Kraus und die PsychowissenschaftenDichter Innenteil

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 7

Ich war sehr stolz auf die Stelle, die Sie mir gewidmet haben, und dann wieder verärgert darüber, dass Sie eine Verbeugung vor Karl Kraus machen können, der auf der Skala meiner Hochachtung eine unterste Stelle einnimmt.

Sigmund Freud in einem Brief an Arnold Zweig

Wahnverpflichtet durchs Leben wanken das könnte immer noch ein aufrichtigerer Gang sein als der eines Wissenden, der sich an den Abgründen entlang tastet.

Karl Kraus

Es fehlt ihm jede Spur von Selbstüberlegenheit und er scheint seinen Trieben ohne jeden Halt preisgegeben.

Sigmund Freud über Karl Kraus

Die Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält. 1913 ätzt Karl Kraus diese amüsante Gemeinheit ins literarische Gedächtnis der Welt, inhaltlich für viele ein Beweis seiner Überheblichkeit, formal der Archetypus des gelungenen Aphorismus. Eine paradoxe Übertreibung, die durch die fiese Inversion des angefügten Relativsatzes kaum ihre Wirkung verfehlt. Wie sehr mochten die Leser der Fackel gelacht haben, wie sauer mag es den seriösen Herren der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft aufgestoßen sein, zumal die ihre jungen Theoreme in besonders steifen Krägen und ironiefreiem Akademismus vor den Anfeindungen durch den prüden Common Sense schützen mussten. Doch ein Aphorismus braucht nicht wahr zu sein, aber er soll die Wahrheit überflügeln.

Karl Kraus hatte zwar Vorlesungen von Sigmund Freud besucht, seine psychoanalytische Bildung indes blieb oberflächlich. Sein Urteil war Vorurteil. Das sich der Satiriker nicht nehmen lässt: Er wehrt sich gegen zu viel akademisches Wissen, um seinen kritischen Instinkt zu bewahren, denn nur in einen hohlen Kopf geht viel Bildung. Das fördert auch im Fall der Psychoanalyse unzählige Verallgemeinerungen, Gemeinheiten, Ungerechtigkeiten zutage den Freibrief dazu sichert sich Kraus mit der nur durch Satire angreifbaren Form der Satire , aber mehr noch Bataillone von hellseherischen Einsichten, die gerade im Zeitalter der nicht abreißenden Psychobooms und psychologischen Nachmittags-Talk-Show-Expertisen nichts an kritischer Kraft eingebüßt haben.

Dabei fing alles sehr hoffnungsvoll an. In den ersten Jahren der Fackel beschnupperten Karl Kraus und Sigmund Freud einander mit Neugier und Respekt. Ihre Wege schienen auf dem besten Weg, gemeinsame zu werden. Kraus bietet der jungen, überall angefeindeten Psychoanalyse mit der Fackel eine wohlwollende Plattform, vermutet er in ihr doch eine gesinnungsverwandte Befreierin der Sexualität, eine wissenschaftlich fundierte Schützenhilfe seines Widerstandes gegen bürgerliche Heuchelei, Sexualjustiz und Psychiatrie.

Besonders im Kampf gegen die Homosexuellenparagraphen, in Gerichtsfällen, bei denen Angeklagte nicht aufgrund des Missbrauchs Minderjähriger, sondern ihrer Homosexualität belangt wurden, zitiert er Freud mehrmals als Verbündeten Mit Professor Sigmund Freud, verkündet er, habe man die Einsicht und den Mut, zu bekennen, dass der Homosexuelle weder ins Zuchthaus noch in den Narrenturm gehört.

Freud seinerseits bewundert Kraus Engagement und die Autorität seines sprachlichen Witzes. Nach dessen Polemik über den Prozess Riehl gratuliert er ihm in einem Brief und rät zur Zweckallianz: Die Leute werden wieder einmal Ihren Stil loben und Ihren Witz bewundern, aber schämen werden sie sich nicht, was Sie doch eigentlich erreichen wollen. Dazu sind es zu viele und fühlen sich zu sicher in ihrer Solidarität. Wir wenigen sollten darum auch zusammenhalten.

Kaum beachtet ist Karl Kraus Pionierkampf gegen die normative Macht der Psychiatrie. Die kritischen Einsichten, zu denen sich die Psychiatriekritik der 50er und 60er Jahre (R. Laing, D. Cooper, E. Goffman, F. Basaglia etc.) erst durch mühsame Empirie und Theoriebildung emporarbeiten musste, sind Kraus um 1900 selbstverständlich, und sie werden nicht wie bei seinen Nachfolgern im Ton anklagender Aufdeckung vermittelt, sondern mit dem Gestus herablassender Gewissheit: Die Irrsinnigen werden von den Psychiatern allemal daran erkannt, dass sie nach der Internierung ein aufgeregtes Benehmen zur Schau stellen. Allein der aus Budapest gebürtige amerikanische Anti-Psychiater Thomas S. Szasz wusste Kraus Vorreiterrolle hierin zu würdigen.

