Die AfrikanerInnen Wiens nach den „Erfolgen“ der Operation SpringHeroes

"You will Burn in Hell!"

Viele AfrikanerInnen in Wien, vielleicht die meisten, kämpfen um ihr nacktes Überleben. Seit dem Tod des Nigerianers Marcus Omofuma im Abschiebeflugzeug, seit den darauf folgenden Polizeiaktionen der „Operation Spring“ gegen die afrikanische Community sind die Schwarzen zur vielleicht diskriminiertesten Bevölkerungsgruppe des Landes geworden. Wenn sich Menschenrechtsgruppen hinter Männer wie Obiora Ofoedu oder Emmanuel Chukwujekwu stellen, wirft man ihnen vor, sich mit der „Drogenmafia“ zu solidarisieren. Weit davon entfernt, eine solche zur Strecke zu bringen, hat „Operation Spring“ nur eines erreicht: In unendlich vielen Hirnen herrscht der Nebel des Ressentiments.Obiora Ofoedu ist seit Mai 1999 besser bekannt als „Drogenboss Charles O.“ Die Polizei und die Kronenzeitung haben ihn zum Drogenboss gestempelt. Verhaftet wurde er am Morgen des 27. Mai, dem Tag 1 der „Operation Spring“. Gemeinsam mit rund 100 anderen Afrikanern, die Opfer der „größten Drogenrazzia der Zweiten Republik“ wurden. Drei Monate saß er in Untersuchungshaft und musste zusehen, wie die Medien seinen Ruf ruinierten. Wegen Fehlens eines dringenden Tatverdachtes wurde der aus Nigeria stammende Schriftsteller schließlich enthaftet. Er wird weiter beobachtet, denn die Polizei tut immer noch so, als sei er ein Drogenboss. Sein Konto ist nach wie vor gesperrt. Obiora Ofoedu alias Monster Charles O. ist völlig verarmt.

„Es war früh am Morgen, wenn der Schlaf noch süß ist. Ein eigenartiges Klopfen an der Tür weckte mich. Es klang, als wenn Menschen aufeinander einschlugen. Oder wie eine Bande bewaffneter Räuber, die die Tür zu meiner Wohnung aufbrachen. Ich war plötzlich aufgewacht, gedankenleer, und ich beeilte mich, die Tür meines Schlafzimmers zu öffnen. Schwer bewaffnete Menschen standen davor. Mein Herz blieb stehen – ein Dutzend Männer kamen auf mich zu, warfen mich auf das Bett und legten mir Handschellen an.“

Nur Lesungen bringen Obiora Ofoedu ab und zu etwas Geld. Etwas Geld wird ihm vielleicht auch sein Buch „Morgengrauen“ bringen, das der Wiener Mandelbaum-Verlag vorbereitet. Ein literarisches Protokoll seiner Verhaftung (es beginnt mit den oben zitierten Zeilen) und seiner dreimonatigen Untersuchungshaft, das Protokoll eines politischen Gefangenen – denn was ihm die Polizei wirklich vorwerfen kann, ist die Mitorganisation einer Demonstration gegen Rassismus im Gefolge der Ermordung Omofumas. Aber das Buch kommt frühestens im April auf den Markt. Wo wird Obiora Ofoedu zu diesem Zeitpunkt sein? Sein Visum läuft dieser Tage ab, doch das Innenministerium – in der Falle seiner eigenen Konstruktion „Charles O. ist gleich Drogenboss“ – wird ihn nicht abschieben wollen.


Die Stimme Gottes hinter Gittern

Sein Landsmann Emmanuel Chukwujekwu – in der Ibo-Sprache heißt das: „Die Stimme Gottes“ – ist nicht enthaftet worden. Er sieht seinem Prozess entgegen. Laut Polizei soll er ein fast so großer Drogenboss wie Charles O. sein. Es ist völlig isoliert. Nur sein Anwalt Lennart Binder besucht ihn regelmäßig im Wiener Landesgericht. „Chukwujekwu stürzt sich auf alle englischsprachigen Bücher, die er in der Gefängnisbibliothek findet“, sagt Binder.

