzen und aus diesem Kontext heraus mit Phänomenen wie Symbolik, Magie, Okkultismus, Popkultur und eben der Figur der Hexe.

Gegenwissen.

Johanna Braun hat für diese Schau die Wandarbeit Thou Shalt Not Suffer a Witch to Live (On Mass Hysteria II) gestaltet, auf der sie Zeitungsartikel, Filmplakate und andere Schrift- und Bildstücke zu einer zwischen schwarzem Brett und Punk-Ästhetik angesiedelten Collage zusammengestellt hat. Unter anderem hat sie untersucht, wie der Begriff Hexenjagd in Europa und den USA (engl.: witch hunt) wieder vermehrt verwendet wird – und zwar von Seiten der politischen Rechten. Im Zuge der #MeToo-Debatte zeigten sich einige Personen von der von ihnen als solcher empfundenen Hexenjagd auf wegen sexueller Übergriffe beschuldigte Männer empört. Und auch Trump hat den Begriff schon gebraucht, um Kritik an seiner Präsidentschaft zu delegitimieren.

Im Grunde geht es dabei vielfach um die Frage, welches Wissen wann wer hat und haben darf, erläutern die beiden Kuratorinnen. Denn auch bei den realen Verfolgungen von «Hexen» in früheren Jahrhunderten ging es nur vordergründig um Blasphemie – es ging um das Ausschalten von Gegenwissen und «Geheimwissen», vor allem um jenes, das Frauen hatten, die sich gesellschaftlichen Normen nicht fügen wollten. Diese als gefährlich zu brandmarken, als ­«Monster» abzustempeln, ist Teil der Mythenbildung.

Pop und Lohnarbeit.

Der Mythologisierung widmet sich auch Künstlerin Roxanne Jackson, die spektakuläre Keramiken von Bestien-Händen entworfen hat, mit Fell, als Kerzenhalter, zwischen Kitsch und Eleganz. Welche Ästhetik, welche Zeichen verbinden wir mit dem Gefährlichen, dem Unheimlichen, und warum verbinden wir genau das oft mit dem Weiblichen und dem Erotischen? Popstars etwa sind gute Charaktere, um dies zu untersuchen, sind sie doch auch von Mythenbildung umgeben. Künstlerin Karin Ferrari zeigt in der Ausstellung ihr Video DECODING Katy Perry’s Dark Horse (THE WHOLE TRUTH), das die Popsängerin Katy Perry als Trägerin von Symbolen konstruiert, die Ferrari in flashig-farbiger Verarbeitung einem «okkulten Close-Reading» unterzieht. Sie bedient sich dabei des Stils von verschwörungstheoretischen Videos auf YouTube, die «die ganze Wahrheit» über irgendwelche Phänomene – ob Hillary Clintons Ohnmachtsanfall oder Chemtrails – versprechen. Auch hier steht die Frage im Raum, wie Wissen erzeugt und (medial) vermittelt wird. Wie «echte» Verschwörungstheorie- und «fake news»-Videos sind Karin Ferraris Arbeiten ebenfalls auf YouTube, auf ihrem Kanal TR4SH M4GIC TV zu sehen.

Ein Video, das stilistisch gänzlich anders, nämlich reduziert ruhig und in realem Setting, beschaffen ist, zeigt Performer_innen, die in einer seit rund zehn Jahren stillgelegten Holz-Werkstatt in der Südoststeiermark Körper-Figuren inszenieren. Der zweite Teil zeigt das Gebiet um einen ehemaligen Grenzposten zwischen Österreich und Slowenien. Künstlerin Veronika Eberhart, die den Film auch kürzlich bei der Diagonale in Graz zeigte, beschäftigt sich hier mit den realen Hard Facts von verschwindenden Industrien und Arbeitsplätzen, von Grenzen und Landnahme, und verknüpft diese mit den Soft Skills des Entwickelns von kollektiven Praktiken und magischen Ritualen.

Auch in der Ausstellung zu sehen: Hexen 2.0 – ein Tarot über die Geschichte der Kybernetik von Suzanne Treister, bei dem Technikgeschichte und der Beitrag von Frauen dazu neu verknüpft werden können.