Von Psychoanalen und Seelenschlieferln

Kraus Sympathie für die Psychoanalyse weicht in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts offener Abneigung. Mit wohlwollender Ambivalenz vermerkt er: Freud gebührt das Verdienst, in die Anarchie des Traums eine Verfassung eingeführt zu haben. Aber es geht darin zu wie in Österreich.

Ein Markstein in Kraus Antipathie gegen die Psychoanalyse ist das Zerwürfnis mit seinem Mitarbeiter Fritz Wittels. Als Mitglied der Psychoanalytischen Mittwochabendgesellschaft rächt sich dieser 1910 in einem denunziatorischen Vortrag mit dem Titel Die Fackel-Neurose. Wittels lässt es dabei nicht bewenden, sondern zahlt es Kraus in seinem Roman Ezechiel der Zugereiste heim, worin er als Benjamin Eckelhaft erscheint, der Das Riesenmaul herausgibt und den einer seiner ehemaligen Jünger als völlig ausgeschrieben und impotent beschreibt, nicht ohne den probaten Therapievorschlag auszusparen: Totschlagen soll man den Saujuden!

Der Streit geht weiter. 1913 druckt das Zentralblatt für Psychoanalyse und sonstigen Unfug (Kraus) psychoanalysefeindliche Aphorismen aus der Fackel ab und verletzt damit das Urheberrecht. Die Pönale spendet Kraus der Dichterin Else Lasker-Schüler, da diese mit ihren eigenen Träumen auch nicht annähernd so viel verdient als ein Psychoanalytiker mit fremden.

Man mag mit einigem Recht einwenden, Kraus habe das Freudsche Konzept des Unbewussten missverstanden und die Bestimmung der menschlichen Psyche aus frühkindlichen sexuellen Traumata bloß den gängigen Vulgarisierungen der ursprünglichen Lehre entnommen. Nichtsdestoweniger registrierte er statt einer Befreiung des Sexus bloß neue Formen der Reglementierung und spöttelt: Eine gewisse Psychoanalyse ist die Beschäftigung geiler Rationalisten, die alles in der Welt auf sexuelle Ursachen zurückführen mit Ausnahme ihrer Beschäftigung. Zudem schaffe Inferiorität sich mittels Psychoanalyse Überlegenheit, sie sei eine Methode, die schneller einen Laien zum Sachverständigen, als einen Kranken gesund macht. Die Einsicht, dass die Psychotherapie nicht heile, sondern nur neue Therapeuten zeuge, dass psychisch Labile sich im Machtrausch der Therapeutenrolle therapieren, schien sich in Österreich besonders nach Implementierung des Therapiegesetzes (1990) zu bestätigen, das jeder narzisstisch gestörten Persönlichkeit die Möglichkeit gewährte, den Durschschnittsneurotikern aus der Nachbarschaft durch suggestive Methoden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Freud hatte mittels der Therapeutenanalyse versucht, dieser Gefahr Einhalt zu gebieten. Für Kraus war sie von Anfang an evident.

Seine Breitseiten gegen die Psychoanalen und Seelenschlieferln kurzum die Freudknaben wechseln zwischen gehässig und liebevoll herablassend, erreichen aber nie die Inbrunst, mit der er Presse und Justiz geißelt. In den 20er Jahren würdigt er die Psychoanalyse als Wiener Touristenattraktion, empfiehlt allfällig anreisenden Maharadschas aber dann doch den Besuch des Wirtshauses Höllerhansl, und ihren Erfolg in den USA erklärt er lapidar mit dem Interesse der Amerikaner für alles, was sie nicht haben, wie Antiquitäten und Vorgänge des Innenlebens.

Fleht zum Schöpfer um mehr Irrsinn!

Als die Psychoanalyse jedoch ihre Praxen verlässt und beginnt, Kunstwerke und deren Schöpfer zu analysieren es ist gerade der unselige Fritz Wittels, der diese Mode mit seiner Deduktion des Erlkönigs auf die masturbatorischen Neigungen Goethes initiiert platzt Kraus der Kragen und er ruft zur satirischen Notwehr auf:

Nervenärzten, die uns das Genie verpathologisieren, soll man mit dessen Gesamten Werken die Schädeldecke einschlagen. Nicht anders soll man mit den Vertretern der Humanität verfahren, die die Vivisektion der Meerschweinchen beklagen und die Benützung der Kunstwerke zu Versuchszwecken geschehen lassen. () Shakespeare irrsinnig? Dann sinkt die Menschheit auf die Knie und fleht, vor ihrer Gesundheit bang, zum Schöpfer um mehr Irrsinn.