Die AktivistInnen der Bürgerrechtsgruppe GEMMI (Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und ImmigrantInnen) dürfen „Operation Spring“-Untersuchungshäftlinge seit November 1999 nicht mehr besuchen. „Laut Mitteilung der Justizanstalt Josefstadt besteht der Verdacht, dass durch Besuche von Personen der GEMMI bei den Untersuchungshäftlingen deren passiver Widerstand koordiniert werden solle.“ Es sei davon auszugehen, dass durch die Erteilung von Besuchsbewilligungen an GEMMI-Mitglieder „die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt gefährdet ist“, heißt es in einem entsprechenden Bescheid. Beweise dafür werden keine genannt.

Der Fall der „Stimme Gottes“ steht für die vielen Verfahren, die zur Zeit Schlag auf Schlag gegen die Inhaftierten der „Operation Spring“ durchgeführt werden. Die Prozesse werden mehr oder weniger abseits des öffentlichen Interesses durchgezogen. Das Besuchsverbot ist ein Mittel der Aufmerksamkeits-Minimierung. Auch die Mitglieder der nigerianischen bzw. afrikanischen Community in Wien bringen „ihren“ Untersuchungshäftlingen nur wenig Aufmerksamkeit entgegen. Die schwarze Gemeinde ist zersplittert und eingeschüchtert: Die irrationale, aber im Massenbewusstein verankerte Gleichsetzung „Schwarzafrikaner = Drogendealer“ verleitet die AfrikanerInnen dazu, in die Unsichtbarkeit abzutauchen. Nach der Ermordung Omofumas gab es kurz einen Ruck durch die Community: Die Farbigen-Vereine politisierten sich, viele AfrikanerInnen trauten sich zum ersten Mal auf die Straße, um öffentlich gegen den Rassismus in Österreich zu demonstrieren. Dem Staat ist es mit „Operation Spring“ offensichtlich gelungen, diesen kurzen Frühling des Widerstandes rasch im Keim zu ersticken. In den Köpfen der AfrikanerInnen hat sich folgende Regel festgesetzt: „Beim kleinsten falschen Schritt sind wir dran“.


„Drogenkartell“ ein konstruiertes Wahngebilde?

Der Vorwurf der GEMMI-Leute, die sich am engagiertesten für die Untersuchungshäftlinge einsetzen, lautet: Die Verhandlungen gegen die AfrikanerInnen sind ein Justizskandal, ein Akt von staatlichem Rassismus. Die angebliche Mitgliedschaft der Betroffenen in der „nigerianischen Drogenmafia“ (bisher nicht mehr als ein konstruiertes Wahngebilde, sagen die MenschenrechlerInnen) soll die übermäßig hohen Strafen legitimieren. Und die Verfahren selbst, so GEMMI, seien reine Farce: Abhörprotokolle würden von unqualifizierten Dolmetschern übersetzt, Belastungszeugen würden prinzipiell nicht vorgeladen und den Angeklagten gegenübergestellt und die Pflichtanwälte pflegten ihre Mandanten zu überreden, sich schuldig zu bekennen.

Der AUGUSTIN versuchte, die verantwortliche Untersuchungsrichterin Sonja Weiss mit diesen Vorwürfen zu konfrontieren. Die Richterin erklärte sich zu keiner Aussage bereit. Sie verwies auf Mag. Forsthuber von der Pressestelle des Wiener Landesgerichts für Strafsachen. Dieser behauptete gegenüber dem AUGUSTIN: „Zeugen, die greifbar sind, werden zur Hauptverhandlung vorgeladen. Wenn nicht, wäre das ein Verfahrungsmangel, der vom Anwalt des Angeklagten geltend gemacht werden könnte. Allerdings sei es in diesem Milieu (die Zeugen kommen aus der Drogenszene – die Red.) leicht möglich, dass sie eben nicht greifbar sind, dass sie untergetaucht sind. Dann können die Zeugenaussagen nur verlesen werden. Wir haben faire Verfahren, die Anwälte der Angeklagten können jederzeit Anträge

stellen“.


Wer übersetzt die Abhör-Protokolle?

Mag. Forsthuber weiter: „In Hauptverfahren werden ausschließlich Dolmetscher zugezogen, die entweder vom Präsidenten des Landesgerichtes oder vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes vereidet wurden, also die auf der offiziellen Dolmetscherliste stehen“. Man kann daraus schließen, dass außerhalb des Hauptverfahrens auch nicht beeidete und nicht professionelle Dolmetscher verwendet werden. Gerade hier wäre aber Professionalität und Objektivität gefragt, denn es geht zum Beispiel um die Übersetzung der Abhör-Tonbandaufnahmen, um die Übertragung von einer afrikanischen Sprache (meistens Ibo) ins Deutsche.

