Augustin 376 - 10/2014

Des Meeres und der Krise Wellen

«Über euer Scheiß-Mittelmeer / käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär», singen die Goldenen Zitronen, Hamburger Punks aus Zeiten, in denen die Rebellion noch besser organisiert war; aber die sind, wie ein Freund nach ihrem Wien-Konzert vor acht Jahren resigniert bemerkte, «auch nicht mehr das, was sie einmal waren». Trotzdem haben wir ihre Zeilen für den Titel dieser Nummer gefladert, die durchs Mittelmeer und seine Anrainerstaaten navigiert.«Über euer Scheiß-Mittelmeer» betitelte vor vier Jahren auch die Stadtzeitung «Malmoe» ihren Schwerpunkt «Migration nach EUroland». Ihre Texte haben wir nachgelesen und sind ein kleines bisschen ins Zweifeln gekommen, ob sich seither gar so viel zum Besseren gewandelt hat. Aber sehen Sie selbst!

Von einem Europa, dessen Bewohner_innen so verhätschelt sind, dass sie ein Dach über dem Kopf, täglich was zu essen und vielleicht sogar ein bisschen Bildungszugang genießen wollen, sprechen die Aktivist_innen Raquel, Katarina, Efi und Pablo. Aber dieser Luxus ist Schnee von vorvorgestern! Wir haben uns von ihnen ausführlich erzählen lassen, wie sich junge Griech_innen und Spanier_innen in den krisen- bzw. troikagebeutelten Küstenländern Europas organisieren, warum sie ins europäische Binnenexil – in diesem Fall nach Wien – gehen und was sie dort erwartet (S. 6-7).

Ins europäische Exil ging auch Emmanuel Mbolela. Er trat den mühsamen Fluchtweg an, nachdem er wegen seiner politischen Tätigkeit im Kongo verhaftet und gefoltert wurde. Kerstin Kellermann hat seinen Bericht einer Migration gelesen (S. 30). Mühsam ist der Fluchtweg nicht aus geographischen, sondern aus politischen Gründen. Für viele führt er über eben dieses «Scheiß-Mittelmeer». Jährlich ertrinken oder verdursten tausende Menschen auf den relativ wenigen Kilometern, die es zu queren gilt, um europäisches Land zu erreichen. Dabei müssten sie nur ganz offiziell eine der vielen Fähren nehmen können, die hier täglich verkehren. Um dem leicht vermeidbaren Sterben ein schnelleres Ende zu bereiten, startet dieser Tage eine Kampagne in Europa und Nordafrika, die mit einem «Notruftelefon für Bootsflüchtlinge in Seenot» ihren Beitrag zum puren Überleben leisten möchte. Hintergründe dazu lesen Sie auf den Seiten 8 und 9.

Keine Debatte über die europäischen Außengrenzen kommt ohne einen Kommentar zur europäischen Grenzschutzagentur «Frontex» aus. Dieser Verkörperung des Grauens im Umgang mit Flüchtlingen widmet Richard Schuberth ein ganzes Buch: «Frontex. Keiner kommt hier lebend rein» ist eine Polemik über den abgrenzlerischen Wahnsinn Europas, seine Beweggründe und seine Folgen. Im Dichter Innenteil auf Seite 32 und 33 bringen wir einen Auszug.

Von «des Meeres und der Liebe Wellen» (S. 24-25) schreibt unsere Theaterkritikerin Christine Ehardt. Sie ist für diesen Mittelmeerschwerpunkt bis ins Schauspielhaus gereist und hat sich die «Sinfonie des sonnigen Tages» angeschaut, ein Sound- und Spielstück über Gedanken an dieser und jener Küste, in den Köpfen von Tourist_innen auf der einen und einer Flüchtenden auf der anderen Seite des Meeres. Zeichnend begleitet hat sie Elvira Stein, die wir als Illustratorin an Bord begrüßen. Ahoi!

Nordirak: die Welt verloren

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Man kann seinen Schlüssel verlieren oder seine Brille, aber die Welt verlieren? Und doch: Manche Menschen haben eine Wunde zugefügt bekommen, so tief, dass die ganze Welt darin verschwindet. Wunde heißt griechisch Trauma.Wenn es um schreckliche Dinge… weiterlesen

Vom Leid der strategischen Visionäre

Herr Groll auf Reisen. 243. Folge

Der Dozent und Groll trafen sich am Allerheiligenplatz im zwanzigsten Wiener Gemeindebezirk, um neuere Entwicklungen in der gesellschaftlichen Hauptabteilung «Reichtum und Verwahrlosung» zu besprechen.Er komme immer wieder gern an diesen Ort im Schat… weiterlesen

