«Ich war immer ein linkes Mädchen»Artistin

Erni Mangold über Erotik im Alter, späte Liebe und Frauensolidarität im Backstagebereich

Erni Mangold ist eine ziemlich «wüde Henn», zuletzt hat man sie schwer bewaffnet im Münchner Tatort gesehen, jetzt lässt sie im Film «Der letzte Tanz» die Hüllen fallen und hat mit 87 Jahren ihre erste Sexszene gedreht. Im Augustin-Interview erzählt die Wahlwaldviertlerin übers Verliebtsein, über spinnerte Wiener_innen und über ihr Faible für junge Leute.

 

Foto: Christian Sturm

Die Liebesgeschichte zwischen einer pflegebedürftigen alten Frau und einem jungen Zivildiener hat ein enormes Medienecho ausgelöst, sicherlich nicht zuletzt wegen der Sexszene zwischen Ihnen und Daniel Sträßer am Ende des Films.

Ich hab, glaub ich, das zwanzigste Interview mit dem Thema. Für mich stellt sich die Geschichte zwischen den beiden so dar: Er ist angezogen von dieser Frau, die so eine Spitzbübigkeit hat, so verschieden ist und so schillernd. Das hat ihn sehr angemacht und ihn da hineingezogen. Ich hab es als Geschenk empfunden von seiner Seite an diese alte Frau.

Es scheint aber schon ein großes Tabuthema zu sein, auch wenn es eigentlich nur eine Abwandlung des Romeo und Julia-Motivs ist – eine Liebe unter widrigsten Umständen.

Naja, für dich vielleicht. Es ist so, dass es für jüngere Leute ein anderes Bild ergibt als für alte. Die Alten haben Schwierigkeiten damit. Weil sie sagen: «Muss das denn sein? Es ist doch so schön, und alles ist so lieb und dann muss d a s sein?» Und haben da ein bisschen Schwierigkeiten. Die haben die Jungen mit dem Film und der Sexszene nicht.



Ist es eigentlich im Film oder im Theater leichter, Erotik zu zeigen?


Im Theater hab ich das sowieso überhaupt noch nicht gemacht, und im Film ist es eigentlich nur 08/15, eine völlig coole Sache, da kann man ein Butterbrot dabei essen.

Das Kokette, Spitzbübische und Verführerische kommt in Ihren Rollen oft vor.

Naja, ich bin eine sinnliche Person und hab auch eine erotische Ausstrahlung, die hab ich mir anscheinend erhalten, die geht auch nimmer weg – die bleibt mir (lacht).

Würden Sie sagen, dass Sie sich leicht verlieben?

Leicht verlieben? Das hat man, wenn man jung ist. Knapp nach dem Krieg war das so, wo man halt plötzlich eine ganz andere Zeit hatte, man konnte sich auf die Jugend einlassen und hat nicht mehr so diese grausige schreckliche Diktatur im Rücken gehabt, die für mich hässlich war. Ich hab nach dem Krieg ziemlich pubertär gelebt, Liebe war mir dabei gar nicht so wichtig, sondern eher mehr das Abenteuer und das Lustigsein, und man hat sich frei gefühlt plötzlich. Was sowieso bald wieder vorbei war, weil man gemerkt hat, dass die alten Nazis eh schon wieder dran sind.

Liest man in Ihrer Biographie, wirken Sie immer sehr unangepasst und aufmüpfig, in Ihren Rollen waren Sie aber am Beginn Ihrer Karriere das «Sexerl» vom Dienst, der fesche Aufputz. Heute sind Ihre Rollen wesentlich spröder.

Am Anfang meiner Karriere wurde ich als Männerfantasie ausgenutzt und heute auch in gewisser Weise. Houchang Allahyari sagte, es hätte nie jemand anderer diese Rolle spielen können, weil ich immer noch so eine gewisse Mädchenhaftigkeit hab, ohne dass ich die aufsetzen muss, ohne dass ich auf jung tun muss, weil das tu ich gar nicht.

Sie schreiben in Ihrer Biographie, dass Sie für die 68er Generation schon zu alt waren. In Ihren politischen Ansichten und in Ihrer Lebenshaltung haben sie deren Ziele und Anliegen aber schon lange vorher gelebt.

Ich war immer ein linkes Mädchen, klarerweise. Obwohl man heute das alles mit einem wehen Auge sieht, was da in der Politik passiert, deshalb hab ich mich ein bisschen für die NEOS entschieden, obwohl die etwas machen, was ich auch nicht so gern hab – die liberale Wirtschaft -, mir wär die soziale lieber.

