Notizen zur OhrfeigeArtistin

Darf man Machtausübende schlagen?

Wann immer Hubsi Kramar sich öffentlich an Hermann Schürrer erinnert, den vor 20 Jahren verstorbenen Wiener Boheme-Schriftsteller, ist von zwei biografischen und folgenreichen Ohrfeigen die Rede. Die eine empfing ein Polizist, die andere ein Repräsentant der vormundschaftlichen Psychiatrie. Als kürzlich eine der seltenen Hommagen an Schürrer angesagt war, kam neben Kramar und weiteren überlebenden Begleitern des „schwierigen“ Dichters auch der Wiener Pädagoge Claudius Loner zu Wort – mit folgendem Exkurs über die Ohrfeige.Stellen wir uns zunächst folgende Frage: Wem würden wir gerne eine Ohrfeige geben? Sollte sich die betreffende Person in Reichweite befinden, dann bitte ich Sie, zunächst davon Abstand zu nehmen, augenblicklich zur Tat zu schreiten.

Stellen wir uns vielmehr (in Gedanken) die weiterführende Frage: Aus welchem Grund möchte ich die Person/Personen ohrfeigen?

Sind es mehrere potentielle Opfer -und es gibt ab einem gewissen Alter wenig, was dagegen spräche-, so lassen wir diese vor unserem geistigen Auge, bzw. der imaginären Schlaghand, Revue passieren. Ordnen wir sie nach Alter, Geschlecht, körperlicher Verfassung und (last but not least) sozialem Stand oder Verwandtschaftsverhältnis! Wir werden schnell bemerken, dass es unweigerlich zu Umschichtungen kommt.

Da Rundumschläge meist wenig zielführend und jedenfalls in ihrer Wirkung stark eingeschränkt sind, gilt es, eine Auswahl zu treffen und Prioritäten zu setzen. Die sich nun aufdrängende Chronologie der „Ohrfeigen-Ereignisse“ lässt sich nicht ohne klare Planung festlegen.

Nur, was sind unsere Kriterien?!

Es ist – das sei unsere Arbeitshypothese! -so wie mit dem Zynismus: Er zeugt entweder von einer Position der Stärke oder entspringt der Notwehr jener, die schon an der Wand stehen! Dieselben Beweggründe lassen sich auf dem Gebiet des Ohrfeigens feststellen.

Wenn einem „die Hand auskommt“, dann um zu züchtigen, zu strafen, oder als Ausdruck der Ohnmacht, weil die Ebene der Worte versagt und der impulsive Reflex es so will.

Aus welchem Grund sollten, wollten, könnten oder dürften wir ohrfeigen?! Langen wir also ungehemmt drauf los?! Sachzwänge mischen sich ein („Wir wollen uns doch nicht die Karriere versauen!“), moralische Normen drängen sich dazwischen („Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem andern zu!“), Ängste keimen auf. Wir fragen uns: Was ist, wenn die zurückschlagen?!

Die Erfahrung lehrt: Wer Ohrfeigen austeilt, muss auf Rückschläge gefasst sein!

Stärker als alle subjektiven Einwände und Erwägungen ist das, was bereits vor uns da gewesen ist: die hierarchische Struktur unserer Gesellschaft, die „alle Stückeln spielt“, nur nicht die Umkehr von OBEN und UNTEN, von Erniedrigern und Erniedrigten, nur nicht die Wahl der gleichen Waffen, die uns spätestens seit der Französischen Revolution theoretisch zustehende Gleichberechtigung!

„Alle Bürger sind gleich“, es sind nur eben nicht alle Bürger! Und jene Frau, die die Menschenrechte durch Frauenrechte zu ergänzen gewagt hat, ist unter die Guillotine gekommen. Wir wollen nicht kleinlich sein, gegendert wurde Ende des 18. Jahrhunderts noch lange nicht, -geohrfeigt sehr wohl! Sich auf die Tradition zu berufen ist ein beliebtes Mittel der Scheinargumentation. Hier ein Zitat aus dem Zeitalter der Aufklärung: Aus Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon, dem größten Lexikon des 18. Jahrhunderts.

ALAPA, eine Ohrfeige, ist ein Schlag mit ausgestreckter Hand auf des andern Gesicht […].

Also wenn ein Mann seine Frau erstlich mit Worten strafft, sie aber die Warnung ihres Mannes nicht in Confideration[1] ziehet, so kann er ihr auch wohl eine Ohrfeige geben, jedoch darff er hierinnen nicht excediren[2], und kann eine Frau wegen einer Ohrfeige, so ihr der Mann gegeben, nicht auf die Ehescheidung klagen, besonders, wenn sie schuld dran ist. Ist sie hingegen nicht schuld dran, so wird der Mann seines Ehe-Rechts beraubt, und wenn er excedirt, kann auch wol die Scheidung von Tisch und Bette darzu kommen […].

