«Oberkellner gesucht …»Dichter Innenteil

Anfang und Ende einer Karriere

Wie man sagt, das Schicksal spielt mit einem Menschen … Nach meiner Scheidung (banale Geschichte!) verlor ich auch meinen Job bei der Firma meines Mannes. Alle meine Versuche, zu meinem vorehelichen Beruf zurückzukehren, scheiterten, also wäre ich froh gewesen über irgendeine bezahlte Beschäftigung. Ich brauchte dringend einen Job!

Grafik: Karl Berger

Zeitungsannoncen brachten nicht viel. Unter anderem fand ich Folgendes: Ein Restaurant hätte Bedarf nach einem Manager. Aufgaben: Gäste begrüßen, auf Ordnung achten usw. 4 Stunden am Tag, von 11 bis 15 Uhr. Bezahlung nach Vereinbarung. Ehrlich gesagt, habe ich schon immer diese imposanten Oberkellner in guten Restaurants irgendwie beneidet. Genau so beneidete ich in der Kindheit die Ansagerinnen am Bahnhof «Achtung, Achtung! Der Zug …»

Also rufe ich an.

«Okay, kommen Sie um elf, wenn der Chef da ist!», höre ich die Antwort auf meine Frage, ob die Stelle immer noch frei wäre. «Mit wem habe ich Ehre …?» «Ich bin die Ehefrau vom Chef.»

Der Tag eins

Elf Uhr. Der Chef ist noch nicht da. Hinter der Trennwand, neben der Küche sitzt eine «Überdimensionale». Vor ihr auf dem Tisch steht ein Teller mit einem «überdimensionalen» Schnitzel, zweimal größer als bei anderen Gästen, mit einem Berg Pommes frites.

«Setzen Sie sich hin», befiehlt mir die Frau, «warten Sie!» Ich warte und sie beschäftigt sich mit dem Essen. Endlich redet sie. «Merken Sie sich, wir haben ein Familienunternehmen. Wir müssen alles selber machen. Mein Mann ist ein sehr guter Mensch. Er war zu mir immer gut. Und jetzt muss ich ihm helfen. Nur passen Sie auf, seien Sie nicht gemein zu ihm, nicht dass er Ihnen alles beibringt und Sie ihn dann verlassen und zu einem anderen Unternehmen gehen. Wir sind nicht verheiratet, aber wir leben seit langem zusammen, wir haben zwei Töchter. Wissen Sie, ich bin schwer krank. Was für eine Krankheit? Spielt keine Rolle! Übrigens, ich habe Krebs. Ich wurde früher im AKH behandelt, aber ihre drastischen Methoden … Deshalb bin zu einem anderen Krankenhaus gekommen …

Mein Mann braucht dringend eine Helferin. Verstehen Sie, was ich meine? Er ist ein guter Mann. Sollten Sie sich entscheiden, bei uns zu arbeiten, bitte ich Sie, achten sie auf die Kellner! Ihre eigene Autorität ist das Wichtigste! Lassen Sie nicht zu, dass sie Sie duzen! Schauen Sie, dass die Kellner keine Rauchpausen machen! Sie sind solche Faulenzer, sie wollen nicht arbeiten! Und schauen Sie, dass sie nichts umsonst essen! Alle sind sie Diebe! Achten Sie darauf, dass alles, was zu Gästen auf die Tische kommt, durch die Kasse geht. Ach ja, Sie dürfen nicht vergessen, die Zitrone zum Tee anzubieten. Es sind zusätzliche 50 Cent. Vom Teeverkauf alleine werde ich nicht reich, nur wenn Tee mit Zitrone verkauft wird. Ich muss doch Miete zahlen! Ich weiß nicht, wie schnell Sie alles das lernen können.»

Endlich kam der Chef. Er setzte sich zum Tisch. «Ich brauche eine Ruhepause!» In zehn Minuten ist der Aschenbecher voll. Er schiebt ihn zu mir und zündet eine neue Zigarette an.

«Meine Frau macht sich um mich Sorgen», sagt er endlich. «Weil ich zu viel rauche. Aber Sie wissen, das sind die Nerven! Wenn Sie wüssten! Wir brauchen einen Mitarbeiter, der mit seiner ganzen Seele bei unserem Unternehmen dabei ist, der eine Art Freund für uns wäre. Ein Mensch, auf den man sich verlassen kann. Hier steht alles geschrieben, was Sie machen sollen, und wer für was verantwortlich ist. Sie müssen darauf achten, dass die Kellner ihren Pflichten gewissenhaft nachgehen. Sie sollen die Sauberkeit kontrollieren und die Gäste begrüßen. Kommen Sie morgen!»