Frauensolidarität und Unterstützung ist Ihnen ebenfalls ein wichtiges Anliegen, würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Ich würd mich selbst – um ein dummes Wort zu sagen, das es eigentlich gar nicht mehr gibt – als emanzipiert bezeichnen. Aber diese Emanzipation hat erst mit 55 Jahren eingesetzt durch den Unterricht im Reinhardtseminar, durch die Männer dort, die mich sehr gequält, gekränkt und geärgert haben. Und da hab ich begonnen, mich auf mich selbst zu besinnen.

Haben es Frauen heute leichter als damals?

Ja, ich glaub schon, dass sie es leichter haben. Erstens mögen sie sich untereinander, was früher nicht der Fall war, was ich sehr schade fand und worunter ich sehr gelitten hab, weil ich eigentlich keine Freundin hatte, weil die haben mich alle nicht gemocht, ich war Konkurrenz. Erst heute hab ich Freundinnen, die sind aber alle sehr jung. Die Gespräche mit alten Leute halt ich nicht aus: «Es war ja alles früher so viel besser!», schrecklich!

Wären Sie selbst gerne nochmal jung?

Wenn ich jung wäre, würde es mir sehr gefallen, jetzt zu leben, weil es sehr kämpferisch geworden ist und die jungen Leute sich irrsinnig auf den Hosenboden setzen.

Hollywoodstars fragt man das immer, wenn Sie eine Sexszene gedreht haben: Sind Daniel Sträßer und Sie sich auch privat näher gekommen?

(lacht) Nein, nicht eine Sekunde! Ich hab das überhaupt nie gemacht. Es gab so viele Filme, aber ich hab das nicht gemacht, ich hab mich auch nie verliebt, nie, ich fand das saublöd.

Einige Szenen im «Letzten Tanz» spielen auf den Steinhofgründen, für die Sie sich auch privat sehr einsetzen.

Ich find das so schlimm, das wunderschöne Theater ist sowieso schon kaputt, jetzt haben sie einen Zaun rundherum gezogen und eine Baustelle hingestellt, die kein Mensch braucht. Es sollen Wohnungen errichtet werden – aber nur für die Reichen, weil ein anderer kann sich das dort sicher nicht leisten.

Sind Sie eigentlich mehr ein Land- oder ein Stadtmensch?

Als ich jung war, hab ich die Stadt genossen, von oben bis unten. Heute hab ich von der Stadt so die Nase voll. Diese ganze Selbstdarstellung, die da in Wien stattfindet, geht mir am Nerv, überhaupt die ganze Seitenblicke-Schickeria. Das ist nicht meins, ich fühl mich bei den Waldviertlern wohler, da führt man Unterhaltungen und keinen Small Talk. Da geht’s um normale Sachen und nicht um Spinnereien.

Interview: Christine Ehardt, Fotos: Christian Sturm

Christine Ehardt ist Theater-, Film- und Medienwissenschafterin und arbeitet als freie Theaterkritikerin und Uni-Lektorin in Wien

Der letzte Tanz

Bei der diesjährigen Diagonale wurde Regisseur Houchang Allahyaris Drama als bester Spielfilm ausgezeichnet. Erni Mangold erhielt für ihre Rolle als depressive Geriatriepatientin den Schauspielpreis – ihren ersten Filmpreis. Die Diagonale-Jury würdigt in ihrer Begründung einen Film, der «mit großem Mut ein aktuelles Thema aufgreift» und meint damit: Alter, Krankheit, sexuelle Zuneigung und die Schwierigkeiten unserer Gesellschaft, all das zusammenzudenken. Zum Plot: Der Zivildiener Karl (Daniel Sträßer) lernt Julia (Mangold) auf der Pflegestation kennen, sie gilt als demente widerspenstige Alte, er ist der fürsorgliche Pfleger mit einem besonderen Gespür für alte Leute. Dass sich daraus eine unorthodoxe Liebesgeschichte entwickelt, die auch körperliche Anziehungskraft mit einschließt, ist spannend erzählt und völlig unpeinlich in Szene gesetzt. Im Film hat dieser kurze Liebesakt ein gerichtliches Nachspiel, und Karl muss dafür in Haft. Zwischen monochromen Bildern der Verhaftung und der Gerichtsverhandlung wechselt Allahyari in eine farbenfrohe Vergangenheit, in der sich seine beiden Protagonist_innen immer näher kommen.