Hierin offenbart sich die Essenz von Kraus Skepsis gegen die Psychologie, die über seine Unkenntnis im Detail Bestand hat. Ungeachtet des vitalen Bedürfnisses von Menschen nach seelischer Heilung, wittert er in dieser ein mögliches Herrschaftsinstrument, dem unergründlichen Artenreichtum seelischer Individualität die Ketten fragwürdiger Kategorien anzulegen, die akademische Rache des freudlosen Mittelmaßes am Rausch schöpferischer Freiheit und somit ihr Beitrag zu gesellschaftlicher Konformität. Karl Kraus, ein Mensch, der von sich behauptet, sich prinzipiell nicht in seine Privatangelegenheiten einzumischen, schützt unantastbare Intimsphäre vor der Psychologie mit an die Genitalien greifender Rücksichtslosigkeit, schützt das Besondere vor dem schlechten Allgemeinen, zu dessen Agenten die Psychoanalyse seiner Ansicht nach herabgesunken ist. Dies zeigt sich ihm Ende der 20er Jahre am Beispiel eines jungen Mannes aus guter Familie, der Kommunist wird und bei einer Demonstration seiner Freundin gegen die gewalttätige Polizei beisteht. Die Eltern überantworten ihn der Psychoanalyse, die ihm den Idealismus wegtherapieren soll (Kraus). Die aufklärerische Wissenschaft, mit der Kraus einst Seite an Seite die Psychiatrie bekämpfte, war gesellschaftsfähig geworden.

Kraus schwingt sich zum Schutzengel der Neurose gegen ihre Therapeuten auf. Noch 1932 verteidigt er in einer bezaubernden Sentenz die Tugend des Errötens vor der Psychoanalyse:

Die wird es zwar nicht heilen, aber auch zu allerletzt herauskriegen, dass es auf Schamgefühl zurückzuführen sein könnte, oder auch das tiefer sitzende Übel, dass nämlich einer Ehre im Leib hat. Aber welch ein Apparat von Medizin wegen der paar Leute, die noch an so was leiden!

Seine eigenen Neurosen zeigt Karl Kraus stolz wie Wunden her, die er sich im ehrenhaften Kampf mit der Gesellschaft erworben hat. Er erlaubt ihnen nicht zu vernarben, sondern kratzt sie stets aufs Neue auf, um seine Feder ins frei fließende Blut zu tunken.

Karl Kraus hat sich die Freudknaben bis zu seinem Lebensende vorgenommen. Wie Edwin Hartl in seiner verdienstvollen Studie Karl Kraus und die Psychoanalyse. Versuch einer Klarstellung nachweist, blieb jedoch Freud selbst, der alte Hexenmeister(Hartl), stets von ihm verschont. Es ist schade, dass Kraus nicht zu schätzen wusste, was für ein guter Schriftsteller der Vater der Psychoanalyse war, mit welch gelassener Schlichtheit der Form und klarer, schön durchrhythmisierter Sprache er der Verlockung jeglichen Fachjargons widerstand. Dass Freud den Verlockungen der Macht nicht immer widerstand, darauf weist eine etwas unpassende Widmung hin, die er dem faschistischen Diktator Benito Mussolini 1931 ins Geschenkexemplar eines seiner Bücher schrieb: Von einem alten Mann, der im Diktator den Kulturheros erkennt. Ob das salbungsvolle Mäßigung eines Tyrannen oder heimliche Bewunderung ist, sei dahingestellt. Kraus hingegen hatte bereits zehn Jahre zuvor für Mussolini, Horthy und Hitler nichts als Spott und Verachtung übrig etwa in einer Glosse über den Besuch der Journalistin Lucie Weidt beim Duce. Kraus paraphrasiert diese Begegnung, bei der Frau Weidt Mussolini einen Strauß Veilchen überreichte, mit dem berühmten Dialog aus Nestroys Posse Judith und Holofernes: Man sagte mir, Menschenleben schonen Sie nie, Sie sind eine kleine Bosheit, Sie. Man sagte auch ich kanns nicht glaubn von so einem Herrn dass Sie ein Judenfresser wärn. Es ist nicht so arg, ich hab nur die Gewohnheit, alles zu vernichten. Setz dich und speis mit mir.

Eine gewisse Paradoxie liegt darin, dass es linke Kraus-Bewunderer wie Horkheimer, Adorno und Günther Anders waren, die während psychoanalytische Praxis sich in den Dienst systemstabilisierender Konformität stellte das gesellschaftskritische Potenzial der Freudschen Theorie erkannten und aufschlossen.

Aber was noch alles verlangen von Karl Kraus, der wir sehen es ihm nach ohnehin zugibt: Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen.

Lesetipps:

Thomas Szasz: Karl Kraus and the Soul-Doctors. Louisiana State University Press, Baton Rouge 1976

Edwin Hartl: Karl Kraus und die Psychoanalyse. Versuch einer Klarstellung. In: Merkur 31, 1977

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