Sobotkas Knallbonbonstun & lassen

Wie man über rechten Populismus sprechen kann

Schränken wir das Demonstrationsrecht ein!, schlug Innenminister Sobotka vor.  Das war vor allem eines: medienwirksam. Walter Fuchs und Andrea Kretschmann gehen nicht davon aus, dass dieser Vorschlag sein Ernst war – sondern dass er vor allem darauf abzielt, etwas Unaussprechliches aussprechbar zu machen.

Illu: Mekutatatokushi

Wie ein Faschings-Knallbonbon präsentierte Innenminister Wolfgang Sobotka nur zwei Tage nach Vorlage des neuen Arbeitsprogramms der Bundesregierung seine Vorschläge zur Einschränkung des Versammlungsrechts. In einem «Ö1»-Interview betonte er dabei, das Öffentlichmachen des Vorschlags zeitgleich zum Akademikerball und der traditionell zugehörigen Gegendemonstration sei ihm wichtig gewesen.

Darauf, die Vorschläge bei den Regierungsverhandlungen zu diskutieren, die nur wenige Tage zuvor stattgefunden hatten, hatte er offenbar bewusst verzichtet, obwohl sein Vorstoß – anders als man glauben möchte – kein Spontanschuss war, sondern mit einem Expert_innenteam, wie er behauptet, monatelang vorbereitet wurde. Seine Pläne sollten sich also nicht primär an die Regierungsvertreter_innen, sondern an die mediale Öffentlichkeit richten.

 

Derfen S’ denn des?

Öffentliche Aufregung ist das, was Sobotka will, und die ist ihm derzeit garantiert. Folgt man den überwiegenden Exptert_innenmeinungen im öffentlichen Diskurs, sind die Vorschläge Sobotkas durch und durch verfassungswidrig. So meinte etwa Bernd-Christian Funk gegenüber dem «Standard», dass hier der Versuch gemacht werde, «mit verfassungsrechtlich fragwürdigen bis eindeutig verfassungswidrigen Maßnahmen der Polizei Instrumente in die Hand zu geben, die sie eigentlich nicht braucht, da sie ihr bereits zur Verfügung stehen – nur nicht in dieser brutalen Form». Scharf ablehnend äußerten sich auch die Juristen Alfred Noll und Oliver Scheiber; ernsthafte Bedenken formulierten die Verfassungsexperten Heinz Mayr und Theo Öhlinger sowie der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes.

Öffentliche Empörung war es denn auch, die für die SPÖ der Anlass war, den Vorschlägen Sobotkas zu widersprechen: Man werde dieser Idee nicht nahetreten, sagte der für Verfassungsfragen zuständige Kanzleramtsminister Thomas Drozda. Die Maßnahmen seien gar nicht notwendig, ließ Bundeskanzler Christian Kern verlauten.

Indessen braucht man nicht unbedingt eine vertiefte juristische Ausbildung, um zu erkennen, dass die Vorschläge Sobotkas tatsächlich verfassungswidrig sind und gleich gegen mehrere Grundfesten einer demokratisch verfassten Gesellschaft verstoßen. Sie kommen de facto der Abschaffung des Demonstrationsrechts gleich. Die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden, eine Kundgebung aus wirtschaftlichen Gründen oder als bloße «Spaß»-Veranstaltung zu untersagen, sowie Anmelder_innen für fremdes Verschulden verstärkt zivil- und verwaltungsstrafrechtlich haften zu lassen, könnten in der Praxis zu einer repressiven Disziplinierung jener Menschen führen, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen – auch und gerade in Hinblick auf gesellschaftlich umstrittene Belange.

Dabei sind nach geltender Verfassungsrechtslage aus guten Gründen selbst nichtangemeldete Demonstrationen von diesem fundamentalen Recht umfasst. Versammlungen müssen nicht «genehmigt» werden. Die Voraussetzungen für ihr Verbot sind sehr eng definiert. Wäre es anders, hinge die Ausübung des Grundrechtes letztlich völlig vom Ermessen der Exekutive ab. In Österreich, wo diesbezüglich vielfach noch eine Art vormärzliche «Derfen S’ denn des?»-Haltung vorherrscht, wird dies oft verkannt. Die Boulevardpresse sekundiert bereits: «Macht Schluss mit Spaß-Demos!» («Kronen Zeitung»). Wer will in Zeiten von unfreiwillig komischer Politik und absichtlich politischer Komik die Grenze zwischen Spaß und politisch gemeinten kollektiven Ausdrucksformen ziehen?

 

Tabubruch auf der Speisekarte

Dass Sobotka tatsächlich die De-facto-Abschaffung des Versammlungsrechts anstrebt und keinen Bezug mehr zur Verfassung hat, ist nicht anzunehmen. Vielmehr legt er eine Vorgehensweise an den Tag, die derzeit im rechtspopulistischen und -konservativen Lager weit verbreitet zu sein scheint; Wir haben dies in den letzten Wochen bei Trump gesehen. Aber auch Sobotka selbst hat darin schon Erfahrung – selbst in Politikbereichen, für die er nicht zuständig ist: Das haben etwa seine Vorschläge zur Kürzung der Mindestsicherung gezeigt.

