Ältere Arbeitslose im Manteltun & lassen

Die Illusion der Belohnung für Leistung

Die 20.000 gemeinnützigen Jobs für Altersarbeitslose, die Ex-Bundeskanzler Kern schaffen wollte, waren zumindest eine Chance für ein paar Hundert. Kurz und Strache werden diese Möglichkeit wohl bald abdrehen. Kerstin Kellermann (Text) hörte sich auf ­einer Arbeitslosen-Messe um.

Foto: Kasia Jackowska (Kann als Allegorie auf die Situation von arbeitslosen Menschen über fünfzig gelesen werden: ­die konzeptionelle Arbeit des kosovarischen Künstlers Sislej Xhafa auf der Biennale in Venedig)

Beim Hereinkommen fällt als Erstes das Gewusel auf. Hunderte ältere Menschen, die hin und herwogen, wie in einem Stummfilm von Tisch zu Tisch ziehen, gestikulierend mit AMS-Anzugträgern hinter einer Bar diskutieren. Es ist viel zu leise für so viele Menschen in Saal und Vorhalle. Es zieht und ist kalt. Sonst wirkt die Volkshochschule Brigittenau viel einladender und freundlicher, zumindest wenn Ausstellungen angesagt sind. Kein Einziger der Arbeitslosen auf der vom Arbeitsmarktservice Wien veranstalteten Arbeitslosen-Messe hat den Mantel abgelegt. Als ob sie gleich wieder gehen wollen würden, nur einen Moment verweilen, sich schon daran gewöhnt hätten, dass sie ja doch keiner wieder zurück in geregelte finanzielle Verhältnisse aufnehmen will. Ihr Traum einer gut bezahlten, menschenmöglichen Arbeit hat sich sowieso in Luft aufgelöst.

Hinter dem Tischchen für die Volks- und Hauptschulen sitzt ein energischer junger Herr. «Sie brauchen sich gar nicht erst zu bewerben», meint er und kippt mit seinem Stuhl nach hinten. «Die Arbeit bei uns betrifft nur Kopierdienste und Schülerlisten führen. Hilfsdienste für das Schulsekretariat. Außerdem sind wir voll.» Der Angesprochene, der sich gerade niederlassen wollte, erhebt sich wieder. «Wir sind voll», wiederholt auch die junge Frau neben dem Schulvertreter. «Wir Schulen sind beliebt.»

Auf der Arbeitslosen-Messe Anfang Dezember sind keine Rebell_innen zu sehen, keine Menschen, die im Herzen für das Grundeinkommen eintreten und sich lieber künstlerisch oder sonstwie eigenständig ohne Chef und Firma betätigen wollen. Nein, diese scheinen alle Hackler_innen zu sein, die ihr Leben lang geschuftet haben und dann irgendwann aussortiert wurden – zu viele Krankenstände zum Beispiel. Die an die Illusion von der Belohnung für Leistung geglaubt haben – man schuftet, rackert sich ab für die Firma, die doch wie eine Familie wäre –, solche Menschen, die über ihre Grenzen gingen über Jahre und die dann im Alter den gesundheitlichen Preis bezahlen. Auffällig ist, dass sich die Menschen nur zögerlich niedersetzen. Einige haben Bandscheibenschäden, wie eine Migrantin aus dem ehemaligen ­Jugoslawien, die sich aber trotzdem beim AKH bewerben möchte. Bis jetzt hat sie ja auch durchgehalten.

Befristung unerwünscht.

Ein älterer Herr hat einen frischen Verband am Hals, eine Frau eine schlecht verheilte Wunde unter dem Auge. Freundlich versucht Letztere einem 57-jährigen Rauchfangkehrer, der einen Wutanfall erleidet, nahezulegen, sich doch auf den Listen fünf Jobs auszusuchen und dieses Blatt Papier abzugeben. Arbeitslose stauen sich vor und hinter ihm. Der Rauchfangkehrer sieht nicht ein, dass er einen befristeten Job annehmen sollte. Er redet so, als ob eine Arbeit eine Wohnung wäre. Er will einen unbefristeten Hauptmietvertrag sozusagen. Ein gleich alter Nachrichtentechniker fürchtet um seine hohe Notstandshilfe. Da er gut verdiente, ist er hoch angesetzt. Der Ingenieur ist sich sicher, dass der neue Bundeskanzler keinesfalls die Notstandshilfe abschaffen und ein ähnliches Modell wie das deutsche Hartz-IV einführen möchte. Nein, der Herr Kurz wäre doch nur gegen diese Mindestsicherungsbezieher, diese Flüchtlinge, und nicht gegen so Hackler wie ihn, die ihr Leben lang schufteten. Gebürtige Österreicher. Als sich der Nachrichtentechniker dann doch nach reiflicher Überlegung zum Tischchen des Arbeiter-Samariter-Bundes setzt, zuckt sein ganzes Gesicht in einem nervösen Tick. Die junge Frau vom Arbeiter-Samariter-Bund fragt nach und stapelt Lebensläufe. Manche haben noch ganz altmodisch ein analoges Passfoto draufgepickt. Gegenüber die Stühle vor den Tischchen mit den eleganten Damen von den Seniorenheimen bleiben leer. Anscheinend kann sich niemand vorstellen, schwere ältere Menschen zu heben. Eventuell pflegen einige sowieso schon selber zuhause.

Nur wenige gute Jobs.

Ein Kranfahrer regt sich auf: «Das sieht keiner, was wir geschafft haben. Kranarbeit ist gefährlich und verantwortungsvoll. Ich habe sogar den Staplerführerschein nachgemacht – Stapeln ist Millimeter-Arbeit. Das sieht keiner.» Der Kranfahrer, der weder lange sitzen noch stehen kann, weiß nicht, welchen Job er sich aus der Liste aussuchen soll. Das Angebot ist für gesundheitlich vorbelastete Menschen zum Teil eine Verhöhnung («24 Abwäscher gesucht»), andererseits gibt es auch interessante Möglichkeiten, auch wenn die wenigen guten Jobs schnell belegt sind. Zum Beispiel übermittelte die Armutskonferenz, ein Netzwerk von über 40 sozialen Einrichtungen, dem AMS ein Anforderungsprofil für eine freie Stelle und erhielt daraufhin eine Liste mit 13 Namen und suchte sich daraus jemanden aus. Weitere Bewerbungen zwecklos. Öffentlichkeitsarbeit bei der Diakonie, die Stelle war sofort weg – und der Bibliotheksjob bei der Frauensolidarität natürlich auch.

Da die neue Regierung diese frisch geschaffenen, gemeinnützigen Job-Möglichkeiten für ältere Arbeitslose wohl auf ersten Januar 2018 abdrehen wird, bemühen sich momentan viele Menschen, noch schnell in das Programm einzusteigen. Denn wer weiß, was der neuen Regierung noch alles einfallen wird.