Die Vögel als politische Show

Aus der KulturPassage

414 vor Christus schrieb Aristophanes «Die Vögel» als Komödie, in der Fassung von Thomas Schulte-Michels wird aus dieser eine 80-minütige schrille, bösartige und erstaunlich moderne Politshow. Der Inhalt: Athen erstickt in Schulden und zu vielen Migr… weiterlesen

Der Musterkoffer

Morgens läutet es an der Tür, und ich öffne nur unwillig. Vor mir steht lächelnd eine Frau mit Hut und Mantel, die aussieht, wie ich mir Fräulein Prysselius aus Pippi Langstrumpf immer vorgestellt habe. Fast wie im Film, aber nicht ganz.Noch bevor ic… weiterlesen

Räumung im Zweivierteltakt

Konzertsaalmusiker_innen, solidarisiert euch mit der Steyrer Straßenmusik!

Im oberösterreichischen Steyr wird die Straßenmusik quasi aus dem öffentlichen Raum verbannt. Musikerinnen und Musiker müssen nun eine passende Antwort finden. Ein Aufruf.

Foto: Peter A. Krobath

Der Neoliberalismus verachtet den öffentlichen Rau… weiterlesen

Des Meeres und der Liebe Wellen

Anja Hilling inszeniert am Schauspielhaus Europas Grenzen an einem «sonnigen Tag»

In ihrem jüngsten Stück «Sinfonie des sonnigen Tages» lässt Anja Hilling am Wiener Schauspielhaus zwei Welten aufeinanderprallen. Eine Konfrontation, bei der es am Ende auf beiden Seiten keine Gewinner_innen gibt. Bericht einer Uraufführung.

Illustr… weiterlesen

Die Bunte Kuh bleibt ein bunter Hund

Ein Lokal ohne Bankomat-Kasse und Schnitzel

Im Oktober 1979 wurde in Margareten eines der ersten Student_innenlokale Wiens eröffnet, das sich bis heute kaum verändert hat.

Foto: Chris Haderer  
«Die Bunte Kuh ist ein Lokal, in dem man heute noch Frank Zappa hören kann», sagt Andi Atzman … weiterlesen

Weiterwohnen bis Ende Oktober

Solidarisches Bündnis gegen Frau Rs Zwangsräumung erzielte ersten Erfolg

Wie im Augustin Nr. 362 und 374 ausführlich berichtet, war die Mieterin Frau R aus Ottakring Anfang Oktober von einer «Delogierung» aus ihrer Wohnung bedroht. Der Augustin und das Bündnis «Recht auf Stadt» riefen zu ihrer Unterstützung auf.
Etwa 50… weiterlesen

Ein Meer queren und überleben

«Guten Tag, hier spricht Watch the Med» – telefonische Hilfe für Flüchtlinge in Seenot

Das Mittelmeer gilt heute als die lebensgefährlichste Migrationsroute nach Europa. Die einen, ausgestattet mit den «richtigen» Reisepässen, machen es sich auf dem Deck großer Fähren gemütlich, um von Sizilien nach Tunis überzusetzen. Die anderen müss… weiterlesen

Wiener Wäsche, Folge 24

Sascha

«Kleidung ist wie eine zweite Haut», sagt Sascha. «Sie bedeutet Gestaltung, ein Spiel mit Farben und Formen.» Jeder nehme Outfit unterschiedlich wahr. Was für sie etwa eine Latzhose ist, empfindet ihre Schülerin als zu groß geratene Leggins.
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Haut den Penny

Ka faire Milch: Molkereigenossenschafen und Marketingaktionen

Aus aktuellem Anlass schreibt Gastautor Ernst Halbmayr (IG-Milch) zum Thema Raiffeisen, Milch und Vermarktung.

Auf der Suche nach Aufmerksamkeit und dem Wunsch, die eigene Klientel zu bedienen, ist dem Bauernbund der ÖVP eine Milch-Aktion des Disco… weiterlesen

Auf Kur fahren muss auch mal erlaubt sein

Augustinverkäuferin Irene

Mein Standplatz ist in der Landstraße vor dem Eurospar. Dort bin ich tagtäglich, ob es regnet oder schön ist. Es gibt ein Vordach, da kann ich nicht nass werden.

Foto: Lisa Bolyos

Ich habe ja Probleme mit dem Eurospar. Es war auch in der Zeitung… weiterlesen

Migrationsgrund: Sparpaket

Nach Wien migrieren, den Regen aushalten und sich politisch organisieren

Viele gut ausgebildete Leute verlassen Südeuropa, das von der Austeritätspolitik gebeutelt wird, um anderswo ihr (Arbeits-)Glück zu versuchen. Ein paar von ihnen verschlägt es nach Wien. Wir haben mit vier Aktivist_innen des «Precarity Office Vienna»… weiterlesen

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