Sich zu organisieren ist ein Verfassungsrechttun & lassen

Aber auch hinter Gittern?

Heimische Justizanstalten dienen als Billiglohnparadies für die «freie Wirtschaft». Einigen der Gefangenen reicht es jetzt. Nach dem Vorbild deutscher Inhaftierter versuchen sie sich gewerkschaftlich zu organisieren. Christof Mackinger über das Gefängnis als Billiglohnbetrieb.

Foto: Robert Newald

«Flexibler Arbeitseinsatz, geringe Lohnkosten, keine personalbezogene Ausfallzeiten»; mit solchen für Unternehmen paradiesischen Zuständen versucht die Justizanstalt Leoben die Privatwirtschaft anzulocken. Eine «kundenorientierte Abwicklung» und ein «flexibler Arbeitseinsatz» stellen «eine Alternative zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland dar», frohlockt der Werbetext auf der Website der Justizanstalt. Eine Win-Win-Situation – lässt man die Lage der Inhaftierten außer Acht.

Ähnlich wie in Deutschland sind Häftlinge in Österreich zur Arbeit verpflichtet, und zwar zu «der ihnen zugewiesenen Arbeit», so das Strafvollzugsgesetz. Eine Wahlmöglichkeit gibt es nicht. Die Beschäftigungsquote in Strafhaft liegt bei etwa 80 Prozent, wobei viele in sogenannten «Systemerhaltungsbetrieben» wie Anstaltsküchen, Wäschereien etc. beschäftigt sind, wie das Justizministerium auf Augustin-Nachfrage zu berichten weiß. Die Höhe der Entlohnung ist ebenso gesetzlich festgeschrieben wie der «Kostenbeitrag» für den «Unterhalt» – ein Wortlaut, der ganz vergessen lässt, dass wir es mit einem Gefängnis zu tun haben. Der Lohn beträgt vier bis sechs Euro pro Stunde, je nach Tätigkeit – davon werden jedoch satte 75 Prozent für die «Unterbringung» abgezogen. Den meisten Inhaftierten bleibt somit kaum ein Euro pro Stunde. Unter solchen Bedingungen produzieren Gefangene in den Justizanstalten Oberfucha und Korneuburg zum Beispiel Jagdzubehör wie Hochsitze und Wildtierkrippen. In der Justizanstalt Klagenfurt werden Metallwaren wie Grillvorrichtungen oder Stehlaternen gefertigt.

Neben der anstaltseigenen Produktion sind einzelne Gefängnisse schon längst die verlängerte Werkbank der Industrie. So lässt etwa der international renommierte Leiterplattenhersteller AT&S in der Justizanstalt Leoben arbeiten. Leiterplatten sind Träger für elektronische Bauteile und heutzutage aus kaum einem elektronischen Gerät wegzudenken. Inhaftierte verrichten, je nach Bedarfslage, vorbereitende Hilfsarbeiten zur Durchführung der Qualitätskontrollen. Hierzu müssen sie im Akkord Prüfadapter bereitstellen, eine mühsame und montone Arbeit. Auf mehr als 250 Euro im Monat kommt keiner der Arbeiter_innen, bei Vollbeschäftigung. Der Konzern AT&S ist ironischerweise in die Produktion des nachhaltigen Mobiltelefons «Fairphone 2» involviert. Fairphone-Bauteile werden zwar nicht in Gefängnissen hergestellt, die Arbeit hinter Gittern wird von AT&S aber im Rahmen des sozialen Engagements der Unternehmens verstanden: «Häftlinge werden integriert, leisten einen Beitrag im Arbeitsleben, und schlussendlich wird ihnen so der Wiedereinstieg in den Berufsalltag erleichtert. Das ist auch vollkommen in Linie mit unserem Ansatz, der neben ökologischen Bestrebungen auch soziale Komponenten in den Mittelpunkt rückt.»

In den Justizanstalten Stein und Graz-Karlau sind sogar Produktionsstätten von privaten Gewerbebetrieben am Gelände der Haftanstalten angesiedelt. Auf seiner Website umwirbt das Justizministerium die Privatwirtschaft: «Der Vorteil für Sie als Unternehmer besteht darin, dass hochmotivierte Arbeitskräfte sofort zur Verfügung stehen und bei einem derartigen Beschäftigungsverhältnis der Arbeitgeberbeitrag für die Sozialversicherung bei den Lohnkosten entfällt.»

Nicht nur die Auftrag gebenden Firmen sparen sich die Sozialleistungen. Während ihrer Arbeit in Haft fließt kein Cent in die Pensionsversicherung der Inhaftierten. Gerade Langzeitinhaftierte stehen oft vor dem Nichts, wenn sie nach vielen Jahren Haft freikommen, trotz geleisteter Arbeit. Eine miserable finanzielle Situation im Alter ohne Pension trägt nicht gerade zur langfristigen Reintegration in die Gesellschaft bei. Auch in Österreich ist Armut noch immer einer der Hauptfaktoren, die Menschen hinter Gitter bringen.

