Denkmal als Spiegel der Synagogevorstadt

Am Judenplatz: Bilderausstellung von Adolf Frankl in Gefahr

Ein Denkmal für Shoah-Opfer, die österreichweit einzige Bilderausstellung eines Auschwitz-Überlebenden, das Museum und die Reste einer mittelalterlichen Synagoge machen derzeit den Wiener Judenplatz aus.  Das Ergebnis ist eine Mischung von Kunst mit archäologischen Funden. Was fehlt, sind Übergänge zu anderen Orten der Stadt – wie zum künftigen, enorm geschrumpften «Haus der Geschichte». Von Kerstin Kellermann (Text), Mehmet Emir (Fotos) und Haiku Kilian Kupries (Fotos).Das Podest mit Lesepult, rote zerbrochene Ziegelsteine, das Fundament des Tora-Schreines, die Frauen Schul, die Männer Schul. Durch einen langen Betongang kann man, vom Museum am Wiener Judenplatz aus, unter das Denkmal von Rachel Whiteread gehen und die Fundamente einer mittelalterlichen Synagoge besichtigen. Brauner, flacher Plafond unter der Erde, Gitterboden, braune Wände, Steinreste. Erst im Jahre 1995 wurden die Fundamente dieser alten Synagoge entdeckt, die schon 1420 zerstört worden war. Herzog Albrecht der Fünfte hatte sämtliche Wiener Juden und Jüdinnen gefangennehmen lassen und wollte sie zur Taufe zwingen. Alle, die sich widersetzten, wurden verbrannt.

Das Denkmal für die im Holocaust ermordeten österreichischen Jüd_innen der in London lebenden Rachel Whiteread ist oberhalb der Erde unzugänglich, denn es zeigt nach außen gedrehte Bücher und eine verschlossene Türe. Meter darunter in der Erde befindet sich wie ein Spiegel die zerstörte Synagoge, von der ein Modellbau im Museum gezeigt wird. Nach einem Plan von 1421 reichte das ehemalige Judenviertel vom Tiefen Graben bis zu Maria am Gestade, vom Judentor bis zum heutigen Seitzerhof. In der Mitte befand sich der Schulhof. Das sehr schöne Wiener Uhrenmuseum mit seinen «Laterndl-Uhren», «Zapplern» oder den «Skeletttaschenuhren» hat heute noch die Adresse «Am Schulhof 2». Siebzig zweistöckige Häuser voll mit 800 Jüd_innen zählte die mittelalterliche Gemeinde. Herrscher hatten die Geldleihe zur Bedingung der Ansiedelung gemacht. Die Synagoge aus Holz war eine der größten Europas. 600 mittellose Jüd_innen wurden bei dieser «Wiener Gesera» vertrieben, 200 reiche verbrannt. Herzog Albrecht schenkte die Häuser seinen Günstlingen. Die Sy­nagoge wurde geschliffen, und so entstand der heutige Judenplatz. Erst sieben Jahrzehnte nach dieser Vernichtung siedelten sich wieder Jüd_innen in Wien an.

 

Geschrumpftes Haus der Geschichte

«Hier befinden wir uns im Jordanhaus, das oben ein gotisches Relief zeigt, mit ziemlich antisemitischem Text über die ‹furchtbaren Verbrechen der Hebräerhunde›, die 1421 durch die ‹Flamme des Hasses gesühnt› worden wären», erzählt Thomas Frankl, der Betreiber des «ArtForums» am Judenplatz 2. «Inzwischen gibt es eine zusätzliche Tafel auf der Ecke vorne, die von Kardinal König enthüllt wurde. Auf der steht ‹Kiddusch HaSchem›, also ‹Heiligung Gottes›». Seit zehn Jahren zeigt Thomas Frankl in den ArtForum-Räumen die Bilder seines Vaters her, des Auschwitz-Überlebenden Adolf Frankl. Er redet persönlich mit den internationalen Besucher_innen, macht kleine Führungen. Ein riesiges, zeichnerisches und malerisches Werk erschuf der in seiner Familie als «Dolfi» benannte Adolf Frankl – die einzige Einzelausstellung eines Holocaust-Überlebenden und Künstlers in Österreich. Zehn Jahre hielt Thomas Frankl sich an diesem zentralen Platz, in dem Lokal, das seine «liebe Frau Inge» fand, und brachte das Erbe seines Onkels durch, um die hohen, monatlichen Kosten zu tragen. Nun ist sein Erbe beinahe aufgebraucht. Frankl wird im nächsten Jahr schließen müssen – «außer das ArtForum wird, und das sollte der Fall sein, von verschiedenen staatlichen, städtischen und privaten Stellen gefördert. Ich stelle mich gerne ehrenamtlich als Zeitzeuge und Sohn des Künstlers zur Verfügung, damit ich die Werke ein bissl erklären kann. Wir sind aber überzeugt, dass die Besucher aus den Werken selbst lesen können». Kunst- und Kulturminister Josef Ostermayer, mit dem über Empfehlung von Ex-Bundespräsident Fischer positive Verhandlungen geführt wurden, wurde von einem Tag auf den anderen als Minister abberufen. Mit seinem Nachfolger steht ein Termin noch aus. «Minister Ostermayer kam später noch auf dem Fahrrad zu uns und empfahl uns, mit dem Historiker Oliver Rathkolb, der das Haus der Geschichte konzipiert, Kontakt aufzunehmen. Wir werden ein oder zwei Bilder für das neue Haus der Geschichte widmen.» Eigentlich sollte das Haus der Geschichte aber nicht nur ein paar narrative Bilder erhalten, sondern eine eigene Abteilung für Kunst besitzen, damit es nicht zu einer staubtrockenen Angelegenheit wie zum Beispiel das NS-Dokumentationszentrum in München wird. Viele Menschen werden eher über Bilder angesprochen als über Texte. Das ambitionierte Haus der Geschichte ist aber inzwischen mordsmäßig geschrumpft und zwar auf drei große Räume in der Neuen Burg. Weder die Sammlung alter Musikinstrumente noch die seltsame, riesige Ritter-Aufstellung müssen weichen. Außerdem ist nur noch die Rede von einer zweijährigen Sonderausstellung zu den Republik-Feierlichkeiten. Ansonsten wird die österreichische Geschichts-Debatte auf die Errichtung eines Neubaus verschoben.

