So einfach war es noch nie, verrückt zu werden – Eine BemühungDichter Innenteil

Da sitze ich nun wie die Maus vor der Schlange und flehe um mein Leben. Die moderne Technik macht glücklich, sagt der Elektromarkt. Mich macht sie fertig.

Illu: Karl Berger

Einerseits: Der Vorgang kann nicht abgeschlossen werden. Es ist ein unbekannter Fehler aufgetreten. Dabei hat der Unbekannte einen Namen. Er nennt sich in der Klammer «Fehler 1712». Andererseits gibt es noch einen, der mich manchmal heimsucht, er heißt 50: Ihre Anfrage beim iTunes Store konnte nicht fertiggestellt werden. – Warum wohl? Wir wissen es, ein unbekannten Fehler … Muss ich wirklich auf eine Informatik-Akademie, um in dieser digitalen Welt zurechtzukommen? Es wäre sicher hilfreich, gesetzt den Fall, dass die dort einen Psychiater haben. Wie bin ich doch früher glücklich gewesen mit einer Schreibmaschine, einem einzigen standfesten Telefon und einem Wecker, der sich aufziehen ließ. Alles ohne Fernbedienung, und nicht einmal einen Drucker habe ich gebraucht, man stelle sich vor, keine einzige Patrone! Das Unglück hat sich ganz langsam eingeschlichen, einmal der Fotokopierer, dann der erste Telefonanrufbeantworter … Beim ersten war ich noch kerngesund. Der hatte nämlich zwei nette Tonband-Kassetten (eine für den Meldetext und eine andere für die Anrufer). Man musste in kein Menü, keine elektronische Stimme hat mir Anweisungen gegeben, er war mir ungemein sympathisch. Im Gegensatz zum heutigen, der einem Roboter ähnelt, weil er so vielerlei kann. Nur nicht für mich funktionieren.

Ein harmloses Kästchen …

Wo ich gehe und stehe auf meinen 80 Quadratmetern Wohnfläche, leuchtet mir etwas entgegen, was ich nicht mag. Falls ich es geschafft hätte, alle Uhren richtig einzustellen, wüsste ich auf Schritt und Tritt die exakte Zeit, die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, und ich könnte in allen Räumen Musik hören. (Nur nicht am Klo, weil ich noch keine Übertragung per Funksignal habe.) Prinzipiell möchte ich aufwachen, wann ich will, darum habe ich im Schlafzimmer all die Nervtöter kastriert bis auf einen CD-Player, der auch Radio spielen kann, wenn er will. Er steht gegenüber vom Bett und blinkt gefährlich, von 0.00 bis unendlich. Am Nachttisch liegt ein kleines harmloses Kästchen, das mir den Blutdruck rapid in die Höhe treibt, wenn ich mit zusammengebissenen Zähnen der Reihe nach alle spürbaren Erhebungen drücke, die ich zu fassen kriege. Ich will das erste Lied von der eingelegten Scheibe oder Ö1 und bekomme das letzte oder Ö3. Munter bin ich dann, sogar mit Herzrasen und Ohrensausen. Und mit Beklemmungen.

Über mein Handy beklage ich mich nicht, es kann manchmal ganz praktisch sein. Und im Frühling flötet es mit den Vöglein um die Wette. Aber je kleiner so ein Gerät ist, desto böser. Zur Bedienung brauche ich eine Pinzette und natürlich meine stärkste Lesebrille. Leute, die mich mögen, schicken mir kein SMS. Aber nicht alle wissen, dass mir diese unterschiedlichen Tonsignale für Anruf und Schrieb so zusetzen wie mein Tinnitus. Einmal hat mir jemand ausgiebige Neujahrwünsche geschickt, und war mit meiner Antwort «ebenfalls» nicht zufrieden. Es war angeblich die kürzeste Nachricht, die er jemals bekommen hat. Was soll ich machen, wenn das Ding die Wörter nicht erkennt, die ich gerne schreiben würde? Wenn eine gute Fee käme, um mir einen Wunsch zu erfüllen, müsste es ein Handy mit zwei Knöpfen sein, das nur ein Telefon ist. Ich will damit nicht tanken und auch keine Parkscheine verlängern und keine Zigaretten kaufen. Ich will keinen Fotoapparat, keine Filmkamera, kein Radio, auch keinen Fernseher und kein Internet. Aber es soll Leute geben, die wollen das alles für die Hosentasche, damit sie auch am Klo surfen können.

Die häufigste Nachricht, die ich bekomme, ist die Information, dass mein Guthaben nahezu verbraucht ist. Aber solange man das Handy nicht aus Zerstreutheit in die Mikrowelle legt, wie meine Nachbarin, ist noch nicht alles verloren. Ich habe mir einmal einen Tages-Bestseller gekauft und versucht, diesen Micro SD Trasflash als Datenträger im Fotoapparat zu verwenden. Das Ding war aber für Handys gedacht. Weil sich diese Chips auch so ähnlich schauen.

