Über Frauen und FeminismusDichter Innenteil

Hella Osten am Feminismus Horizont

Das Autor_innen-Kollektiv «Hella Osten» beschreibt im feministischen Kontext weibliche Lebensläufe. Thematische Schwerpunkte sind junge Frauen, junge Flüchtlinge, junge Menschen aus dem sogenannten Osten. Warum West und was ist Ost? Wie beeinflusst unser geografisches Denken Menschen denen wir begegnen? Was haben Grenzen mit Rassismus, Sexismus zu tun? Über Frauen zu schreiben heißt auch sie sichtbar zu machen, ihnen Ausdrucksmöglichkeiten zu geben, ihre Meinung hörbar zu machen. Das ist der elementare Baustein der Kolumne. Das Autor_innen-Kollektiv will Sprachrohr sein, Überbringerin von wichtigen Botschaften der jungen Frauen für unsere Gesellschaft und österreichische Politik. Wir sollten allen gut zuhören. Im hellen Osten des Feminismus-Horizont geht die Sonne auf.

Illu: Hella Osten

Esra Özmen Calling EsRaP!

Über die emanzipierte Freiheitskämpferin Esra anno 2015

Sitze im Café Jelinek am Kaffeehaustisch. Warte. Durch die großen Glasfenster sehe ich eine beeindruckende junge Frau mit wunderschönen gekräuselten dunklen Haaren. Ich glaube es ist Esra. Ja, sie ist es, sie winkt mir zu, wir haben uns erkannt. Hier kommt sie: Esra Özmen, eine umwerfende Erscheinung, ein Kraftwerk an Selbstsicherheit, eine Frau, die in ihrem Körper elementar zu Hause ist. Was für eine Seltenheit! Was für ein Bild! Esra hat mit ihrem Bruder Enes Özmen eine Band. Sie rappen. Esra ist 24 Jahre alt und studiert an der Akademie der Bildenden Künste in der Postkonzeptuellen Klasse. Sie scheibt ihre Texte selber, natürlich. Als sie sich an meinen Tisch gesetzt hat, rappt sie kurz darauf los, einen Text voll Poesie und Schmerz:

-das Leben ist ein Meer, kalt, mit vielen Eisschollen

-keiner bewegt sich mehr, mir sind die Hände angeschwollen

-dazwischen bin ich geboren, vor Kälte erfroren

-zwischen zwei Kulturen, zwei Schollen verloren

-ich sollte auf der Eisscholle der Eltern stehen

-zwei Sprachen sprechen und in die Zukunft streben

-doch die Wiener Eisscholle ist auch mein Zuhause

-jedes Bein auf eine, ich taumle..

-es beginnt zu schneien, ich baue mir einen Schneemann

-mit Liebe mit Herz, er war mein bester Freund man

-er war meine Träume, meine Welt, mein Licht

-viele schauen geradeaus, rechts links keine Sicht

-genau in dem Moment, wo alles schon fertig ist

-wo ich ihn umarme, und plötzlich zeigt die Sonne sich

-alles beginnt zu schmelzen, leer ist jetzt meine Hand

-wir wurden abgestempelt, FREMD IM EIGENEN LAND!

Ich arbeite mit Metaphern, es ist mein Leben, sagt Esra trocken, ich schreibe und singe gegen Rassismus, Frauenrechte, Sexismus und Homophobie aber ich gehe von mir aus, ich versuche über mich zu reden, über das Erleben des Fremdseins. Österreich ist meine Heimat, ja, aber ich könnte nicht sagen, ich bin eine Wienerin. Ich spreche viel Türkisch in meiner Freizeit, das Deutsch in der Schule – das habe ich nie geschafft. Emotion und Sprache sind eins und ich wollte das sein was ich bin. Aber es stört mich nicht, wenn ich mit einem Typen Deutsch rede.

Deutsch ist ja hier Pflichtsache. Ich will frei sein in der Sprache, in der ich mich wohlfühle. Ich bin eine Freiheitskämpferin und ich will selbstbestimmt leben. Aber ja, wir sind nicht alleine auf die Welt gekommen, ein System von Vater, Mutter, Schule, Gesellschaft wirkt auf uns ein und du setzt deine Richtigkeiten auf diese Punkte.

Ich bin österreichische Staatsbürgerin.

Ich lernte Deutsch. Mein Großvater war Gastarbeiter in Wien:

Er sollte brav sein.

Er sollte leise sein.

Er sollte sich ducken.

Er sollte den Mund halten.

Er sollte auf den Boden schauen.

Er sollte nicht vor Österreichern türkisch reden.

Aber er sollte sich integrieren!!

Das alles hat man mit meinem Großvater gemacht.

Ist das nicht Spott und Hohn, frage ich mich und versuche Esras flinker Rede wieder zu folgen. Es hat in der Schule begonnen, schildert Esra pulsierend und intensiv, aber nicht verurteilend. Bildung und Schulsystem haben wenig mit Integration zu tun, denn es ist nicht so, dass jedem und jeder soviel gegeben wird, dass alle auf einer Ebene ihr Leben leben können, ohne Druck.

