Anarchie im Ausgedinge – ein Abschiedsgesprächtun & lassen

Augustin-Gründer Robert Sommer geht in Pension

«Den langsamen Umzug ins Ausgedinge» nennt Robert Sommer den Abschied von einundzwanzig Jahren Redakteursarbeit beim Augustin. Der Schreibtisch ist leergeräumt – wohl zum ersten Mal, seit Robert den Augustin 1995 mitgegründet hat. Mit 1. Jänner beginnt die Pension. Erwin Riess und Lisa Bolyos wollen wissen, wie sich das anfühlt.

Foto: Magdalena Blaszczuk

Lisa Bolyos: Hast du Angst, dass sich der Augustin stark ändern könnte, wenn du gehst?

Robert Sommer: Nein, ich habe keine Angst. Ich glaube nicht, dass sich viel ändert. Glaubst du?

Erwin Riess: Ich erinnere mich noch gut, wie du kurz nach der Gründung des Augustins zu einem Treffen eingeladen hast. Es gab damals eine ganze Reihe von Zeitungen, die ich kommen und gehen gesehen habe. Der Augustin ist geblieben. Nicht zuletzt wegen der unglaublichen Beharrlichkeit, die du an den Tag gelegt hast.

Robert Sommer: Die unglaubliche Beharrlichkeit, so hätte ich das nicht formuliert. Für mich liegt das Geheimnis des Augustins in dem einzigen Prinzip, an das ich immer glaube: Egal was man plant, es kommt ganz anders. Das war die Devise vom Augustin. Wir haben nichts geplant und kein Konzept gehabt, der Max Wachter und ich, und es ist gegangen.

Lisa Bolyos: Diese Leichtigkeit klingt schön. Aber heute haben wir doch eine recht große Verantwortung den vielen Leuten gegenüber, die beim Augustin arbeiten – angestellt oder als Verkäufer_innen. Man kann nicht mehr einfach sagen: Wenn’s nicht geht, geht’s nicht. Noch etwas anderes hat sich allerdings verändert: Wenn du von der Geschichte des Augustin erzählst, sind da sehr viele Männer.

Robert Sommer: Die Redaktion war eine Männerherrschaft, während die Sozialarbeiterinnengründungsgruppe weiblich dominiert war. Eine klassische Aufteilung, die aber weder von den einen noch von den anderen wahrgenommen wurde, weil in beiden Bereichen die Korrekturkompetenz des Feminismus fehlte. Irgendwann haben wir es bemerkt und verändert. Die neue Augustinredaktion möge eine Aufhebung der Gründungsfehler im dreifachen Hegel’schen Sinn sein: bewahren, beenden, auf ein höheres Niveau heben. Warum bewahren? Einiges vom Alten ist bewahrenswert, zum Beispiel das Augenzwinkern beim Schreiben; wofür mann nicht notwendig Frauen braucht! Ich meine, wenn wir schon Paschas sind, können wir doch nicht weniger gut augenzwinkern als ihr.

Erwin Riess: Der Augustin ist, wenn du so willst, das Zentralorgan der Gegenöffentlichkeit.

Robert Sommer: Dass das Gründungsteam durch die Schule der KPÖ gegangen ist, hatte den Vorteil, dass wir immun waren gegen die Umgarnungen der Sozialdemokratie. Die haben sich anfangs wirklich bemüht, den Augustin zu kaufen. Die Sozialstadträtin ist plötzlich vor unserer Tür gestanden mit einem ganzen Tross von Mitarbeiter_innen und einem Fotografen. Den haben wir gleich rausgeschmissen, Händedruckfoto wollten wir keines. Auf der anderen Seite habe ich immer drauf geachtet, dass der Augustin auch nicht der unmittelbare Ausdruck sozialer Bewegungen ist und sich ihrer Sprache bedient, die dann in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr verstanden wird. Mein Anliegen war immer eine Distanz, die es erlaubt, kleine Fehler zu benennen, nicht alles gutzuheißen.

Erwin Riess: Du hattest immer eine Leidenschaft für den Anarchismus.

