OBRA – Eine Milliarde erhebt sichDichter Innenteil

Solidarität für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen

Aiko Kazuko Kurosaki steht schon lange auf meiner journalistisch-feministischen Frauenliste. Sie ist Künstlerin, Tänzerin und Aktivistin, die für eine wichtige Sache brennt und dies auch sehr gerne tut.

Foto: Bettina Frenzel

Aiko Kazuko Kurosaki performt bei One Billion Rising

Anfangs oft ehrenamtlich, bis zur Ausbeutung, wie sie sagt, aber derzeit zumindest geringfügig angestellt. Es wäre schön, wenn der Verein mich anstellen könnte, konstatiert sie, aber danach sieht es derzeit noch nicht aus.

One Billion Rising Austria ist eine aktionistische Kampagne mit künstlerischen Mitteln, eine Bewegung, die einen Aktionshöhepunkt hat mit dem 14. Februar, dem sogenannten V-Day. One Billion Rising Austria entwickelte sich 2012 aus der V-Day-Bewegung – einer globalen Bewegung, die 1998 von der New Yorker Künstlerin Eve Ensler ins Leben gerufen wurde. Seitdem ist der 14. Februar nicht nur Valentinstag, sondern auch V-Day. Das «V in V-Day steht für Victory (Sieg), Valentine (Valentinstag) und Vagina, lese ich auf der Website. Seit 2013 sind weltweit tausende Aktivist_innen singend und tanzend gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen* aktiv. So etwa in Nordamerika, Südafrika, Australien, Deutschland und – Österreich. Mit Frauen* möchten OBRA alle ansprechen, die sich als Frauen* bzw. Trans*weiblichkeiten verstehen und/oder weiblich sozialisiert worden sind. «Über die AG OBRA sind bisher 50 Künstler_innen aufgetreten», sagt Aiko, «wir entwickeln uns ständig weiter und wir brauchen auch ein fixes Büro und ein Arbeitsteam. Es bestand anfangs aus acht Frauen. Aber nachdem die Arbeit anspruchsvoll ist und alle ausgebrannt waren, haben wir dann einen Verein gegründet, um wenigstens Anfangsgelder und Mittel zu lukrieren und eine kleine Vereinsstruktur aufzubauen.»

Auf der Website lese ich, dass OBRA in einigen Fällen sogar – konkret an folgendem Beispiel – mit Spenden helfen konnte: Eine Frau, die sich im Asylverfahren befand, wurde im Libanon zwei Mal zwangsverheiratet – auch der dritte Ehemann war offensichtlich gewalttätig zu ihr und zu den Kindern, also hat sie sich von ihm getrennt. In ihrer Heimat hat sie als mehrmals geschiedene Frau keinerlei Chancen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Außerdem hat sie auch drei Kinder, die geschützt werden müssen – die älteste Tochter steht nun selber vor einer Zwangsverheiratung. Da die Tochter bald volljährig wird, ist die Zeit jedoch knapp. Nur wenn die Mutter in Österreich bleiben darf, besteht die Chance, dass die älteste Tochter auch nachkommen kann und so einer Zwangsverheiratung entkommt. Die Frau ist sehr engagiert, sie hat in einem Café Treffen und Workshops für Frauen organisiert, um sich austauschen zu können und, wenn benötigt, Hilfestellungen zu leisten. In erster Linie geht es dabei um das Empowerment der Frauen, ihnen Mut zu machen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Solch zivil organisiertes Selbstengagement finden wir besonders förderungswürdig.

Ich bestimme über dein Leben und deinen Tod

Aiko erzählt mir im Café Nil in der Siebensterngasse, OBRA wolle enttabuisieren, durch Stärke und den Aufbau gezielt Frauen fördern, nicht durch negative künstlerische Slogans oder Ausdrucksformen. Ich frage Aiko daraufhin, wo ihre Arbeit denn gefragt ist: «Wir haben Anfragen von Schulen, in denen wir mit Mädchen arbeiten werden. Wir kooperieren zusammen mit der OBRA-Bewegung Bregenz und dem Frauenmuseum Hittisau, mit Salzburg und auch mit Pangea Linz. Die Hauptthemen in den Schulen sind Gewalt gegen Frauen und Mädchen. In Workshops erkläre ich den Ursprung der Bewegung aus den USA und warum all das ein Politikum ist, als Frau im öffentlichen Raum und mit dem eigenen Körper zu arbeiten, mit dem Tanz, das sind unsere Themen. Menschen, die lange traumatisiert wurden, können das nicht mehr auf diese Weise, aber es ist eine Option, es ist ein freudvoller Weg, sich dazu auszudrücken. Es bricht die Tabudecke auf – und genau das ist wichtig –, dass die Leute zufällig auf der Straße eine Aktion von uns mitbekommen oder einen Bericht darüber im Fernsehen oder auf Facebook sehen und dass sie erkennen: Ich muss keine Schuld mehr haben und das auf mich nehmen. So viele werden manipuliert. Sie glauben alleine zu sein damit – was nicht der Wahrheit entspricht! Fast jede zweite Frau ist von Gewalterfahrung betroffen. Niemand redet gerne darüber. Es ist erschreckend, wie viele Betroffene solche Geschichten parat haben, gut verwahrt in einer Ecke der Seele und des Körpers. Es gibt aber Möglichkeiten: Frauenhäuser und Interventionsstellen. Ich komme aus einer stark patriarchal-konservativ japanischen Familie. Mein Vater sagte zu mir, als ich jung war: ‹Ich bestimme über dein Leben und deinen Tod›. Prügel gehörten zum Alltag als Form der Disziplinierung.»