Bei mir war´s so: Ich habe alles gelernt, alles auswendig. Zuerst war ich auf der Hauptschule, dann bin ich ins Gymnasium in die Karajangasse, eine tolle Schule, dort habe ich es geschafft. Die Krajangasse nimmt Migrant_innen und Flüchtlinge auf. Bei Kindern sollte man mit Freude arbeiten, sie sollen noch nicht den Druck spüren, sie sind noch Kinder und so kreativ, wenn man sie lässt. Für die Matura habe ich zehnmal soviel lernen müssen wie meine österreichische Nachbarin, die perfekt Deutsch konnte. Das war hart. Das sieht man nicht, dass wir türkisch-stämmige Jugendliche hundertmal mehr lernen müssen. Die Liebe zur Musik habe ich erst draußen gefunden. Auf der Uni hatte ich das Privileg Einfluss zu nehmen. Ich bin in die Uni gekommen und habe gedacht, was ist das da, da war eine Performance, alles war neu, ich habe die Diktion nicht verstanden, lauter neue Wörter, die ich nicht kannte und so saß ich zwei Jahre auf der Uni und habe gewartet, bis der Wissensfluss in mich eingedrungen ist. Ich habe nichts abgelehnt und habe es in meine Welt integriert. Wenn der Strom weggeht, dann ist die Welt ganz dunkel, man weiß nicht, irgendwann kommt der Strom, dann leuchtet deine ganz Welt. Schöner kann man es wirklich nicht sagen, denke ich und mir kommen die Tränen, wenn ich Esras Text wieder und wieder lese.

Das Leben ist ein Meer vergiss nicht zu atmen

Auf der Uni sprechen wir viele verschiedene Sprachen, wir reden hauptsächlich Englisch und wir helfen uns gegenseitig, meint Esra ganz selbstbewusst. Sprache ist kein Problem, Sprache wird nicht missbraucht als Ausschließungsmerkmal. Ich bin jetzt im letzten Semester und mache sicher meine Doktorin. Ich hatte ein Projekt laufen in einer Berufsschule wo die Österreicher dann auf Türkisch gerappt haben… es war sehr schön. Wir haben auch gearbeitet mit dem Projekt «Akademie geht in die Schule». Das war für Jugendliche, die nicht wissen, dass es eine Kunst-Uni gibt. Viele fanden die Uni so cool «ich will das unbedingt machen…»

Die Einsamkeit ist so tief hat kein Anfang oder Ende

Was spricht bist nicht du sondern deine Seele

Das Leben ist ein Meer vergiss nicht zu atmen

Bevor dich das Wasser nimmt lern zu schwimmen

Ich war ein Kind und wurde ins Meer geworfen

Unter Blonden war ich die Einzige mit schwarzen Locken

Ja ich war anders ist das mein Fehler

Die Wurzeln trägt man bei sich und zwar immer

Jetzt stell ich die Frage wie erklärt es sich

Hautfarben bilden den Wert und wie ernährt es mich

Ist nicht jeder wertvoll wir sind alle gleich

egal ob Christ Moslem arm oder reich

Was dich nicht umbringt macht dich stärker

und der Kampf geht jeden Tag immer weiter

Es gibt keine Wahrheit in der Welt voller Lügen

Ich bin ein Ausländer mit Vergnügen!

Ich streife kurz das Thema Religion. Bist du religiös, frage ich. Heikles Thema, schaut mich Esra an. Man sieht immer das Äußerliche, aber Religion lebt in einem selber und jeder und jede sollte glauben können, was er oder sie will.

Man glaubt immer an etwas. Es gibt Orientierung im Chaos. Aber ich bin extrem dagegen, von Männern gesteuerte Meinungen übernehmen zu müssen.

Es gibt Milliarden Muslime, die nicht töten! Es ist eine Frage der Politik, man tut es schlecht darstellen. Das ist nicht helal (erlaubt, gut). Beim Feminismus bin ich streng. Ich reagiere emotional, wenn zum Beispiel jemand sagt, du musst zuhause bleiben, weil du ein Mädchen bist. Wir sind auf einem Planeten. Grenzen wurden gemacht. Es ist ein Stern – wir haben ihn zu einem Chaos gemacht.

Das was man bekommt von der Gesellschaft – mit dem wächst man auf!

Jetzt am Ende dieses Interviews ist eines ganz klar: EsRaP sind aufsteigende Sterne am Wiener Rap-Himmel. Ein türkisches Sprichwort sagt: «Musik ist die Nahrung der Seele», und deshalb verbinden sie seit fünf Jahren Texte und Beats zu gesellschaftspolitischen Messages. Im Vordergrund stehen ihre Gedanken und Gefühle zu Themen wie Frauenrechte, der Alltag von Migrant_innen und die Auseinandersetzung mit dem Thema Sprache. Sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund. Die zwei Geschwister stellen sich sozialkritischen Themen und hoffen den einen oder die andere zum Nachdenken zu bringen. Auch Tage später kann ich Esras Kraft und Kämpfernatur immer noch nachspüren, deshalb bitte ich die Leser_innen unbedingt auf Youtube folgendes einzugeben: www.youtube.com/watch?v=ki3SVC-_hjw

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