Wie schaffen das die lieben Kleinen? Es soll jedes dritte Kind zwischen sechs und elf Jahren ein Handy besitzen. Oder ist es bereits jedes zweite? Ganz zu schweigen von «Gaming to go». Dieser ultimative Spaß ist kabellos und kostet die Kleinigkeit von 70 Euro. Oder ist das gar eine Maus, die hier angepriesen wird? Jedenfalls verspricht es die große Freiheit, und selbstverständlich gewinnt man damit immer!

Was man heute alles braucht. Sogar ein Anti-Virus-Programm. Das muss ein Medikament für den Computer sein. Und da will mir jemand allen Ernstes ein Navigationsgerät für meinen Lupo einreden. Ich brauche nur all meine Fahrten programmieren und kann mich nie mehr verirren. Dass ich nicht lache, obzwar – im Supermarkt gibt es sogar eine 1-GB-Speicherkarte vorinstalliert. Ob mir das Fräulein an der Kasse gleich meine wichtigsten Wege innerhalb des Landes einspeichern kann? Jetzt war ich abgelenkt, und schon sitze ich in der Falle: Wo ist der Pfeil, ich brauche ihn zum Anklicken! Alles steht, nichts bewegt sich. Da: Eine kleine Rosette dreht sich und dreht sich und dreht sich … Es passiert einfach. Aber das Schlimmste ist, digitale Instrumente verbrauchen deinen Sauerstoff – es ist ein tägliches Ringen um Luft. Kaufen übers Internet? Was die alles wissen wollen. Keine Ahnung, welche Optionen ich habe. Ich versuche doch alles, um ein antiquarisches Buch zu finden, aber die unendlich vielen «Links» (warum gibt es keine «Rechts»?). Dann muss man womöglich neben der Kreditkarten-Nummer noch die Schuhgröße angeben und den Familienstand. Aber das Schlimmste sind die Kennwörter. Ich habe es schon mit ein paar Dutzend probiert, aber merken kann ich mir kein einziges. Heiliger Isidor, Schutzpatron des Internet, sei mir gnädig. Wenn im Supermarkt gegenüber vom Joghurt etwas Geheimnisvolles passend zum Medion Datenhafen 2 GO winkt, schäme ich mich meiner Unwissenheit. Bitte und wer ist der «Url»? Nicht einmal auf Safari kann ich gehen, weil sich der Server so ungeschickt beim Finden anstellt.

Hundert Topprodukte

Ich frage Sie, ist das ein Leben? Früher bin ich einmal vormittags zum Postkasten gegangen, mit dem Schlüssel, der im Vorzimmer hängt, und habe ihn ausgeleert. So praktisch, gleich neben den Postkästen der Müllraum für das unnötige Prospektmaterial. Heute bin ich nervös und starre alle halben Stunden auf den Schirm, ob da um Gottes Willen ein Posteingang ist. Was brauche ich täglich zum Frühstück Preisvergleiche vom Finanzmarkt serviert, hundert Topprodukte, die neueste Schuhmode und ein paar Urlaubsschnäppchen? Ein anderer Betreff lautet: Frühlingsgefühle für Sie, liebe Frau Gornikiewicz. Es gibt kein Entrinnen. Sie können das Suffix «fpbf» nicht entfernen oder ändern, da es vom Finder benötigt wird. Aber wo bleibe ich? Reden wir lieber nicht vom Receiver und dem Jonglieren mit diversen Fernbedienungen. Und wenn man so ein Ding nicht findet? Kein Problem, dafür wurden jetzt Ständer und Halterungen entwickelt, die das Leben schön machen. Meines nicht.

Einmal ist mir wirklich hundeelend gewesen. Schuld daran war Susis Fuß. Diese ist versehentlich und unbemerkt auf den Schalter der Steckdosenleiste getreten, als ich ihr stolz meine Werke im Fotoprogramm zeigen wollte. Die Leiste liegt unter dem Schreibtisch, weil ich doch alle diese wilden Tiere ans Kabel legen muss. Aus, Schluss, Datenpanne? Eine Terrororganisation? Nein: Die Verbindung zum PPTPP-Server wurde getrennt, da die Netzwerk-Konfiguration geändert wurde. Verdammte Pest, stimmt das Passwort nicht, das ich in die Checkbox schreiben soll? Und wenn ich einmal zufällig irgendwo drinnen bin, entdecke ich Videos und sehr bewegte Seiten: Es flimmert, rutscht hin und her, wirbt, blitzt, ein Frühbucherangebot flitzt vorbei, mir ist schwindlig, jetzt buchen, gleich wird mir übel. Danke genug!!!