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Über die Verschandelung des öffentlichen Raums durch Raiffeisen

Keine andere Institution ist im öffentlichen Raum hierzulande stärker präsent als Raiffeisen. Auf Schritt und Tritt werden wir vom gelb-schwarzen Giebelkreuz verfolgt, in der Stadt wie auf dem Land, in Schule, Beruf und Freizeit: Raiffeisen ist immer und überall. Eine Spurensuche.Was haben eine Wanderung im Wienerwald, der Besuch eines Länderspiels der Österreichischen Fußballnationalmannschaft, das Wiener Citybike, das Donaufestival in Krems, ein Spaziergang durch die Innenstadt von Budapest und die Ortseinfahrten diverser südburgenländischer Dörfer gemeinsam? Erraten! Es ist die Allgegenwart des Giebelkreuzes.

Wie kaum ein anderes Unternehmen schafft es Raiffeisen, sämtliche Sphären unseres Alltags zu durchdringen. Dabei geht es längst nicht mehr alleine um die markanten Türme der Lagerhäuser oder die obligatorische Raika in nahezu jedem Ort Österreichs. Entsprechend der radikalen Expansion Raiffeisens in unterschiedlichste Sphären, von Fußball über Musiksubkultur bis hin zu Klettersteigen. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Raum ist eine grundlegende Unterscheidung in bürgerlichen Gesellschaften: Durch sie sollte die Sphäre der Demokratie und der Gleichheit von jener der privaten Geschäftemacherei und der Ausschließlichkeit des Privateigentums unterschieden werden. So weit die Theorie.

«Diese Privatisierung des öffentlichen Raums spendiert Ihnen Raiffeisen»

Im Zuge des neoliberalen Umbaus unserer Gesellschaft wurde diese Grenze jedoch mehr und mehr durchlässig – allerdings stets zu Gunsten von privaten Unternehmen und zu Lasten der Öffentlichkeit. Zunehmend werden einst öffentliche Räume nach ökonomischen Kriterien gefiltert und mitunter privatisiert: Bahnhöfe, Parkanlagen und -bänke und vieles andere mehr. Nicht nur Augustin-Verkäufer_innen können ein trauriges Lied davon singen.

Der Raiffeisen-Konzern profitiert auf vielfältige Weise von dieser Privatisierung öffentlichen Raumes. Als Unternehmen, das in unterschiedlichsten Bereichen Geschäfte macht, kann es sich in komplett verschiedenen geografischen und sozialen Räumen zielgruppenorientiert in Szene setzen. Offen bleibt, wie viel Raiffeisen beispielsweise dafür an die Öffentlichkeit bezahlt, dass gleich hinter der offiziellen Ortstafel ein riesiges Schild auf die Tatsache hinweist, die ohnehin jede_r weiß: nämlich dass sich im Ort eine Raika befindet. Besonders günstig dürfte auch die permanente Verschandelung eines Wanderweges am Hohen Lindkogel in Niederösterreich gewesen sein. Anstatt der obligatorischen Streifenmarkierungen finden wir auf jedem dritten Baum ein mit Schablone angebrachtes Giebelkreuz gesprayt – und flugs ist der Erholungsfaktor im Keller.

Immer und überall

Wer aber glaubt, dass Raiffeisen lediglich im ländlichen Raum das Erscheinungsbild prägt, irrt: Kaum ein großes Musikfestival kommt ohne das Sponsoring und somit die massive optische Präsenz Raiffeisens aus, und auch wer in Wien mit dem Citybike unterwegs ist, sollte sich der potenziellen Werbebotschaftsträger_innenschaft bewusst sein: Ob es wohl im Sinne Andy Warhols war, dass die von ihm geforderte 15-minütige Berühmtheit für alle Menschen sich dank Raiffeisen im temporären Dasein als Pseudo-Hermann-Maier erschöpft? Apropos zweifelhafte Berühmtheit: Auch bei Spielen der Österreichischen Fußballnationalmannschaft ist nur schwer zu entscheiden, was schlimmer ist: Der plumpe Nationalismus des Anhangs, der äußerst durchschnittliche Kick oder die riesigen gelb-schwarzen Würfel und Tafeln am Spielfeldrand …

Raiffeisen jedenfalls ist immer und überall gegenwärtig, und an diese Präsenz sind wir bereits dermaßen gewohnt, dass es eigentlich niemandem so richtig auffällt. Auch dem Autor dieser Zeilen wurde die Allgegenwart des Giebelkreuzes erst durch diese Serie und das «Schwarzbuch Raiffeisen» so richtig bewusst. Seither wird meine Abneigung gegen die kommerzielle Durchdringung des öffentlichen Raumes mitunter von paranoiden Schüben begleitet, wenn etwa gute Freund_innen nicht mehr mit skurrilen Urlaubsfotos grüßen, sondern mit den eben entdeckten und besonders skandalösen Verschandelungen der Landschaft durch Raiffeisen. Da muss einer schon den Todessprung-Reflex unterdrücken, wenn es ganz knapp vor dem Erreichen der Plattform einer Aussichtswarte im Südburgenland heißt: «Sie sind am Ziel». Schwarz auf Gelb. Mit Kreuz.

Eine letzte Warnung noch: Wer sich aus all diesen Gründen entschließen sollte, das Land zu verlassen – und sei es auch nur temporär, sei an dieser Stelle vorgewarnt: Die Gangways des Flughafen Wien-Schwechat sind mit riesigen Werbesujets einer allseits bekannten Österreichischen Genossenschaft versehen. Stattdessen mit dem Zug nach Budapest? Dort verheißen die innerstädtisch allerorts affichierten Plakate durch und durch spannende – und tatsächlich schwarz-gelbe! – Kunstwerke in der Raiffeisen Galerie. Rio Reiser hat’s immer schon gewusst: Wir müssen hier raus! Das ist die Hölle!