Wien hat an und für sich noch viel zu bieten

«Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen», erzählt Aiko, «mache ich es so, weil ein Event einmal im Jahr nicht viel für die Sache bringt. Wenn eine Bewegung Stabilität haben soll, muss sie sich vernetzten und verbreiten. So machen wir etwa zwanzig Mal im Jahr Aktionen mit sehr wenig Budget. Wir haben eine Choreographie, die quasi als Hymne steht. Es hat mit dem, was ich sonst mache – künstlerischer Tanz – nicht viel zu tun und wurde deshalb auch angegriffen und belächelt. Aber einstweilen hat mich die Kunstwelt anerkannt, sodass wichtige Leute die Meinung hatten: Wow, du machst politische Kunst. Auch weil ich Künstler aus dem zeitgenössischen Tanz mit reingebracht habe und auch dadurch dann weitere Kooperationen entstanden sind. Brücken zu schlagen – das ist eines meiner Ziele. Wien hat an und für sich noch sehr viel zu bieten. Aber derzeit kämpft die gesamte darstellende freie Szene ‹vor geschlossenen Häusern›, weil alle umgebaut werden: WUK, Brut, Tanzquartier. Das sind aber unsere Orte zum Auftreten! Was machen wir? Wir organisieren eine Pressekonferenz zu diesem Thema. Dass das gänzlich ungeplant war seitens der städtischen Kultursponsoren, können wir uns nicht vorstellen. Und die Gesellschaft Verein des Künstlerhauses geht in Konkurs. Da bin ich gespannt, wie es weitergeht. Aber auf allen Ebenen kann ich mich nicht engagieren. Ich komme langsam auch drauf, dass ich viel beigetragen habe zum Verein meines Mannes, der Künstler ist und mit dem ich gemeinsam 4 Kinder habe. Tatsächlich ist es sehr viel Arbeit, wir sind alle miteinander komplett überfordert. Wenn wir Frauen nicht ein Multitalent sind, in Form von Multitasking – brennt frau durch. Frauen sind da gefährdeter. Und was dann im Wechsel noch so alles daherkommt ist überwältigend.»

Ob Männer sich anders durchsetzen als Frauen, frage ich Aiko. «Der Unterscheid ist: Nach außen hin solidarisieren sich Männer sehr stark und Frauen zerstreiten sich oft, aber wenn es um Feminismus geht, halten alle zusammen, so einen großen Unterschied gibt es da nicht. Feminismus ist Menschrecht und betrifft alle. Beim Kampf für die Frauen braucht es vielleicht einen neuen Begriff, Feminismus und Emanzipation haben sich fast schon ausgeschöpft, es gibt einen negativen Touch, mit dementsprechenden abwertenden Begriffen wie Kampflesbe oder Emanze.»

Meine persönliche Meinung (Jella Jost) ist, dass wir einen Diktions-Wechsel mit Vorsicht betrachten sollten. Arbeitslager heißen dann womöglich im Neusprech «Motivationszentrum», aber Sprache soll kein Spielball sein, und Feminismus muss Wort bleiben, damit historische Inhalte keiner Mode unterworfen sind. Nun zurück zu den Frauen, ihrer Arbeit, ihrer Sorge, ihrem Kampf um Anerkennung (und Bezahlung!) von Care, sprich Pflege- oder Hausarbeit, Erwerbsarbeit und Kinderaufzucht. Die Dreifach-, Vierfach-Belastung wird in keiner Weise honoriert. Sehen wir uns die Pensionen von alten Frauen an. Erschreckend. Und in ekelhafter Weise wird über Alter und Weiblichkeit hergezogen. Damit geht eine Gesellschaft bergab, und einer Gesellschaft entgeht unfassbar viel an Wissen und Geschichtserzählung. Aber die Brut für den Staat sollen wir reproduzieren und aufziehen! Wäre die externe «Brutstätte» ein möglicher alternativer Weg? Aber es gibt besonders auch dort völlig abartige Entwicklungen, in denen bezahlte Leihmütter für Bordelle produzieren. Missbrauch und unmenschliche perverse Machenschaften mit medizinischen Errungenschaften müssen härtest geahndet werden. Unter den Nazis wurden ausgewählte «arische» Mütter wie Legehennen zwangsbefruchtet und in Heimen gehalten, um Kinder großzuzüchten. Die Frau als Henne. Das war jenseits von Würde und Menschen-Achtung. Und genau deshalb ist der Kampf um Frauenrechte ein Kampf um Menschenrechte, um die Entlohnung unbezahlter Arbeit, um ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen und betrifft mehr als die Hälfte der Menschheit.