Magische Utopie.

Natürlich markiert der gegenwärtige Trend zu Magie und Ritual auch eine gefühlte Ohnmacht vor politischen und klimatischen Verhältnissen, aus der mit so manch erprobter, harter Arbeit nicht auszubrechen ist. Nun also mal mit Zauberei versuchen. Andererseits geht es auch um die Aktivierung von freier Fantasie: Wie kann Gemeinschaft entstehen, wie können wir die Zukunft anders denken? Wie können wir wirklich noch richtig utopisch sein?

Auch in einem künstlerischen Kontext verlangt das Thema daher eine historische und politische Perspektive, wie Brandl und Braun in ihrem Workshop betonen. Bevor sie über feministische Zaubersprüche reden, ist es ihnen daher wichtig, ihren Zugang zu solchen Praktiken zu erläutern. «Die Art und Weise, solche Rituale zu machen, ist aktuell sehr präsent im Kunstbereich – und wird auch oft kritisiert», erklärt Brandl. Und tatsächlich sei es ein politisches Problem, wenn man sich zum Spaß Praktiken von Menschen aneignet, die historisch im schlimmsten Fall am Scheiterhaufen gelandet seien.

Eine gewisse geschichtliche Sensibilität sowie Respekt ist also notwendig. Ein weiterer Balanceakt in dieser Auseinandersetzung ist, wie man sich zu den Wirkungsweisen von Hexerei positioniert. «Wir haben uns damit auseinandergesetzt, wie Witchcraft und Zaubersprüche in künstlerischer Praxis Einzug finden. Gleichzeitig sagen wir nicht, dass das, was wir hier tun, nicht echt ist», sagt Katharina Brandl, bevor die Workshop-Teilnehmerinnen in einem Sesselkreis Platz nehmen, der durch dreimaliges Drumherum-Gehen und eine Salz-Spur zum geschützten Ort gemacht wird.

Auch wenn solche Rituale nicht in einem spirituellen, sondern einem künstlerischen Rahmen praktiziert werden, heißt das nicht, dass sie automatisch ironisch oder sinnbefreit sein müssen. «Weil solche gemeinsamen solidarischen Aktionen auch einen realen Nutzen haben können», meint Johanna Braun.

Auf eine solche aktivistische Wirkung des okkulten Rituals setzen auch der Schriftsteller Michael M. Hughes und die Künstlerin Linda Stupart, deren Zaubersprüche bei ­dem Workshop «Spelling it like it is» gemeinsam gelesen wurden. Hughes schrieb mit «A Spell to Bind Donald Trump» eine Anleitung für das Verhexen des amerikanischen Präsidenten und gegen seine destruktive Politik. Tatsächlich fanden sich an ausgemachten Terminen zahlreiche Menschen zusammen, um das beschriebene Ritual durchzuführen. Stupart schrieb diverse Sprüche gegen männliche/weiße/heterosexuelle Dominanz in der Kunst. Außerdem lasen die Workshop-Teilnehmerinnen Stuparts Zauberspruch gegen rein männliche Konferenz-Panels – und fanden sofort mögliche Gelegenheiten zur Anwendung.

Diese Zaubersprüche sind nicht bierernst, sondern mit Humor versetzt (das Ritual gegen Donald Trump etwa beinhaltet einen orangenen Kerzenstummel). Sie machen sich aber nicht über die Praxis der Hexerei lustig, sondern nutzen deren Potenzial für politischen Aktivismus: ein gemeinsamer Sprechakt, der Empowerment verspricht.

Der Zauberspruch gegen Donald Trump gibt einen Hinweis, wie man seine reale Wirkmacht entfalten kann. Er fordert dazu auf, nach abgeschlossenem Ritual klischee-hexenhaft, lautstark, sich schüttelnd über den Präsidenten zu lachen – denn sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen beziehungsweise Selbstkritik zu üben, sind bekanntlich ganz reale Schwachpunkte des in diesem Fall zu Verhexenden.

 

Ausstellung:

Magic Circle,

Kunstraum

Niederösterreich.

Bis 15. Mai, ­

www.kunstraum.net