So wird auch ein Sohn, wenn er einen andern schlagen wolte, aus Irrthum aber seinen Vater mit einer Ohrfeige regalirte[3], dieserwegen nicht enterbet, weil er nicht den Willen gehabt, den Vater zu schlagen; zumahl, wenn er es dem Vater gleich abbittet […].

Wenn sich hingegen eine Frau, dem Manne Ohrfeigen zu geben, unterstehet, so kann er ihr auch mit dergleichen begegnen, auch noch wohl mit einer gelinden Übermaaß […].

Von Schürrers Ohrfeigen zu Godins Torten

Schürrers Ohrfeigen wurden als Fortsetzung seiner machtkritischen Literatur mit außerliterarischen Mitteln rezipiert. Die erste Watsche, Anfang der 50er Jahre, erhielt ein Polizist. Das war zu einer Zeit, als Schürrer sich bemühte, an der Uni Wien ein Doktorat zu erlangen. Wegen der Ohrfeige wurde er vor den akademischen Senat geladen. Schürrer erschien nicht – und wurde in Abwesenheit von allen österreichischen Hochschulen relegiert. Die zweite Watsche teilte er laut Reinhard Priessnitz im Café Savoy, einem ehemaligen Gammler-Café in der Wiener Innenstadt, aus: Schürrer hatte den Sohn von Primar Dr. Gross geohrfeigt, als ihm dieser zu verstehen gab, er werde, sollte Schürrer jemals wieder in eine Anstalt eingeliefert werden, dafür sorgen, dass dies lebenslänglich geschehe. Schürrer hatte ihn zu dieser Drohung mit einigen abfälligen Bemerkungen über die Psychiatrie provoziert.

Die Behandlungen, die ihm später im „Irrenhaus“ abgereicht wurden, ließen Schürrer vermuten, dass er für diese Ohrfeige büßen musste. Schürrer wusste, dass er am Steinhof von Leuten drangsaliert wurde, die eigentlich längst aus dem Verkehr gezogen sein müssten, weil sie die Kontinuität der NS-Psychiatrie und des Euthanasiesystems der Nazi verkörperten. Dass gegen NS-Arzt Heinrich Gross, von 1962 bis 1981 Primarius auf der Baumgartner Höhe, überhaupt ein Verfahren wegen Mordverdachts eingeleitet wurde, ist einer der posthumen Siege des Dichters. Die Irrenärzte seien die furchtbarsten Feinde der Individualität, da sie die Einordnung in die Gesellschaft, die zweifellos korrupt und verrottet ist, erzwingen, indem sie die Zukunft exekutieren, die Gegenwart kasernieren; die Phantasie werde zum Krankheitssymptom, schrieb er in seinem autobiographischen Roman „Europa – Die Toten haben nichts zu lachen“. Er musste dem Sohn des Primarius eine Ohrfeige geben, dass es ihn vom Barhocker runterkippte, erklärte er in diesem Buch, denn die Drohung, einer werde nie mehr aus dem Irrenhaus herauskommen, sei „die gefährlichste Drohung, die in unserer aufgeklärten Zeit möglich ist“.

Der Literaturwissenschaftler Rüdiger Wischenbart stellte anlässlich der Schürrer-Hommage, die der Aktionsradius Augarten im April veranstaltete, die beiden Ohrfeigen gegen Macht-Proponenten in die Nähe der moderneren und mediengerechteren Tortungen. Eben hatte Bernard-Henri Levy zum siebten Mal eine Sahnetorte ins Gesicht bekommen. Levy ist in Frankreich für sein Styling, für seine fernsehquotengerechte Philosophie und für seinen Tortenrekord bekannt. Bei seinem aktuellen Auftritt im Pariser Salon du Livre bekam er gleich zwei Tortungen nacheinander. Dazwischen hatte er nur Zeit, das Hemd zu wechseln. Niemand wurde bisher mehr als einmal von Noel Godin und seinen Anhängern mit einer Torte beschmissen. Die lose Gruppe um den 60-jährigen Belgier, die sich „Torten-Internationale“ nennt, hat es sich zum Ziel gemacht, Prominente, die „zu viel Selbstbewußtsein und zu wenig Humor“ besitzen, einzutorten. Godin, Verfasser der Werke „Anthologie der bewaffneten Subversion“, „Sahne und Strafe – Erinnerungen eines Eintorters“ sowie „Torten wir, torten wir die pompösen Gürkchen ein“ sieht sich in der Tradition der Dadaisten und Surrealisten.

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[1] Will sagen: nicht in Betracht zieht oder berücksichtigt

[2] Das „Excediren“ ist ein Disziplinarvergehen; hier folglich: nicht so übertreiben, dass man straffällig wird!

[3] Eigentlich „züchtigen“, aber auch „bewirten“

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