Schreiben gegen den Kapitalismustun & lassen

Raiffeisen bleibt unter Beobachtung - aber nicht mehr exklusiv ...

91 Mal hat der Augustin in dieser Serie über die Tätigkeiten der österreichischen Raiffeisengruppe im In- und Ausland berichtet. Heute, in Folge 92, haben wir eine wichtige Mitteilung für Sie: Wir erweitern unseren Fokus: Künftig finden Sie hier an gewohnter Stelle die Rubrik «Wiener Wirtschaft». Clemens Staudinger, Co-Autor der alten und neuen Rubrik, zieht Bilanz …

Illu: Much

Keine Sorge – Raiffeisen bleibt unter unserer Beobachtung, denn es wäre wohl höchst verantwortungslos, die ehemalige Bauernselbsthilfeorganisation, die zum Banken- und Agrarbusiness- und Industrie- und Handels- und Spielcasino- und Immobilien- und Stahlwerk- und Versicherungs- und Medien- und Tourismus- und was sonst noch alles Konzern mutierte, mit all den Aspekten der derzeit üblichen kapitalistischen Wirtschaftsform, der Betrachtung durch den Augustin zu entziehen. Wir werden weiter über Raiffeisen im Rahmen der Augustin-Innovation «Wiener Wirtschaft» berichten. (Siehe Editorial Nr. 385)

Als wir im Herbst 2010, damals gemeinsam mit dem viel zu früh von uns gegangenen Lutz Holzinger (1944-2014), die Serie starteten und die Tätigkeiten der einzelnen Raiffeisenkonzerne betrachteten, fiel uns als Erstes eine Besonderheit auf, die Raiffeisen ein Alleinstellungsmerkmal in der österreichischen Wirtschaftslandschaft verschafft: Keine andere österreichische Wirtschaftsgruppe ist derart mit den politischen Entscheidungsträger_innen in Parlament und Regierungen (auf Bundes- und auf Landesebene) verbunden wie die Giebelkreuzfirma. Im österreichischen Nationalrat könnten die Abgeordneten mit Raiffeisenbezug (alle ÖVP) einen eigenen Klub bilden. Andere Wirtschaftsgruppen müssen mühsam Lobbyist_innen zu den Gesetzesmacher_innen schicken, um Interessen durchzusetzen, Raiffeisen hat es da wesentlich leichter: Herr und Frau Raiffeisen können selbst Gesetze und Wirtschaftsbedingungen initiieren. Hier zeigt sich ein Demokratieproblem, das weit über die Frage nach fairem Wettbewerb, beispielsweise zwischen Milchproduzent_innen innerhalb und außerhalb der Raiffeisengruppe, hinaus reicht.

Der Skandal der Gruppenbesteuerung

Konkrete Auswirkungen dieser Nahebeziehung zwischen Gesetzesmacher_innen und Entscheider_innen in Parlament, den Ländern oder in den Landwirtschaftskammern gibt es viele. Ein Beispiel mit heftigsten Folgen für das österreichische Budget: In der wenig segensreichen Zeit von Schwarz-Blau wurde 2005 mit kräftiger Hilfe der Abgeordneten mit Raiffeisennähe das System Gruppenbesteuerung beschlossen. Dadurch wurde festgelegt, dass Verluste von Tochterfirmen, wie beispielsweise im Osten Europas mit zahlreichen Raiffeisentöchtern im Banken- Versicherungs- und Immobilienbereich geschehen, die Steuerlast inländischer Raiffeisen-Eigentümerfirmen erheblich reduziert. Die nicht zu zahlenden Ertragssteuern fehlen selbstverständlich im Haushalt der Republik und müssen durch andere Steuereinnahmen ersetzt werden. Das heißt, Österreichs Steuerzahler_innen dürfen hilfreich einspringen und mithelfen, Expansionen in Zentral- und Osteuropa zu finanzieren. Der guten Ordnung halber: Auch die SPÖ stimmte dem Vorhaben zu. Bei der FPÖ 1) stellte sich die Frage nicht – sie war mit der ÖVP in einer Koalition, und alle Abgeordneten der FPÖ stimmten pro Gruppenbesteuerung im Sinne von Raiffeisen. Von diesem Hintergrund aus gesehen wirkt die heute zeitweise vorgetragene Raiffeisenkritik diverser FPÖ-Funktionäre nicht wirklich ernsthaft.

Die Causa Gruppenbesteuerung ist nur ein Aspekt in der Geschichte Raiffeisen und Demokratie. Ein weiteres Beispiel, das nachdenklich stimmt: In Österreich gibt es pro Bundesland eine Landwirtschaftskammer. Die Präsidenten der Landwirtschaftskammern sind in der «Präsidentenkonferenz der österreichischen Landwirtschaftskammern» organisiert; allerdings im Rahmen eines privatrechtlichen Vereins. Mitglieder sind die Präsidenten und der österreichische Raiffeisenverband. Diese Konstruktion zeigt den unmittelbaren Willen der Giebelkreuzrepräsentant_innen, in den entscheidenden Gremien zur Tat schreiten zu können.

