Silviu

Karate im Untergrund

Kagraner Platz

Ich verkaufe den Augustin beim Kagraner Platz, ein sehr guter Platz, es kommen sehr viele Leute vorbei. Nette Leute. Der Augustin ist sehr interessant, und den Leuten gefällt die Zeitung, denn sie zeigt auch die Probleme der Menschen, und nicht, dass alles rosa ist und perfekt wie in manchen Magazinen.

Die Menschen sind auch zufrieden mit dem ganzen Projekt, weil man ein bisschen Geld verdienen kann, ansonsten könnten manche vielleicht gar nichts machen. Aus gesundheitlichen Gründen kann ich nicht mehr so lang gehen oder stehen und kann deshalb nicht mehr so viele Zeitungen verkaufen wie früher. In Rumänien war ich Karatetrainer. Karate ist ein schöner Sport, sehr komplex. Ich hab mit 7 Jahren angefangen. Ich war gut. Es war noch zu Ceaușescus Zeit, also vor 1989, es war verboten, Karate auszuüben, also habe ich das im Untergrund gemacht. Medaillen habe ich schon gewonnen, aber die durften nicht so heißen, also haben wir gesagt, es ist eine Judo-Medaille. Judo war erlaubt. Judo war nicht so hart, deswegen war es wohl erlaubt.

2003 bin ich von Rumänien nach Österreich gezogen. Ich habe in einem Restaurant gearbeitet, das dann aber nicht mehr so gut lief, und ich habe meinen Job verloren. Danach bin ich zum Augustin gegangen. Nach Wien bin ich mit meiner früheren Ehefrau gekommen. Wir sind sehr unterschiedlich, sie trinkt, sie raucht, ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol, sie ist schlank, ich bin dick geworden. Das wäre aber alles nicht so wichtig gewesen, aber als wir dann Probleme hatten, hat es nicht mehr funktioniert, und wir haben uns getrennt. Wir haben eine Tochter. Sie ist 19 und studiert hier in Wien. Meine Tochter treffe ich jede Woche.

Nach der Scheidung habe ich eine Zeitlang im Hotel Bauer gelebt, im 15. Bezirk. Dann wurde ich krank. Mit meinem Rücken hatte ich Problem, mit meinen Knien, mit dem Blutdruck, mit meinem Herzen – alles auf einmal. Sport musste ich komplett aufgeben, deshalb habe ich zugenommen. Solange ich gesund war, brauchte ich keine E-Card, und jetzt habe ich keine, und es ist schwierig. Ich gehe zu den Barmherzigen Brüdern. Letztes Jahr hatte ich eine Nierenoperation, ein großer Stein wurde entfernt. Es gibt noch einen kleineren Stein, und den haben sie nicht herausoperiert. Zurzeit ist es nicht so schlimm, vielleicht zerbröselt der Stein.

Ich glaube an Gott, und ich weiß, er verlässt mich nicht. Bei einer Kirche habe ich was Nettes gelesen: Gott hat keinen Urlaub. Ich wünsche mir, dass Gott die Mentalität der Menschen verändern könnte, dass sie mehr lieben.

Foto: Mario Lang 

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