Robert Sommer: In dem Maße, in dem ich mich mit dem Zentralismus von Parteien wie der KPÖ auseinandergesetzt habe, ist meine Leidenschaft für den ­Anarchismus gewachsen.

Lisa Bolyos: Was bedeutet für dich anarchistisch?

Robert Sommer: Dass ich mich von jenen Formen der politischen Aktion verabschiede, in der die Züge einer gewünschten Gesellschaft nicht schon angelegt sind. Die Linke sollte zum Beispiel die Idee, dass die Menschen sich von Funktionär_innen vertreten lassen, aufgeben zugunsten ihrer Selbstorganisation. Mit der Zeit liebt jeder Funktionär seine Funktion mehr als die Menschen, für die er funktionieren soll. Das war nie anders.

Lisa Bolyos: Was sind für dich die großen Errungenschaften des Augustin?

Robert Sommer: Der Augustin leistet einen Beitrag – und zwar keinen bescheidenen –, dass man in der Stadt keine Angst haben muss, anders zu sein. Oder zumindest weniger als früher. Das halte ich für eine der wichtigsten Errungenschaften von diesem Projekt. Aber auch im Detail hat der Augustin zu Verbesserungen beigetragen: das Verhältnis zu Sandler_innen in der Stadt, oder das Verhältnis zu Afrikaner_innen; ich denke schon, dass wir da eine Rolle gespielt haben.

Erwin Riess: Das Bild vom sogenannten Getretenen in der Gesellschaft hat sich durch den Augustin wesentlich verbessert. Es gibt eine gewisse Würde, die von der Situation des Augustinverkaufens ausgeht. Das ist nicht mehr nur ein Bettler.

Lisa Bolyos: Aber genau dieses «nicht nur ein Bettler» ist ja die Krux, ein ewiger Spagat zwischen unserer politischen Haltung – Solidarität mit allen Armen – und der praktischen Tatsache, dass wir Verkäufer_innen zu vertreten haben, die sich mit ihrer Arbeit durchaus abheben wollen.

Robert Sommer: Ich glaube, da gibt es einen natürlichen Widerspruch im Projekt: Die Sozialarbeiter_innen sind mit den Forderungen der Verkäufer_innen konfrontiert, die bestimmte Bedürfnisse an das Arbeiten im öffentlichen Raum haben und für die das Betteln eine Konkurrenz ist; mir hingegen war es immer wurscht, ob Verkäufer_innen zum Beispiel einen Ausweis haben oder nicht.

Lisa Bolyos: Du hattest als Redakteur auch die Freiheit, dass es dir wurscht war.

Robert Sommer: Ja, ich habe da meine Verantwortungslosigkeit ausleben können.

Ich habe versucht, publizistisch immer gegen Anti-Bettler-Ressentiments zu kämpfen.


Erwin Riess: Warst du bist jetzt jeden Tag in der Redaktion?

Robert Sommer: Nein, ich schreibe daheim von 24 Uhr bis 3 in der Früh. Das ist meine Zeit, da bin ich offensichtlich am hellsten im Kopf.

Lisa Bolyos: Was ich sehr an dir schätze, ist dass du schnell erkennst, ob eine Geschichte wert ist, ihr nachzugehen. Das wird uns fehlen.

Robert Sommer: So sehe ich mich nicht. Ich habe mich oft genug geirrt. Mein Vorzug ist, dass ich bei jeder Unterhaltung im Hinterkopf hab, ob das journalistisch verwertbar ist. Ich kann gar nicht anders! Das ist für Leute, die sich mit mir unterhalten, oft unangenehm. Ich sag: Pfau, des is a Gschicht! Das musst du mir genauer erzählen. Aber die wollen oft gar nicht, dass das publiziert wird, meine Nachfragerei ist ihnen lästig. Meine größte Schwäche wiederum war die Unfähigkeit, investigativen Journalismus zu betreiben.

Lisa Bolyos: Worin liegt die begründet?

Robert Sommer: Ich hab zu große Dis­tanz zu der Welt, in die man dafür eintauchen müsste.