„Ahia ist das Ibo-Wort für Markt. Das Wort taucht in den Tonbandprotokollen immer wieder auf. Die Polizei aber behauptet, dass Ahia unter den nigerianischen Dealern das Codewort für Rauschgift ist. Es wäre also wichtig, zu wissen, in welchem Zusammenhang das Wort fällt“, meint Anwalt Binder im Gespräch mit dem AUGUSTIN. Für ihn ein Beispiel dafür, dass die Beiziehung qualifizierter Dolmetscher schon im Vorfeld nötig ist. Er jedenfalls würde Rechtsmittel einbringen, um dieses durchzusetzen.

Laut GEMMI-Beobachtungen spielen die Dolmetscher zuweilen eine sonderbare Rolle. Dem AUGUSTIN liegt der Bericht der Menschenrechtsgruppe über einen Prozess vom 26. 11. 1999 (Richterin: Martina Huber) vor. Demnach ist der Angeklagte wiederholt von seinem Pflichtanwalt sowie vom Dolmetscher in die Mangel genommen worden, seine Strategie zu ändern. Der Dolmetscher drohend zum Angeklagten: „You will burn in hell, not us!“

Mag. Forsthuber von der Pressestelle: „Man kann davon ausgehen, dass bei den Verfahren die Hautfarbe mit Sicherheit keine Rolle spielt. Es sind alle Voraussetzungen für faire Verfahren gegeben. In Österreich bietet das Prinzip des Berufsrichtertums und die Richterausbildung die Gewähr dafür, dass es die Angeklagten nicht mit wahnsinnigen Rassisten zu tun haben“.

Dem will Anwalt Lennart Binder nicht widersprechen. Sehr wohl gilt sein Widerspruch der Halluzination der Organisierten Kriminialität. „Für mich gibt es keine Beweise für das große nigerianische Drogenkartell“, sagt er. „Wenn die Gefangenen überhaupt etwas mit Dealen zu tun haben, dann sind sie Schmalspur-Dealer, die sicherlich nicht das große Geld machen“. Tatsächlich hat man bei niemandem größere Geldsummen gefunden.


Populistische Idealkombination: Ausländer & Drogen

Doch die wenigen engagierten Menschen, die die grassierende Dealer-Paranoia zu hinterfragen und die pauschale Verurteilung von Menschen mit dunkler Hautfarbe zu bekämpfen versuchen, stoßen auf Mauern, die immer mächtiger zu werden drohen.

Die erste Mauer ist die Wirksamkeit populistischer Politik, gegen die kein Kraut zu wachsen scheint. Die beiden Hauptthemen populistischer Politiker, Ausländer und Drogensucht, können in der Konstruktion der afrikanischen Drogenmafia sozusagen optimal kombiniert werden.

Die zweite Mauer besteht in der breiten Akzeptanz des Ausbaus polizeistaatlicher Bürgerüberwachungs-Methoden wie des sogenannten Lauschangriffs. Dadurch zielt die Warnung von Menschenrechtsgruppen, der Staat müsse Organisierte Kriminalität gleichsam „erfinden“, um die Überwachungssysteme zu legitimieren, ins Leere.

Die dritte Mauer ist die Dämonisierung von Sucht und die breite Vorherrschaft irrationaler Ansichten über Drogen. Eine rationales Herangehen würde sehr rasch die Prohibition von Drogen in Frage stellen, die Entkriminalisierung von Konsum und Weitergabe einleiten und die „Drogenmafia“ in Luft auflösen.

Unendlich weite Wege, so scheint’s, sind bis dahin noch abzuschreiten. Doch die AfrikanerInnen in Wien, innerhalb wie außerhalb der Gefängnisse, brauchen hier und heute konkrete Hilfe. „Und es müssten sich Menschen finden, die sich um die Hintergründe der Immigranten aus Afrika kümmern“, sagt Lennart Binder, Anwalt der „Stimme Gottes“: „Was hat so einer in seinem Heimatland erlebt? Warum will er bei uns Asyl? Und welche Umstände machen ihn zum Schmalspurdealer?“


Kontakt: GEMMI, 1070 Wien, Stiftgasse 8 (Amerlinghaus), Tel. 523 64 75 (Lisa verlangen).

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