Ein Jahr RentnerDichter Innenteil

6. 7.

Es ist geschafft. Mein letzter Arbeitstag. Ich bin endlich Rentner. Jetzt geht mein Leben richtig los. Ich will einfach das machen, woran mich diese verdammte Arbeit immer gehindert hat. Möchte weiter kreativ sein und Bienen züchten.

7. 7.

Ich stehe früh auf, und weiß gar nicht, was ich zuerst tun soll. Der Rasen muss gemäht werden, ich will das Dach reparieren, ich muss die Wasserhähne entkalken, ich will ein Vogelhäuschen bauen und endlich mal Krieg und Frieden lesen. Treffe vor dem Haus meinen Freund Jupp. Er ist auch Rentner. Er läuft unrasiert im Jogginganzug rum und sieht aus wie Jörg Kachelmann nach 30 Tequilas. Er schaut den ganzen Tag Nachmittagstalkshows oder löst Kreuzworträtsel. Das wäre nichts für mich. Ich löse nur das in der Hör Zu.

12. 7.

Ich mähe erst mal den Rasen, repariere das Dach und fange mit einem Vogelhäuschen an.

Das Leben ist wunderbar.

25. 7.

Der Rasen ist gemäht, das Dach repariert und das Vogelhäuschen ist fertig. Die Piepmätze kommen an und tirilieren fröhlich. Ich fahre zum Baumarkt, besorge Entkalker für die Wasserhähne und putze die Fenster.

1. 8.

Etwas länger geschlafen. Schau nach meinen Bienen. Dann frühstücke ich und kontrolliere, ob die Wasserhähne nicht neuen Kalk angesetzt haben. Danach Rasenmähen und Fahrt zum Baumarkt. Lasse mir Holz für ein weiteres Vogelhäuschen zuschneiden. Dann hab ich zwei. Eins für die Vogelmännchen und eins für die Vogelweibchen.

18. 8.

Bis Mittag geschlafen. Dann noch ein Vogelhäuschen für Behinderte gebaut. Den Rasen gedüngt, damit er schneller wächst und häufiger gemäht werden muss. Danach Tee mit meiner Frau! Ich gebe ihr Tipps für den Haushalt. Aber manchmal habe ich den Verdacht, ich nerve sie. Zum Beispiel, wenn wir im Garten zusammen Darts spielen. Nicht, dass wir uns streiten aber warum klebt sie vor dem Werfen immer mein Foto auf die Dartscheibe?

30. 8.

Will mal wieder mit einem anderen Menschen reden und gehe zum Arzt. Viele Rentner gehen zum Arzt, um mal zu quatschen; ich habe mir Prostatabeschwerden ausgedacht. Aber er schickt mich nach Hause Prostata würde bei Kassenpatienten in meinem Alter nicht mehr behandelt werden Rentner hätten genug Zeit zum Pinkeln!

3. 9.

Schlafe bis zwei Uhr. Danach Rasenmähen und ein Vogelhäuschen basteln. Im Garten stehen jetzt 28 Stück. Als ich es aufstellen will, entdecke ich auf dem Rasen einen Brief; die Vögel haben geschrieben: Alter, hör auf mit den Scheiß-Vogelhäuschen, wir sind satt und es ist uns vor den anderen Tieren peinlich. Mein Freund Jupp bietet mir ein Kreuzworträtselheft an. Ich schau mal rein. Russischer Fluss mit sieben Buchstaben. Was denkt sich der Idiot? Das ich Zeit habe, mir im Atlas russische Flüsse mit sieben Buchstaben rauszusuchen?

12. 9.

Es gibt insgesamt 1376 russische Flüsse mit sieben Buchstaben. Die bekanntesten sind BJELAJA, DNJESTR, IRTYSCH, UTSCHUR und WOLCHOW. Am Abend Krise mit meiner Frau. Unser erotisches Leben ist eingeschlafen. Passiert vielen Rentnern. Meine Frau schlägt als Lösung vor, wir sollten mal Sex an ungewöhnlichen Orten probieren. Wir haben die Seiten im Bett getauscht. Hilft auch nicht. Habe gelesen, 50 Prozent der Männer über 65 nehmen Viagra. 70 Prozent davon können sich allerdings nicht daran erinnern, warum …

30. 9.

Krieg und Frieden lese ich nicht mehr. Schaue jetzt mehr Nachmittagstalkshows. Heute ist das Thema Ich mach dich kalt, Du blöde Summse. Na ja, ein bisschen lehnt sich das ja auch an Krieg und Frieden an.

26. 10.

Meine Frau meint, wir sollen etwas für unseren Körper tun … Wellness … Sobald man Rentner ist, soll alles nur noch Wellness sein. Man soll die Seele baumeln lassen … Warum? Wenn man älter wird, baumelt am Körper sowieso schon viel. Da muss die Seele nicht auch noch mitbaumeln. Meine Frau schleppt mich zum Yoga für Rentner, zur Rentner-Sauna, zum

Pilates. Pilates! Das war bislang für mich der Typ, der Jesus gekreuzigt hat!

12. 11.

Beim Rentner-Yoga soll ich folgende Figur machen: Das Gnu liegt in der Morgensonne. Ich mache die Figur Der Arbeitnehmer betätigt die Stechuhr. Werde aus dem Kurs geworfen!

3. 1.

Habe mit dem Sport aufgehört. Nur den Jogginganzug trage ich noch ganz gern. Rasieren tu ich mich auch nicht mehr. Wenn ich auf die Straße gehe, fragen mich manchmal die Obdachlosen, ob ich einen Euro brauche. Meine Frau will mich aktivieren und schafft einen Deutschen Pinscher an. Das ist das Ende. Wenn der beste Freund eines Mannes eine Wurst mit vier Beinen ist, die Apollo heißt, dann ist es Zeit für ihn abzutreten. Pinscher wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland gezüchtet. Ziel der Züchtung war es, eine Nackenrolle zu haben, die selbstständig in die Waschmaschine gehen kann! Ich schäme mich. Aber ich gehe mit ihm spazieren. Sitze dann im Wald auf einer Bank, mein Blick fällt auf die Ameisen auf dem Boden. Tja, die arbeiten und arbeiten, von denen sagt keine: Ich bin in Rente und mach jetzt Pilates.

12. 2.

Bin nachts nicht müde. Wovon auch? Stehe deshalb auf, setze mich ins Auto und fahre durch die nächtliche Stadt. Ich lande vor meiner alten Firma, steige aus, streichle das Gebäude. Auf der Rückfahrt sehe ich, wie an einer Landstraße Türken auf dem illegalen Arbeitsstrich rumstehen und warten, dass sie zur Schwarzarbeit abgeholt werden. Traurig so etwas!

3. 3.

Habe mich dunkel geschminkt, mir einen Schnauzer angeklebt und reihe mich unter die Türken an der Straße ein. Serhat, Mehmet, Ügür und Özcan. Im Auto stellt sich raus, die heißen eigentlich Dieter, Eberhart, Richard und Arno und sind auch Rentner mit angeklebten Schnauzern. Am Nachmittag Arbeit auf einer Baustelle. Ich war lange nicht so glücklich!

12. 4.

Fahre jetzt jeden Morgen mit den anderen auf die Baustelle. Nachmittags sitzen wir zusammen und überlegen, was wir noch machen könnten. Wir wollen eine Firma gründen, einen Konzern erschaffen, wir wollen rackern und malochen. Auch mit 65 kann man noch viel bewegen. Eine Geschäftsidee für unseren Konzern haben wir auch schon: VOGELHÄUSCHEN

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