Das Böse kommt aus Nordafrikatun & lassen

300 Straftaten mehr werden das Abendland nicht untergehen lassen

Zum Thema «Asylwerber und Kriminalität» gibt es zwei Wahrnehmungen, die täglich publiziert werden. Die erste: Die Bundesregierung gaukle der Bevölkerung ein falsches Sicherheitsgefühl vor. Die zweite: In der Bevölkerung werde gezielt ein falsches Unsicherheitsgefühl verbreitet. Keine Überraschung: Natalie Gosrup findet letztgenannte These belegbarer.



Ende des vergangenen Jahres glaubte eine Rechtsfraktion im österreichischen Parlament, das sonst nicht gerade durch Seriosität und parlamentarische Initiative auffallende «Team Stronach», einen Beweis gefunden zu haben, dass die Auswirkungen der «Flüchtlingskrise» auf die Kriminalitätsentwicklung offiziell heruntergespielt werde. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Asylwerbende sei von 8484 Straftaten im Zeitraum Jänner bis Dezember 2014 auf 9513 Straftaten in einem viel kürzeren Zeitrum des Jahres 2015, nämlich von Jänner bis August, explodiert. Das könne doch nur so erklärt werden, dass innerhalb der Flüchtlingswelle viele Kriminelle ins Land geschwemmt würden. 

Lukas Schmid, Leiter des dem Justizministerium unterstehenden Vereins «Neustart Oberösterreich» (ehem. Verein für Bewährungshilfe), weist auf die Banalität dieser Aussage hin. Naturgemäß nehme der Anteil der Anzeigen gegen Asylwerbende in einer Situation der drastisch steigenden Anzahl von Asylanträgen zu! Das bedürfe keiner besonderen Erklärung. Bereits in den ersten acht Monaten des Jahres 2015 wurden mit 46.133 Anträgen bedeutend mehr Asylanträge als im gesamten Jahr 2014 (28.027) gestellt. Lässt sich aus der Zahl der Anzeigen die Kriminalitätsentwicklung berechnen? Sicher nicht!. Eine Anzeige ist doch nicht mit einer begangenen Straftat gleichzusetzen. Viele angezeigte Sachverhalte erweisen sich als nicht strafbar. Andrerseits werden viele verbotene Vorgänge nie angezeigt. Einzelne Tatverdächtige können auch mehrmals erfasst sein. Mangels vorhandener umfassender Dunkelfeldforschung in Österreich ist eine Orientierung an diesen Zahlen also unbefriedigend. 

Herauslesen lässt sich aus den Zahlen, die das Innenministerium bekanntgab, laut Lukas Schmid Folgendes: «Im Deliktsverhalten scheinen sich die straffälligen Asylwerbenden wenig von den übrigen Straftätern in Österreich zu unterscheiden. Das Gros der Delikte bezieht sich auf Delikte gegen fremdes Vermögen, gefolgt von Delikten gegen Leib und Leben. Auffällig ist eine anteilsmäßig überproportionale Häufung von Urkundendelikten, was wohl gefälschten Einreisepapieren geschuldet ist.»

Stichwort sexualisierte Gewalt beim Kölner Karneval. Oftmals wird Asylwerbenden eine besondere Häufung von Sexualdelikten unterstellt: 2014 wurden 120 tatverdächtige Asylwerbende wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung angezeigt; dem stehen jährlich gesamt 3511 Tatverdächtige in Österreich (2014) gegenüber. Im Jahr 2014 gingen gesamt 1,8 Prozent der Anzeigen auf das Konto von Asylwerbenden; insgesamt gingen die Anzeigen in Österreich 2014 gegenüber 2013 um 3,4 Prozent zurück. 

Man könne diese Fakten nur so interpretieren, sagt Schmid: «Es deutet wenig darauf hin, dass die Asylwerbenden Österreich derzeit tatsächlich zu einem unsicheren Ort machen. Panikmache ist genauso fehl am Platz wie die Negierung drohender Probleme. Denn in einem sind die – oft jungen – Asylwerbenden ähnlich wie wir Österreicher_innen: Mangelnde Teilhabechancen und mangelnde Anerkennung befördern nicht die Identifikation mit den Werten unserer Rechtsgemeinschaft. Langeweile und Perspektivlosigkeit sind ein Sicherheitsrisiko. Schnellere Asylverfahren und ein Zugang zu legaler Beschäftigung wären daher auch kriminalpolitisch dringend notwendige Schritte.

 

Der Mythos von den «zornigen jungen Männern»

 

Man könnte nun einwenden, der Chef einer Landesorganisation von «Neustart» unterlege quasi einer professionellen Verpflichtung, die behauptete Identität «Flüchtling aus islamischen Ländern = Frauenvergewaltiger» gutmenschlich aufzulösen. Ulf Küch, Braunschweiger Kripo-Chef, gehört nicht zu denen, die zu Beginn der Flüchtlingswellen auf die Bahnhöfe stürzten (und sich ärgerten, dass Syrier_innnen die geschenkten Mineralwasserflaschen gefüllt liegen ließen: eine größere Dankbarkeit hätten sie schon erwartet.) Die Angst vieler Menschen vor dem «ganz Anderen», sprich vor den «zornigen jungen Männern» (Chiffre für nordafrikanische oder syrische Jugendliche), war für Küch der Anlass, eine Sonderkommission zu gründen, die Soko Asyl. Beim Start im August 2015 war sie Küch zufolge die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland. 

Über seine Erfahrungen berichtet der Chef der Kriminalpolizei in Braunschweig nun in dem Buch «Soko Asyl». «Eine Sonderkommission offenbart überraschende Wahrheiten über Flüchtlingskriminalität», konzediert selbst die «Welt», die Tageszeitung der halbgebildeten Rechten. Tatsächlich sei er verblüfft gewesen, als herauskam, dass bei den Flüchtlingen, die nach Deutschland eingereist sind, der Anteil von Kriminellen prozentual nicht höher als der Anteil von Kriminellen in der deutschen Bevölkerung sei, schreibt Küch. Als im vergangenen Jahr in Braunschweig 40.000 Menschen ankamen, stieg die Zahl der Straftaten in der 250.000-Einwohner-Stadt um 300 (dreihundert). «Das ist wohl nicht der Untergang des Abendlandes», sagt der Polizist.

Die Regierungsspitze, allen voran die Minister_innen Mikl-Leitner und Kurz, müsste solchen Untersuchungen Publizität verschaffen, wenn sie einer Politik der Gefühle ein Programm der Aufklärung entgegensetzen wollte. Dazu müsste sie auf die Angstmache der Medien Einfluss nehmen. Diese bieten dem Volk seit «Köln» eine neue Sündenbocktheorie an: den «notgeilen« jungen Nordafrikaner. Zu diesem Zweck entdeckten die Polizei- und Gerichtsreporter von «Krone», «Heute» und «Österreich» eine neue Delikt-Art: Frauen unter die Röcke zu fassen. Diese frauenverachtende und global weit verbreitete Geste des Patriarchats war bis 2014 für die genannten Blätter nicht erwähnenswert. Da konnten sich Feministinnen noch so sehr bemühen. Zur Tat wird diese sexualisierte Gewalt aus der Perspektive der Boulevardmedien erst, wenn die Tatverdächtigen aus Nordafrika stammen.