Die Anstandsverletzungtun & lassen

Juristisch betrachtet: Wem gehört der öffentliche Raum? (2)

Im ersten Teil unserer juristischen Betrachtungen über die «Eigentümer» und/oder Nützer_innen des öffentlichen Raums (Ausgabe 377) wurde darauf hingewiesen, wie leicht die Polizei gesetzliche Instrumentarien findet, missliebige Individuen schon wegen jeder Bagatelle zu bestrafen. Angesehene Bürger_innen können tun, was sie wollen: Der Vorwurf der «Anstandsverletzung», die im Mittelpunkt dieses Beitrags steht, ist immer nur an Unterprivilegierte gerichtet.

Foto: Mario Lang

Salzburg hat offenbar aus den ausschweifenden Biographien Mozarts und Trakls gelernt und sorgt sich darob besonders penibel um den Anstand im Lande. «Den öffentlichen Anstand verletzt, wer ein Verhalten setzt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten darstellt, insbesondere wer (…] öffentliche Einrichtungen wie Denkmäler, Brunnen, Sitzbänke oder Unterstände in anstößiger Weise nützt, etwa indem andere Personen am bestimmungsgemäßen Gebrauch dieser Einrichtungen, soweit ein solcher in Betracht kommt, gehindert werden.» Man versteht, dass damit Punks, Bettler_innen und Rucksacktourist_innen gemeint sind.

Die Landesfürst_innen können sich natürlich nicht um jeden Furz kümmern. Aber sie können sich auf die feinen Spürnasen ihrer Exekutivorgane verlassen. Aus einem Gendarmerieakt: «Zeit: 20. 5. 1990 – 7.25 Uhr. Ort: Ortsgebiet Zistersdorf in den Amtsräumen des Gendarmeriepostens Zistersdorf. Tatbeschreibung: Durch die Ankündigung und Ausführung eines Darmwindes den öffentlichen Anstand verletzt. Sie haben in Anwesenheit von drei Gendarmeriebeamten [offenbar eine qualifizierte Öffentlichkeit, EFM.] angekündigt «Jetzt lasse ich einen Schaß» und diesen dann hörbar entweichen lassen.»

Am 26. Juli 2009 beobachtet der 19-jährige Hans Sporer bei einem Zeltfest in Frohnleiten in der Steiermark um halb vier in der Früh einen Polizeieinsatz. Einige Tage später erhält er eine Strafverfügung folgenden Inhalts: «Sie haben sich zum angeführten Zeitpunkt, am angeführten Ort, aufgehalten und durch das beschriebene Verhalten den öffentlichen Anstand verletzt. Das angeführte Verhalten widerspricht der herrschenden Sitte und hat die allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit in der Öffentlichkeit verletzt. Sie haben einer Amtshandlung der Polizei als Unbeteiligter beigewohnt und neben den Beamten und den beteiligten Personen einen Darmwind (Furz) gelassen, was unter den Anwesenden zu großem Gelächter geführt hat.» Strafe: 50 Euro. Bei einem Zeltfest in Frohnleiten in der Steiermark um halb vier in der Früh.

«Ficken» als Tätigkeit ist im öffentlichen Raum natürlich unzumutbar, als ausgesprochenes Wort aber nicht immer eine Anstaltsverletzung. Aus dem Urteil eines steirischen Verfahrens:

Wie bereits ausgeführt, ist das gegenständliche Getränk in Deutschland und Österreich zum Verkauf zugelassen und auch in Deutschland als Wortmarke geschützt. Es handelt sich dabei um einen Likör, auch Partyschnaps genannt, bestehend aus Johannisbeere und Stachelbeere sowie Jostabeere. Ob die Bezeichnung eines Getränkes mit dem Wort Ficken dem guten Geschmack entspricht, sei dahingestellt. Jedenfalls wird dieses Wort heute (von Männern und Frauen) als vulgäres, aber nicht unbedingt negativ besetztes Wort im persönlichen Umgang verwendet. Darüber hinaus wird das Wort auch verwendet, wenn eine besondere Intensität betont werden soll. Auch im Duden ist dieses Wort angeführt. Anhaltspunkte dafür, dass das Wort durch Bewerbung eines im Handel befindlichen Getränkes geeignet wäre, das Sittlichkeitsempfinden einer Person in unerträglicher Art und Weise zu verletzen, sind der Berufungsbehörde [UVS] nicht bekannt. Vielmehr bedienen sich diesem Wort Kommunizierende [sic!] aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen: Es ist Bestandteil einer Reihe von Titeln auf Bühnen gespielter Theaterstücke [sic!] sowie mehrerer Film- und Buchtitel. So wurde beispielsweise M R Shoppen & Ficken 1998 zum Berliner Theatertreffen eingeladen und zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt. W S, Autor des Theaterstückes «Mesalliance aber wir ficken uns prächtig» wurde 1992 von der Fachzeitschrift Theater heute zum Dramatiker des Jahres gekührt [sic!] und zählt zu den meistgespielten Dramatikern deutscher Sprache. D F ist Autor des u. a. am Jungen Theater Bremen gespielten Stücks mit dem Titel «Ficken vor der Kamera». Im Jahre 2002 hat die Regisseurin A G den deutschen Film «Fickende Fische» gedreht. Die Buchvorlage des gleichnamigen Films der Regisseurin V De ist unter dem Titel «Baise-moi – Fick mich» in deutscher Sprache im Rowohlt-Verlag erschienen. Gleichzeitig existiert am deutschsprachigen Markt eine Mehrzahl von Buchtiteln, die, wie beispielsweise der Titel «Engel fickt man nicht» von M. Hr, das Wort in grammatikalischer Abwandlung enthalten. Zusammenfassend ist festzustellen, dass im gegenständlichen Fall von keiner Anstandsverletzung auszugehen war. Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

Im letzten Teil unseres juristischen Nachhilfeunterrichts wird gefragt, ob man öffentlich die Faust in der Hosentasche ballen darf.