Einen weiteren Aspekt sprachen wir im Vorwort zum «Schwarzbuch Raiffeisen» an: «Als sinnvolle Forderung erscheint uns, Raiffeisen die Freiheit von äußerer Kontrolle zu entziehen. Analog zu den Regulatoren für den Strom- und Telefonbereich sollten Instanzen geschaffen werden, die alle Geschäftsaktivitäten von Raiffeisenfirmen mit Monopolstellung am heimischen Markt unter die Lupe nehmen.» Zu tun gäbe es genug. Alleine die Stichwörter AGRANA und Molkereien würden für genügend Arbeit der Kontrollor_innen sorgen.

2013 publizierten Lutz Holzinger und ich das «Schwarzbuch Raiffeisen» im Mandelbaum Verlag. Eine der Grundthesen der Untersuchung: Raiffeisen trat in Österreich die Nachfolge der zerschlagenen ehemals verstaatlichten Industrie an.

Vom Verschwinden eines Interviews

Kurz nach Erscheinen des Buchs wurde vorgeführt, wie Machtverhältnisse in der Medienlandschaft Österreichs funktionieren: Ein Redakteur von «News» lud uns Autoren zu einem Interview ein, das für die Printausgabe vorgesehen war. Nach einigen Wochen erklärte uns der Redakteur, er könne das Interview in der Printausgabe nicht veröffentlichen, aber der Text werde in der Internetausgabe von «News» erscheinen. Das geschah auch tatsächlich. Jedoch: Nach wenigen Stunden verschwand der Text von der Website «news.at». Entscheidende Hintergrundinformation: Raiffeisen ist an der News-Gruppe beteiligt. Nach einem Protestaufschrei zahlreicher österreichischer Journalist_innen gegen diese Intervention – so twitterte u. a. Armin Wolf, früher hätte eine derartige Vorgangsweise Journalist_innen streiken lassen – zog Raiffeisen die PR-technische Notbremse und veröffentlichte den Text auf der Website der Raiffeisenholding NÖ-Wien. Wir beobachteten das Geschehen gelassen und notierten erfreut die Aufmerksamkeit, die dem Buch durch das Verhalten von Raiffeisen zuteilwurde. Wirklich erheitert waren wir, als ca. ein halbes Jahr später in der Industriellenvereinigung ein Seminar zum Thema Krisen-PR veranstaltet wurde. Als Fallbeispiel wurde das Verräumen des «News»-Interviews ausgewählt. Die Pressesprecherin der Raiffeisenholding NÖ-Wien beschrieb die Chose als Erfolgsgeschichte für Raiffeisen, weil man derart professionell agiert habe, und stellte die Notbremsenaktion als Beispiel effizienter Krisen-PR dar. Ein Blumenstrauß für die Pressesprecherin wäre angebracht gewesen, hatte uns die Diskussion in Österreichs Medien über das Verschwinden des Interviews doch gehöriges Interesse am Buch gebracht, und der Mandelbaum Verlag orderte erfreut bei der Druckerei inzwischen vier Druckauflagen.

Ein Thema, das für zahlreiche Zuschriften und Reaktionen bei unseren Leser_innen sorgte, war die Causa Hypo-Alpe-Adria und ihr Zusammenhang mit Raiffeisen. Als die Kärntner Bank verstaatlicht und der damalige ÖVP-Finanzminister Josef Pröll mit der Wortschöpfung «Notverstaatlichung» berühmt wurde, war dies ein gewinnträchtiger Tag für die Raiffeisengruppe. Gewinnträchtig allerdings auf Kosten der österreichischen Steuerzahle_innen. Denn die Klagenfurter Bank war in den Hypo-Haftungsverbund eingebunden. D. h., die anderen österreichischen Landes-Hypothekenbanken hätten zu Haftungen herangezogen werden können und dies sicher sehr zum Missfallen ihrer Eigentümer_innen. Teileigentümer_innen der Anstalten in der Steiermark, Oberösterreich und Salzburg sind die jeweiligen Raiffeisen-Landesbanken. Und Josef Pröll? Der wurde kurze Zeit später mit dem Chefposten der Leipnik-Lundenburger, einer der wichtigsten und potentesten Raiffeisenfirmen, belohnt und verdient dort wesentlich mehr als in seiner Zeit als Bundesminister.

Um es zum Abschluss – und als Kontrapunkt – noch einmal zu erwähnen: Die Genossenschaftsidee, auf die sich Raiffeisen in ihrer propagandistischen Selbstdarstellung fortwährend bezieht, ist eine nicht-profitorientierte … und wir sind wieder bei der Frage gewinnorientierte oder bedarfsorientierte Wirtschaftsform.

1) Für unsere jüngeren Leser_innen: Das ist jene Altpartei, bei deren Gründungsparteitag 1956 die Delegierten mit großer Mehrheit ehemalige NSDAP- und SS-Mitglieder in den Parteivorstand wählten. Sämtliche Parteiobmänner, bei denen es sich jahrgangsmäßig ausgegangen ist, waren SS-Männer.