Lisa Bolyos: Oft sagst du, die Redakteursarbeit wird dir nicht abgehen, nur schreiben willst du weiter. Was magst du nicht an der Redakteursarbeit?

Robert Sommer: Befehle erteilen. «Du musst den Text bis morgen Mittag mailen.» Der mir sympathischste aller Sprüche von Sartre, die ich kenne, lautet sinngemäß: Ich habe noch nie Befehle erteilen können, ohne über mich zu lachen, und noch nie hat jemand meine Befehle entgegengenommen, ohne über sie zu lachen.

Lisa Bolyos: Was ich am Augustin mag, ist seine Menschenfreundlichkeit. Der Augustin steht dafür, Berührungsängste abzubauen, nicht dogmatisch zu sein.

Robert Sommer: Aber es gibt eine Parteilichkeit. Wir sind nicht zu allen Menschen menschenfreundlich, sondern eher zu denen, die keine Macht haben. Die Avantgarde der Menschenfreundlichkeit sind wir nicht. Dazu fällt mir folgende Geschichte ein: Pier Paolo Pasolini hat einmal beobachtet, wie Studenten aus Bologna eine wüste Straßenschlacht mit Polizisten geliefert haben. Und der Pasolini hat begründet, warum er auf der Seite der Polizisten ist: Weil sie die Arbeitersöhne sind, und die radikalen linken Studenten waren die Bürgersöhne. Also war für ihn klar, da muss man zu den Polizisten helfen. Das waren die armen Schlucker. Diese Menschlichkeit haben wir nicht erreicht. Für uns sind Bullen Bullen.

Lisa Bolyos: Wir reden viel über die Armen. Was soll der Augustin mit den Reichen in der Stadt machen?

Robert Sommer: Da sind wir Opfer der Tatsache, dass es in Wien Armuts-, aber keine Reichtumsforschung gibt. Wenn das Stichwort Parallelgesellschaften fällt, dann denkt jeder an die Türken oder an die Chinesen, aber niemand denkt an die Reservate der Reichen. Es gibt auch kein Bewusstsein darüber, welche soziale Schicht uns im Parlament vertritt.

Lisa Bolyos: Was wirst du machen, wenn du in Pension gehst?

Robert Sommer: In erster Linie werde ich euch mit meinen langen Artikeln nerven. Bis ihr zum Schluss beklagt, dass ich in Pension gegangen bin – da hättet ihr mich lieber in der Redaktion behalten, wo ich weniger zum Schreiben komm! Außerdem möchte ich die Schreibwerkstatt reaktivieren – unter dem Titel «Anstalt für Dichtungen aller Richtungen». Und ich hab ein neues Hobby: den Perinetkeller.

Erwin Riess: Da kommt man mit Rollstuhl aber nicht runter.

Robert Sommer: Das stimmt schon. In dem Keller haben die Aktionisten ihre Kunst gemacht. Wir haben ihn von der Kulturabteilung der Stadt Wien übernommen, um zu verhindern, dass er kommerzialisiert wird.

Lisa Bolyos: Hast du auch klassische Pensionspläne?

Robert Sommer: Fliegen werde ich nicht viel, dazu bin ich viel zu sehr Klimaaktivist. Ich bin ja büchersüchtig. Und in der Pension besteht vielleicht die Chance, dass ich mehr als 10 Prozent der Bücher lese, die in meiner Bibliothek stehen. Ich hab nicht den Anspruch, dass man ein Buch zu Ende lesen muss. Ich nehme ein Buch aus dem Regal, bin überrascht, dass ich das habe, das hab ich noch nie gesehen! Dann les ich ein Kapitel und leg’s wieder ab. Dieser Kultur des Reinlesens kann ich dann vielleicht mehr frönen.

Lisa Bolyos: Wenn ich dich um eine Anekdote ersuche, die dir gut in Erinnerung geblieben ist, welche ist das?

Robert Sommer: Ein Verkäufer hat mich einmal mit der Frage verblüfft: Was sagst du als Unbeteiligter eigentlich zum Thema Intelligenz? Da habe ich gespürt, dass ich dem Wiener Schmäh nicht gewachsen bin.