Das Seidel/Achterl-Prinzipvorstadt

Der tischnahe Kleiderhaken und andere Kriterien des Wirtshauses

Was ist der historische Unterschied zwischen einem Gast- und einem Wirtshaus? Das Wirtshaus war das Haus, in dem der Wirt des Gasthauses wohnte und wo er einen Raum freimachte, in dem seine Stammgäste auch noch außerhalb der Sperrstunde zu ihren Vierteln kommen konnten. Eine Ausstellung im Wien-Museum lässt beides hoch leben.

Bereits die Römer hatten in Vindobona ihre Tavernen. In der gesamten Stadtgeschichte waren die Gasthäuser immer wichtige Einrichtungen für Kommunikation. Hier wurden in Sälen politische Versammlungen abgehalten oder die Gäste verschwanden in den über 90 Spelunken des berüchtigten Spittelbergviertels in die Extrastüberln mit Damenbegleitung.

Karl Marx war nur einmal in Wien: Vom 27. August bis 7. September 1848. Hier hielt er unter anderem beim Demokratischen Verein im Gasthaus Zum Engeländer in der Währingerstraße einen Vortrag. Ob er auch eine Exkursion auf den Spittelberg unternahm. ist nicht belegt.

Während das Kaffeehaus als Treffpunnkt des Bürgertums galt, waren die Gasthäuser die Wohnzimmer des Proletariats. Denn in den mit Bettgehern doppelt belegten Substandard-Wohnungen der Arbeiter ließ es sich nicht wohnen, sondern nur schlafen und hausen. Außerdem war das Heizen teuer. Im Gasthaus wärmte nicht nur der Wein, sondern in der Mitte des Lokals außerdem ein gusseiserner Ofen.

In Neulerchenfeld waren 1803 von 155 Häusern 83 Wirtshäuser. Noch in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es den gängigen Spruch, dass in Ottakring und Meidling jedes Hauseck ein Wirtshaus hat.

Mit den größeren Wohnungen, in denen auch bald Fernsehgeräte zum Mobilar gehörten, änderte sich das Freizeitverhalten der Leute. Es folgte ein Kaffeehaus- und Beiselsterben.

Seit einigen Jahren ist für beide Institutionen eine Renaissance festzustellen. Während das Wiener Kaffeehaus längst zu den Touristenattraktionen zählt, gab es nun auch bei Gasthäusern (leider zu oft) einen Wandel: Viele wurden künstlich zu urigen noblen Feinschmeckerlokalen mit Nouvelle Cousine umgemodelt.

Doch in jedem Bezirk gibt es sie noch immer: Die Wirtshäuser.

Die Kennzeichen

Direktor Wolfgang Kos, Mitgestalter der Ausstellung von 700 Objekten, ortet 10 Kennzeichen, die ein echtes Wirtshaus ausmachen:

  1. Schank und Kühlwand.
  2. Ein bestimmender Faktor für die Raumatmosphäre ist die Wandverkleidung: Dank der halbhohen Bretterwand wirkt auch das unwirtlichste Wirtshaus gemütlich. Funktionell gibt es Parallelen zum Zaun: Innen ist man geborgen, draußen lauert die Gefahr…
  3. Brett mit Haken, das den Vorwand zum Tschuldigen, darf ich meinen Mantel… bietet: Dienen die tischnahen Haken auf subtile Art der Kontaktanbahnung? Oder machen sie eher grantig, weil dauernd jemand beim Essen stört?
  4. Der Raumteiler ist eher im Verschwinden.
  5. Der Tisch: das zerfurchte Relief eines Wirtshaustisches ist … auch Protokoll harter Arbeit. Dazu kommen singuläre Ereignisse: Brandflecken, Stichwunden, Einkerbungen…
  6. Man ging Zum Wirt. Diese persönliche Bindung ist geblieben. Auch heute noch wird erwartet, dass die Betreiber einer Gastwirtschaft persönlich im Lokal anwesend sind. Deshalb scheiterten bisher alle Versuche, Wirtshausketten aufzuziehen.
  7. Die schwarze Tafel ist die letzte Bastion der Handschrift im Stadtraum…
  8. Seidel und Glaserl: Man trinkt in kleinen Schritten, nach Art eines Abonnements: Zuerst a Achterl, dann no a Achterl usw. So kann man immer wieder den ersten Schluck genießen…
  9. Das (Maggi-) Würz-Ensemble
  10.  Stammtischzeichen: Es kann prächtig altdeutsch sein oder an ein Amtstaferl erinnern. Die Bedeutung ist unmissverständlich: Hier endet der öffentliche, offene Gastraum, hier herrschen private Regeln…