 

Worte auf Papier

Gelächter, Musik von bolivianischen Indigenen, Gläsergeklirr. Thomas Frankl hat das allererste Mal in zehn Jahren sein langgestrecktes ArtForum ausgeräumt, die Bilder seines Vaters abgehängt und Platz für die internationalen Fotos von Zwi Stein geschaffen. Nun schauen Emus und Strauße, Fiaker-Kutscher oder Orthodoxe vor der Klagemauer in Jerusalem von den Wänden herunter. Kurzerhand wurde im Vorraum des Jordan-Stiegenhauses das Buffett untergebracht, und die zahlreichen Besucher_innen lärmen fröhlich vor sich hin. Ein Sohn von Ernst Fuchs sitzt genüsslich auf einem Schemel und breitet seine Theorien über ein «Bilderverbot» aus. Fotograf und Augenarzt Zwi Stein erzählt von Haifa. Lebendiges jüdisches Leben, das dringend mit den Shoah- und Holocaust-Erinnerungen und Monumenten gemischt gehört. Der Holocaust «gehört» bewusst in der Gegenwart mitbetrachtet, wie es alle Nachfahr_innen automatisch tun und müssen. Die Shoah muss an die Gegenwart herangeholt werden und darf nicht im Dunkel der Geschichte verschwinden. Denn sonst bleiben die Kinder und Kindeskinder alleine übrig.

Eventuell ist dieses neue Format, zeitgenössische Künstler_innen an Bord zu holen, eine Serie, die Thomas Frankl in Zukunft spielen wird – sein ArtForum für andere Künstler_innen öffnen. «Über 250 Gemälde nur zum Holocaust sind von meinem Vater erhalten, dazu über 1000 Zeichnungen. Sein Werk zu zeigen ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft, weil gerade wieder viel Unrecht von Unmenschen initiiert und ein Teil der Menschen zum Argen verführt wird», sagt Thomas Frankl. «Vater hat selten gesprochen, seine Worte finden sich auf dem Papier seiner Bilder.» Eine einzigartige Bildersammlung. «Ich bin ja nicht unparteiisch», lacht der Überlebende, der in Bratislava/Pressburg geboren wurde und, mit anderen jüdischen Kindern bei Nonnen versteckt, in der NS-Zeit am Leben blieb. «Simon Wiesenthal zeichnete auch, aber es gibt wenige Überlebende, die so ein Konvolut an Werken erschufen. Unser Freund Max Mannheimer (Überlebender von fünf Konzentrationslagern und abstrakter Maler nach Kandinsky, Anm.) ist ja vor Kurzem verstorben. Vater hatte doch Kunst studiert und kam als Erwachsener nach Au­schwitz. Mit 41 Jahren wurde er deportiert. Auschwitz vernichtete bei den meisten Überlebenden die Kreativität, deswegen sind Vatis Bilder so ein Wunder.»

Dann verfügen wir uns auf eine Melange und ein Glas Milch ins lärmige Café Hawelka, über dem die Flüchtlingsfamilie Frankl jahrelang lebte, nachdem sie aus dem Flüchtlingslager im Rothschild-Spital in Wien Währing ausziehen durfte. «Der Hawelka hat uns oft umsonst essen lassen. Vater saß da und rauchte und zeichnete. Er nahm das als Pflicht, über den Holocaust zu berichten, weil er das mit seinen Zeichnungen auch konnte. Es ließ ihn nicht los. Von der Befreiung bis zu seinem Tod im Jahre 1983 litt er unter ständigen Angstzuständen.»