Der Sommer des Entgegenkommensvorstadt

Als 1981 die FKK-Zone kam, war plötzlich das "Oben ohne"-Verbot obsolet

Über den Nimbus des Gänsehäufels, des größten Wiener Freibades. Über den Lebensreformer Florian Berndl, der wesentlich zum Nimbus beitrug. Über den Einzug der Nackten auf die Insel vor 25 Jahren. Über die kleinen Widerstände dagegen. Über die besten und schlechtesten Monate des Badebetriebs. Und über das Talent einer Zeitung, das richtige Thema zum falschen Zeitpunkt zu publizieren.Nach dem Ende der Badesaison einen Artikel über Wiens größtes Freibad, das Gänsehäufel, im Blatt zu platzieren, erfordert ausreichend verrückte BlattmacherInnen. Ihnen sei Dank, dass ich mich erneut der Gänsehäufel-Legende Florian Berndl zuwenden darf, während in der zuständigen Rathausdienststelle bereits Bilanzen über die abgelaufene Badesaison besprochen werden. Meine Hommage an den nonkonformistischen Lebensreformer („Am Berndlhäufel“, Augustin Nr. 186), der im Jahr 1900 eine Badekolonie am Gänsehäufel aufbaute, bedarf nämlich der Korrektur und der Ergänzung.

Im älteren Text war von der Ausstellung „“Am Gänsehäufel. Ein Strandbad wird 100″“ die Rede, die -wie der Website des Wien Museums zu entnehmen war,- im Juni 2007 eröffnet werden soll. Eine Ankündigung, die meinen Verdacht erweckte: Will das Wien Museum, wollen auch die PR-ArbeiterInnen des Rathauses, die Epoche vor der Kommunalisierung des Freibads, nämlich die Florian-Berndl-Epoche unterschlagen? Soll das enigmatische Waluliso-Vorbild, das exakt zur Jahrhundertwende zur Abkehr von den körper- und sexualitätsfeindlichen Badesitten ermunterte, endgültig in Vergessenheit geraten? Wird der Proto-Hippie, der seiner Zeit vorauseilte, indem er Wasserkuren, Nacktbaden und gemischtgeschlechtliches Baden propagierte, auch posthum sanktioniert, nachdem er seinerzeit als Feind von Zucht, Anstand, Ordnung und Sittsamkeit in die Schlagzeilen geriet?

Noch dürfte nicht fixiert sein, wer die Gänshäufel-Ausstellung kuratiert (und ob sie überhaupt mit Gewissheit stattfindet). Im Gespräch ist jedenfalls Hans-Christian Heintschel, Autor des leider vergriffenen Standardwerks über die Alte Donau (zu der das Gänsehäufel gehört) und Mitarbeiter des Presse- und Informationsdienstes der Stadt Wien. Meine Fragen sind also an ihn zu richten. In seinem Ausstellungskonzept, antwortet Heintschel, werde das Wirken Berndls nicht vernachlässigt. „Das Gänsehäufel ist ein mythologischer Ort. Er ist so sehr vollgestopft mit Mythen, dass eine rein historisch-wissenschaftliche Annäherung gar nicht möglich ist. Der Mythos wird von zwei Quellen gespeist – von der jüngeren des „Kaisermühlenblues“ und von der alten: Florian Berndl. Wenn ich den Nimbus des Bades darstellen will, kann ich um Berndl also keinen Bogen machen“, erklärt Heintschel.

Wir kommen auf einen Gedanken René Freunds zu sprechen, der in seinem Buch „Land der Träumer“ den schillernden Gänsehäufel-Guru als jemanden beschrieb, der „ebenso viel zum Fall veralterter Moralvorstellungen beitrug wie Sigmund Freud“. Heintschel schätzt dieses Buch, beurteilt jedoch die Wirksamkeit Florian Berndls nüchterner: „Berndl war einerseits ein cleverer Selbstvermarkter, andererseits hat er einiges sehr früh vorweggenommen.“ Den breiten Massen sei der Berndl wurscht gewesen. Anders, als der Augustin-Text suggerierte: Berndls Popularität war begrenzt. Eigentlich war sein Publikum ein elitäres: Intellektuelle, Lebensreformer, Aussteiger. Berndl war außerdem nur einer aus der kleinen Gruppe lebensreformerisch aktiver Sonderlinge, die diese Bewegung auch in Wien verankern wollten. Als – in mancherlei Hinsicht – avantgardistische Bewegung verdiente sie freilich eine größere Beachtung, meint Heintschel.

Heuer 623.291 BesucherInnen des Gänsehäufels

1907 übernahm die Stadt Wien die Berndl’sche Badeanstalt Gänsehäufel. Die schuf mit der Zeit die fast genial zu nennende Fusion von „Natur“ und innovativer Bäderarchitektur, wie sich heute darbietet; ihre NuznießerInnen aber hatten in Sachen Prüderie hinter Berndl zurückzubleiben. Erst 1981 wurde der Nacktbadebereich im Gänsehäufel eingeführt.

Darüber kann Badbetriebsleiter Hubert Teubenbacher Auskunft geben. Er nennt den 1. August 1981 als Tag der Eröffnung des Geländes für NudistInnen innerhalb der Badeanlage. Es war erst halb so groß wie der heutige FKK-Bereich. Dieses Entgegenkommen der MA 44 für die FKK-Gemeinde, die damals infolge eines Hochwassers Nacktbadezonen an der Neuen Donau verloren hatte, wurde von den Gänsehäufel-Traditionalisten nicht konfliktlos hingenommen. Beschwerden gab es natürlich vor allem von BadebenützerInnen, die ihre speziellen Liegeplätze verloren, an die sie sich im Laufe der Jahre gewöhnt hatten, sagt Teubenbacher.

In einem Aufwaschen wurde in diesem „revolutionären“ August im ganzen Gänsehäufel auch „oben ohne“ erlaubt -drei Jahre nach der offiziellen „Oben ohne“-Premiere im Krapfenwaldl-Bad.

Auch Hubert Teubenbacher wundert sich über das Aktualitätskonzept der Augustin-Redaktion; wäre er Chefredakteur, würde er das Bade-Thema in der Badesaison behandeln. Ich bin tatsächlich reichlich spät dran. Der Vorteil ist, dass mir der Betriebsleiter exklusiv Auskunft zur Bilanz der vergangenen Saison geben kann. „Trotz einer ungewöhnlichen Badesaison -der Juli 2006 war frequenzmäßig der beste Juli seit 1945, der August 2006 war der drittschlechteste August seit 1945 – ist die Bilanz des heurigen Jahres hervorragend. Mit 623.291 Besuchen erzielten wir das fünftbeste Ergebnis seit Beginn der Aufzeichnungen. Zum Vergleich: Im Rekordsommer 2003 wurden rund 750.000 registriert.“