Der Tag zwei

Mit dem Eifer einer erfahrenen Hausfrau blicke ich mich im Restaurant um. Die Fußböden sind fast schwarz von Schmutz. Auf den Fensterbrettern liegen toten Fliegen. Der Geschirrspüler – das ist eine besondere Geschichte! Ich entdecke, dass das Geschirr im demselben braunen Brei aus Spülmittel und Schmutz wochenlang abgespült wird. Der Abfluss funktioniert nicht. Ich kämpfe mit der Stimme des Gewissens, die laut schreien will. Eine andere Stimme aber sagt, hab Mitleid mit der Wirtin, sie ist doch so schwer krank …

Es gibt drei Kellner – Korina, Stefan und Alex. Zwei Studentinnen lasen die Annonce in der Zeitung, eine Polin und eine Kasachin, sie würden sich gerne als Kellnerinnen bewerben. «Wollt Ihr Gäste bedienen?», fragt sie die Wirtin, «wo sind aber eure Schürzen und Geldbörsen? Ohne die könnt Ihr nicht …»

Nicht irgendeine Schürze! Nicht irgendeine Geldbörse! Es müssen spezielle Ausführungen für Berufskellner sein. Kosten? So gegen hundert Euro. Eine Garantie aber, dass sie den Job bekommen, gibt es auch dann nicht! «Gut», sagt die Hauswirtin, «dann werdet Ihr euch heute mit dem Putzen beschäftigen. Wenn ihr aber morgen eine volle Ausrüstung habt, werden wir sehen …»

Zur Mittagessenszeit wird das Restaurant voll. Die armen Gäste haben keine Ahnung, womit hier das Geschirr abgespült wird, denke ich mir. Es sieht nicht danach aus, dass diese Kellner wirklich Zeit für Rauchpausen hätten. Sie laufen zwischen der Küche, der Bar und den Tischen mit der Schnelligkeit des Windes. Es entbrennt zwischen ihnen auch eine Art Geheimkampf um Kunden! Die Tische von Stefan und Alex stehen entlang der Fenster. Korinas Tische sind in der Mitte, so hat sie weniger Kunden. Erholen kann sie sich jedoch nicht, die Wirtin treibt sie immer wieder ins Geschäft, Brötchen und Kuchen zu kaufen, oder in der Küche zu helfen.

Morgens, vor der Eröffnung, wäscht Korina die Toiletten. Sie sind jedoch nicht wirklich sauber, aber ich lasse das. Die Arme hat es nicht leicht … Die Studentinnen reinigen die Bar. Eine Putzfrau gibt es hier nicht, wie ich sehe, so hat der Chef die Putzarbeit zwischen den Kellnern verteilt.

Der Chef ist wieder da. Wäre es nicht Zeit, mit ihm meinen Lohn zu besprechen? Auf meine Frage reagiert er so, als ob er sie nicht erwartet hätte. «Und wie viel wollen Sie haben?!» «So viel ich will, werden Sie mir doch nicht bezahlen!», lächle ich verlegen. «Und wenn doch?» «Mindestens 10 Euro pro Stunde. Netto». Das wäre nicht mein Traumgehalt, aber ich weiß, mehr kriege ich hier sowieso nicht. «Was?», empört er sich, «Sie können noch nichts machen, und Sie verlangen schon 10 Euro!» Dann schlägt er mir Folgendes vor: Drei Tage lerne ich und arbeite umsonst, dann, erst ab der nächsten Woche zahlt er mir 7 Euro pro Stunde, wenn ich aber den Beruf erst einmal vollkommen beherrsche, kriege ich auch 10. «Sie müssen aber zu dieser Zeit ein echter Profi werden!», sagt er streng und zeichnet in der Luft mit seiner Zigarette ein Diagramm meines zukünftigen Einkommens. «Motivieren Sie mich, damit ich Sie bezahle!», sagt er und schaut ins Dekolleté meines Dirndlkleides. «Motivieren Sie mich, damit ich gut arbeite», erwidere ich im selben Ton und winke mit meiner Hand den Zigarettenrauch weg. «Wie soll ich Sie motivieren? Mit Geld vielleicht?», sagt er beleidigt und schürzt wie ein Kind seine Lippen.

Der Tag drei

Stefan ignoriert meine Verfügungen. Es ist ihm unangenehm, dass eine Neue, ja noch dazu eine Ausländerin hier etwas zu sagen hat. Die Mädchen, sogenannte «Praktikantinnen» versuchen den verhärteten Schorf hinter der Bar abzuschrubben, aber es fehlen ihnen Herkules’ Kraft und Reinigungsmittel. Der Fußboden in der Küche ist mit einer dicken Fettschicht bedeckt, man könne ihn als Eisbahn benutzen. Wer soll den reinigen? Der Koch natürlich! Es stellt sich aber heraus, dass er auch keine fettlösenden Mittel zur Verfügung hat, sie seien zu teuer. «Und wie teuer wird es, wenn jemand fallen und sich das Bein oder sogar den Kopf brechen würde?», frage ich den Wirt. Er schweigt. Denkt nach.