Der juristische Trick dahinter ist, dass es sich bei der Arbeit in Haft um kein privatrechtliches Arbeitsverhältnis handelt, weswegen laut Höchstgericht mit dem Arbeitszwang und der fehlenden Pensionsversicherung kein Grundrecht verletzt würde.

Eine Gewerkschaft für Gefangene …

Da dies eher eine politische als juristische Frage ist, haben sich deutsche Inhaftierte vergangenes Jahr zur Gefangenengewerkschaft, kurz GG-BO, zusammengeschlossen. Einer ihrer Mitbegründer, Oliver Rast: «Zum Beispiel die gesamte Bestuhlung des Berliner Abgeordnetenhauses wurde in der Polsterei der Haftanstalt Berlin Tegel gefertigt. Da wir den Eindruck haben, dass die Abgeordneten auch bequem sitzen, werten wir das als Hinweis, dass kein Ausschuss produziert wird. Dort wird Qualitätsarbeit geschaffen.» Er musste selbst während seiner dreieinhalbjährigen Haftstrafe Zwangsdienst in Berlin Tegel verrichten.

Die zentralen Forderungen der Inhaftierten sind das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung hinter Gittern, um damit ihre Einbeziehung in den gesetzlichen Mindestlohn und in die Pensionsvorsorge zu erkämpfen. Dass sie damit einen wunden Punkt treffen, beweist allein die, selbst für Rast überraschende Tatsache, dass sich «aus zwei Menschen innerhalb von eineinhalb Jahren knapp 850 Inhaftierte in aktuell über 70 Haftanstalten» der Gewerkschaft anschlossen. «Wir hätten auch gerne, dass Inhaftierte freie Arztwahl haben, weil es viele Belege dafür gibt, dass Haftanstalten nicht in der Lage sind, eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Ganz im Gegenteil, es gibt unendlich viele Beispiele von medizinischer Nicht-Versorgung, mit Folgeschäden oder gar Todesfällen.»

Die Reaktion der Haftanstalten ließ nicht lange auf sich warten: «Es gibt kaum einen GG-BOler, der nicht mit verstärkter Postkontrolle, Zellenrazzien, der Ablösung von der Arbeit oder mit Zwangsverlegungen konfrontiert ist. Wir haben hier die gesamte Palette der knastinternen Schikanen und Repressalien, die an unseren Mitgliedern durchexerziert werden.»

Beirren lassen sich die inhaftierten Gewerkschafter_innen dennoch nicht: «Das staatlich geförderte Sozial- und Lohndumping muss ein Ende haben!», so Oliver Rast, mittlerweile auf freiem Fuß.

… auch in Österreich!

Unter derselben Forderung schlossen sich unlängst auch Inhaftierte der Justizanstalt Graz-Karlau zu einer Sektion GG-BO Österreich zusammen. «Es wurde mit weiteren Inhaftierten in anderen Justizanstalten Österreichs bereits Kontakt aufgenommen, um die GG-BO in den Gefängnissen verstärkt bekannt zu machen», so eine Pressemitteilung der Gefangenengewerkschaft. Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Österreich Unterstützer_innen, welche die gewerkschaftliche Organisierung von außerhalb der Mauern mittragen: «Wir haben mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema im Oktober in einigen österreichischen Städten versucht, einen GG-BO-Unterstützer_innen-Kreis außerhalb der Häfen aufzubauen. Wir wollen Häftlingen organisatorische Hilfeleistungen stellen. Uns geht es hier um fundamentalste demokratische Rechte», erzählt ein GG-BO-Unterstützer aus Wien.

Erste Einschätzungen erfahrener Gewerkschafter_innen sind vorsichtig optimistisch: Der Vorsitzende des Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB) und Mitglied des Bundesvorstandes des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) Josef Stingl etwa meint: «Es handelt sich ja um ein Verfassungsrecht, sich für seine Interessen zu organisieren. Das gilt uneingeschränkt – vor und hinter Gittern.» Wie sieht es aber mit den herkömmlichen Gewerkschaftsstrukturen aus, werden diese eine Gefangenengewerkschaft gutheißen? «Ich fürchte, die Haltung der ÖGB-Führung wird derzeit ablehnend abwartend aussehen. Eine mögliche Gefangenengewerkschaft muss sich daher sicherlich auch eine ‹Bewusstseinskampagne› innerhalb und außerhalb des ÖGBs überlegen.»

In etablierten Gewerkschaftsstrukturen mag die Akzeptanz einer Gefangenengewerkschaft vielleicht ein Problem darstellen. Bei den arbeitenden Inhaftierten selbst scheint sie jedoch den längst bestehenden Wunsch nach fairen Arbeitsbedingungen endlich eine Stimme zu geben.

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