Was ist mein Weg?tun & lassen

Botschaften aus einem sozialen Experiment

Etwas tun, was man gerne tut? Wäre schön, wenn alle das könnten. Das Projekt

Sinnvoll tätig sein (STS) versucht, Langzeitarbeitslosen Perspektiven abseits der üblichen Maßnahmen für «Arbeitsmarktfitness» zu vermitteln. Für wissenschafltiche Begleitung und Evaluierung muss nun Geld her. Franz Schandl berichtet.

Seit dem Frühjahr 2017 läuft in Heidenreichstein im Oberen Waldviertel das Projekt Sinnvoll tätig sein (STS), das jenseits gängiger Disziplinierungsmuster versucht, über 40 Langzeitarbeitslosen Perspektiven zu eröffnen, die sich doch von obligaten Anforderungen und Erwartungen unterscheiden. Getragen und betreut wird das Projekt von der schon seit vielen Jahren recht rührigen Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel. Karl Immervoll, der Leiter derselben, machte dem AMS Niederösterreich die Sache schmackhaft. Offiziell firmiert das soziale Experiment als AMS-Kurs, das heißt, die beteiligten Langzeitarbeitslosen erhalten ihre Bezüge für 18 Monate weiter, sind jedoch von allfälligen Drangsalierungen seitens des Amts befreit. So fungiert das Arbeitslosengeld tatsächlich ähnlich einem garantierten und bedingungslosen Grundeinkommen.

Aktivierung.

«Immer mehr Menschen haben in diesem System keine Chance», sagt Immervoll. «Und was sie gerne tun würden, ist nicht gefragt.» Doch gerade diese Frage wird im Projekt andauernd und beharrlich gestellt. Sie ist zwar naheliegend, wird aber nicht nur am Arbeitsmarkt ausgeblendet sondern auch im Alltag verdrängt. Da wie dort zählt, dass man sich zu verwerten hat.

Wenn Begabungen und Tätigkeiten wirtschaftlich nichts hergeben, heißt das ja nicht, dass sie sinnlos sind. Sie sollen nicht brachliegen. Wichtig wäre, dass die Personen von Deaktivierten zu Aktivierten werden, der aufgezwungenen Depression zuwiderhandeln, sie abschütteln. Wie schaffen wir es, euch für den Arbeitsmarkt zu vermitteln? – Das ist hier nicht die primäre Frage, sondern: Was wollt ihr? Die eingefahrenen Bahnen sollen verlassen werden. Sorge und Hilfe ersetzen Strafe und Sanktion.

Die Arbeitslosen werden sowohl im Plenum und in Gruppen als auch einzeln betreut. Daneben gibt es noch einige Zusatzkurse, selbstverständlich kostenfrei: gesundes Essen, Erste Hilfe, Männerseminar, Rückenfit, Suchtprävention, Tanzen, Move your ass und Ähnliches. Gemeinsames Wandern lockert auf und fördert die Kontakte. Der soziale Druck soll genommen, die eigene Initiative gestärkt werden. Freundschaften und Bekanntschaften entstehen. Das ist vor allem wichtig für Leute, die

isoliert wurden, oder sich auch selbst zurückgezogen haben.

Fördern statt fordern ist überhaupt das Motto. Druck zu erhöhen erhöht meistens bloß den Blutdruck. Am Mangel an gesundheitlicher Belästigung leiden die Arbeitslosen sowieso nicht. Viele sind angeschlagen und haben gerade auch deswegen das Nachsehen am Arbeitsmarkt. Insgesamt fühlen sich die STS-Kursteilnehmer_innen jedenfalls erleichtert, fast alle geben an, dass ihr Wohlbefinden in den letzten Monaten gestiegen ist.

Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Manko, als das es erscheint, sondern ein gesellschaftliches Problem, als das es akkurat nicht erscheinen soll. Autoritäre Mentalitäten und Haltungen, gemeinhin Unterdrückung und Unterwerfung genannt, sind zu überwinden. Was denn sonst? Die hartnäckige Ideologie der harten

Arbeit ist entschieden zu hinterfragen.

Aus der Schusslinie.

Das Experiment ist überschaubar, bezogen auf die Gemeindegröße von 4000 Einwohner_innen aber alles andere als klein. Ein Prozent der Bevölkerung sitzt im Kurs und ein Prozent der Bevölkerung sitzt in der Begleitgruppe. Denn wie die Sache in Heidenreichstein selbst ankommt, ist nicht leicht zu beurteilen. Daher wurde eine Begleitgruppe gegründet, wo sich die Betreuer_innen mit interessierten und wohlgesonnenen Leuten aus der ansässigen Bevölkerung vierteljährlich treffen und über das Projekt reden. Zwischenzeitlich erhalten diese gesonderte und zusätzliche Informationen. Man will üblen Gerüchten zuvorkommen. Was der gemeine Menschenverstand so ausbrütet, ist ja hinlänglich bekannt. Wir machen uns die Nachrede selber, lautet die Devise.

In einem Zwischenbericht schreibt Karl Immervoll: «Die Befreiung von Ängsten und Druck ist ein Prozess. Trotzdem: 18 Monate von den Vorgängen rund um die Arbeitssuche befreit zu sein, Zeit zu haben, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Für manche bedeutet das, zum ersten Mal in ihrem Leben sich die Frage zu stellen: Was ist mein Weg?» Es ist jedenfalls ein Versuch, Menschen aus der Schusslinie zu holen, sie vor Demütigung und Depression, Bevormundung und Bestrafung zu schützen. Das ist viel. Im Projekt probt man herrschaftsfreie Kommunikation durch bedingungslose Anerkennung. Die Kontakte laufen zumeist auf Augenhöhe. Niemand soll abstürzen.

Abgestürzt ist das Projekt allerdings als Forschungsprojekt. Zumindest vorerst. Denn vorgesehen war eine begleitende Studie, in der die Ergebnisse dokumentiert und analysiert werden sollten. Trotz der beantragten und von einem Beirat gutgeheißenen Förderung wurde dies von den zuständigen Stellen des Landes Niederösterreich abgedreht. Derlei brauche man nicht, so die stille Drohbotschaft. So bleibt den Betreiber_innen nur übrig, zumindest einen Teil der veranschlagten Forschungsgelder selbst aufzustellen. Diesbezüglich läuft zurzeit eine Crowdfunding-Kampagne (Link im Infokästchen). Wer kann und möchte, möge sich daran beteiligen.

 

Franz Schandl ist Teil des wissenschaftlichen Begleitprogramms von Sinnvoll tätig sein (STS). Von 1985 bis 1995 war er zudem Gemeinderat der

Alternativen Liste in Heidenreichstein.

Die Crowdfunding-Kampagne läuft noch bis 17. Februar: www.startnext.com/sts-grundeinkommensprojekt