Der Tag vier

Neun Uhr morgens. Um neun statt, wie versprochen, um elf Uhr beginnt mein Arbeitstag. Der Koch ist nicht da. Die Kellner auch nicht. Die Gäste wollen aber bereits frühstücken. Wie funktioniert dieser Kaffeeautomat? Und überhaupt …

Um halb zehn kommt die Frau Wirtin. Ohne den Regenmantel abzunehmen, fragt sie streng, warum ich bis jetzt das Frühstück nicht serviert habe. Es steht aber nicht in meinen Pflichten, will ich sagen, stattdessen versuche ich schweigend einfach zu helfen. Die Kellner sind endlich da und die Wirtin belegt ihren Platz. Sie beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück – mit Speck und Eiern. Und das nach der Chemotherapie, so wie sie sagt? Mit einem Adlerblick beobachtet sie den Kassenapparat und die Hände des Barmannes und der Kellner.

Die «Praktikantinnen» sind nicht da. Es sind dafür drei neue Mädchen gekommen, um sich für den Job zu bewerben.

Mittagszeit. Ich begrüße die Gäste. Ein Mann spricht mich direkt an: «Arbeiten Sie seit langem hier?» «Nein. Seit ein paar Tagen!» «Was sind Sie hier? Wissen Sie eigentlich, was sich hier abspielt? Ist es ihnen bekannt, dass man in diesem Restaurant Sklavenarbeit treibt? Ihre Wirte geben die Anzeige immer wieder in die Zeitung, um Mitarbeiter umsonst zu kriegen, sozusagen, auf Probezeit. Sie behalten sie höchstens zwei, drei Tage, zahlen ihnen nichts, und nehmen neue. Gesetzmäßig aber sind sie verpflichtet, sie ab dem ersten Tag bei der Sozialversicherung zu melden.»

«Warum reden Sie darüber mit mir, und nicht mit den Wirten? Solle ich die Frau Wirtin zu Ihnen einladen?» Mit der Wirtin wollte der Gast nicht reden.

«Was hat er zu Ihnen gesagt?!», fragte sie mich beunruhigt: Ich erzählte aufrichtig alles. «Er soll darüber mit mir, nicht mit Ihnen reden!», sagte sie nervös. «Das war auch meine Meinung.»

Am Nachmittag erscheint eine der «Praktikantinnen» – die Kasachin. Sie will mit dem Chef reden, er ist nicht da, so redet sie mit mir. «Wissen Sie, wie viel er mir versprochen hat? Fünf Euro! Ich sage zuerst danke, danke, ich dachte mir, es wäre ein Stundenlohn. Er bezahlte mir aber fünf Euro für zwei Tage!»

Der Chef ist gekommen. Sie redeten ziemlich lange miteinander. Das Mädchen blieb während des Gesprächs bemerkenswert ruhig. Als sie ging, lächelte sie zufrieden. Der Wirt wirkte in Gegenteil gereizt. «Bei so einer Arbeitslosigkeit können wir neue Arbeitskräfte täglich mieten! Wem es nicht gefällt, soll gehen!», sagte er und steckte seine Geldbörse in die Jackettasche zurück.

Der Tag fünf

Also, meine Ausbildungszeit kam zum Ende, ab heute sollte ich mein Gehalt erhalten.

Die toten Fliegen habe ich bereits am Freitag gesammelt und beerdigt. Hinter der Theke ist es ein wenig sauberer geworden. Im Geschirrspüler wurde – gegen meinen Willen – das Wasser immer noch nicht getauscht, wie hat man das nur fertiggebracht, dieses Gerät zu präparieren, um Wasser und Spülmittel zu sparen?

Die Tischdecken sollte man austauschen, aber es gibt keine frischen. Vielleicht sollte ich sie wenden? Nein, es geht nicht, sie wurden bereits einmal gewendet.

Zwei neue Bewerberinnen sind da. Die «Probezeit» beginnt. Um 9:15 kommt die Wirtin. In Missmut. Ohne den Regenmantel abgenommen zu haben, beginnt sie die Tischdecken von den Tischen herunterzureißen.

«Sie sind seit einer Woche da, und haben bis jetzt nichts gelernt!», wirft sie mir vor, schaut mich aber nicht an. Schmeißt ihre Handtasche ins Eck und fährt damit fort, alles von den Tischen zu schmeißen. Was will sie machen? Es ist keine einzige frische Tischdecke da! Bis jetzt begann sie ihren Tag mit einer Tasse Kaffee und einem großen Frühstück, dabei wurde zu ihrer einzigen Aufgabe, die Kassa mit der Schärfe eines Schäferhundes zu beobachten. Was ist heute in sie gefahren?

Sie schreit mir wieder etwas zu, ich will es aber nicht hören.

«Entschuldigen Sie bitte», sage ich ganz höflich, «ich kann es nicht zulassen, dass Sie mit mir so reden! Ja, noch dazu in Anwesenheit des Personals.»

Sie war aber nicht zu beruhigen.

Dann ging ich einfach weg.

Es war offensichtlich genau das, was sie bewirken wollte.

Für meine Arbeitstage wurde ich auch mit keinen 5 Euro entlohnt.

(Gekürzte Version des Originaltextes von Sophia Benedict. Anm. d. Red.)