Mit gezielten Tabubrüchen werden zunächst die Grenzen des Denkmöglichen verschoben. Die öffentliche Skandalisierung sorgt für ihre Verbreitung. Der später (innerhalb einer Koalition oder unter dem Druck einer kritischen Öffentlichkeit) erzielte Kompromiss enthält dann nur einen Bruchteil der ursprünglich vorgeschlagenen Grundrechtsbeschränkungen. Dieses vermeintliche Entgegenkommen erscheint gegenüber den haarsträubenden Erstvorschlägen geradezu gemäßigt und harmlos. Und täuscht damit darüber hinweg, dass auch der letzten Endes verabschiedete Vorschlag es noch in sich hat. Man muss sich das ein wenig so vorstellen wie mit dem teuersten Gericht auf der Speisekarte eines Nobelrestaurants: Dessen Funktion ist nicht, dass es oft bestellt wird. Vielmehr setzt es einen Anker, der das insgesamt hohe Preisniveau akzeptabel erscheinen lässt. Der Vergleich hinkt natürlich: Es geht hier nicht um die Kognitionspsychologie individueller Kaufentscheidungen, sondern um demokratisch-rechtsstaatliche Grundwerte eines Gemeinwesens.

 

Die Aufregung verstehen lernen

Sobotka greift bei seiner Diskursstrategie geschickt auf die Autorität bestimmter Expert_innen zurück. Das sind zum Teil solche, die aus dem öffentlichen Sicherheitsapparat selbst kommen, wie etwa Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl – der im «Standard» so treuherzig wie unglaubwürdig versichert, sich in die politische Diskussion nicht einmischen zu wollen, nachdem er als Vertreter der ­Exekutive genau das getan hat.

Zum Teil finden sich aber auch akademische Stimmen, die den Vorschlägen etwas abgewinnen können und «die Aufregung nicht verstehen» wollen – so der Verfassungsjurist Bernhard Raschauer. Letzteres mag ein Stück weit der Logik des (rechts-)wissenschaftlichen Diskurses geschuldet sein: Man muss ab und zu mit steilen Thesen auffallen – Hauptsache, sie heben sich von den Meinungen der Kolleg_innenschaft oder vom bisherigen Konsens ab (nicht umsonst gibt es den Kalauer: «Drei Verfassungsrechtler_innen, fünf Meinungen»).

Was ist daran gefährlich? Die gesellschaftliche Stimmung wird zunehmend autoritärer. Wenn es immer einfacher möglich ist, Demokratie und Rechtsstaat, und sei es nur verbal, in Frage zu stellen, kann das wie ein Dammbruch funktionieren.

 

Ein Protest, der nicht stört, ist kein Protest

Sobotkas letztlich abstrusen Vorschlag einfach nur zu skandalisieren, bedeutete also, sich an der Diskursverschiebung mit zu beteiligen, etwas bisher Unaussprechliches aussprechbar zu machen. Will man über seine Vorschläge sprechen, muss man daher grundsätzliche Fragen gesellschaftspolitischer Natur adressieren. Etwa, was Protest und «Protest Policing», also der polizeiliche Umgang mit Protest, in einer demokratisch verfassten Gesellschaft eigentlich leisten sollen und wo sie derzeit im Kontext kriminal- und demokratiepolitischer Entwicklungen einzuordnen sind.

Die Stadt, das gilt es dabei zu berücksichtigen, ist traditionell der Ort des Politischen. Das betrifft nicht nur die parlamentarische Politik, sondern auch die «Politik der Straße». Es ist die demokratische Funktion von Protest, zu stören und die geordneten Abläufe zu unterbrechen. Protest soll gesellschaftliche Verhältnisse problematisieren und durch die zeitweilige Aussetzung des Alltags zum Innehalten und Hinterfragen anregen.

Protest sollte deshalb weder pauschal aufgrund von Sicherheitserwägungen noch von Geschäftsinteressen eingeschränkt werden. Beides ist Ausdruck einer Mentalität, die in Europa in den 1990er Jahren einsetzt und aktuell stärker wird. Seitdem die Innenstädte vor allem als Konsumzonen und Aushängeschilder in der Städtekonkurrenz dienen, wird in ihnen alles mit Skepsis betrachtet, was nicht dem Konsum dient. Nicht-Konsumierende werden in ihnen mit Unordnung assoziiert, und Unordnung wird mit Unsicherheit gleichgesetzt.

Protest ist ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie. «Protest Policing» soll das Wahrnehmen des Versammlungsgrundrechts ermöglichen. Nur um diese temporäre Aussetzung des alltäglichen Verlaufs in geregelten Bahnen zu halten, ist die Polizei an Ort und Stelle.

Grundrechte dienen letztlich dazu, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche Sphären mit all ihrem Eigensinn entfalten können. Dem öffentlichen Raum kommt dabei eine entscheidende Funktion zu: Wie die Philosophin Hannah Arendt es in «Vita Activa» formuliert hat, besteht er – gerade im Gegensatz zur «Objektivität» des Geldes – aus der gleichzeitigen «Anwesenheit zahlloser Aspekte und Perspektiven, in denen ein Gemeinsames sich präsentiert und für die es keinen gemeinsamen Maßstab und keinen Generalnenner je geben kann».

 

Atempausen sichern die Demokratie

Im Kontext der gegenwärtigen Politik hat man den Eindruck, allein das Stören der öffentlichen Abläufe stelle die eigentliche Gefahr dar. Das mag nach Logik einer kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft, die auf Steigerung und Beschleunigung setzt, auch bis zu einem gewissen Grad stimmen. Richtig ist diese «Ökonomisierung des Sozialen» deshalb noch lange nicht.

Es sind genau diese Atempausen, diese kleinen und größeren Störungen des Ablaufs, die für das Fortbestehen und für die so nötige weitere Entwicklung demokratisch verfasster, lebenswerter und dynamischer Gemeinwesen dringend notwendig sind.