Draußen vor den Türenvorstadt

Über das harte Pflaster von britischen Städten

Ausgehend von ihrer Erfahrung mit Obdachlosigkeit und Straßenzeitungsverkauf macht Bekki Perriman nun Kunst. Ein Bericht von der Insel von Erin Rodden, der von Sonja Rieder (Translators Without Borders) ins Deutsche übersetzt wurde.

Foto: Bekki Perriman

Mit «The Doorways Project» sieht Bekki Perriman auf diese Zeit in ihrem Lebens zurück und zeigt, wie es ist, auf Londons Straßen zu wohnen. Die Ausstellung begann als Fotoreihe, welche die verschiedensten Türen dokumentiert, vor denen sie schlief oder die Straßenzeitung verkaufte. Das Projekt wurde erweitert, und nun können sich Menschen in den verschiedensten Städten in ganz Großbritannien Aufnahmen von Obdachlosen, die ihre eigenen Türen und Gassen zeigen, ansehen.

Die Aufnahmen wurden soeben an Türen und Gassen in Glasgow abgespielt und bieten Einblick in das Leben von Menschen, die auf der Straße leben. Sie haben zuvor Passant_innen in London, Edinburgh, Brighton und Liverpool in ihren Bann gezogen.

«Aus diesem Grund wollte ich dies an öffentlichen Plätzen veranstalten», so Bekki, als sie INSP (The International Network of Streetpapers) bei einer Führung durch die Ausstellung begleitet, «weil ich nicht unbedingt ein Kunstpublikum erreichen wollte. Ich wollte ein zufälliges Publikum, also Leute gehen einfach vorbei, nehmen eine Stimme wahr und werden dazu angeregt, zuzuhören. Ich möchte besonders jene Menschen fangen, die niemals anhalten würden, um einem Obdachlosen zuzuhören.»

Um die Interviews zu machen, die das Rückgrat ihres Kunstwerkes darstellen, musste Bekki ihre natürliche Schüchternheit überwinden. «Ich hatte wirklich Angst, sie auszuführen; weil ich so schüchtern bin, war es für mich so schwer. Doch es war wirklich überraschend, dass nur eine von vierzehn angefragten Person nicht mitmachen wollte.»

Die Installation ist die Weiterentwicklung einer Fotoausstellung, die Bekki erschaffen hat, um ihre eigenen Erfahrungen mit der Obdachlosigkeit und dem Verkauf von der «Big Issue» in ihrer Jugend in London zu ergründen.

In der ursprünglichen Ausstellung zeigte jedes Foto eine Tür, an der Bekki schlief oder von der Polizei weggeschickt wurde. Es sind Plätze, an denen sie Freundschaften geschlossen hat und Freund_innen verlor oder an denen sie eine Ausgabe an den Radio-DJ Chris Evans verkaufte. «Während die Türen jene Orte sind, an denen diese Dinge einst passiert sind, dienen sie auch als Metapher für die Erfahrung mit der Obdachlosigkeit, das Draußensein und buchstäbliche Ausgesperrtsein.»

Bekki wurde als Jugendliche obdachlos und begann mit 16 Jahren die «Big Issue» in London zu verkaufen. Indem sie zur Kolporteurin wurde, hat sie ihrem Leben Struktur gegeben, und es war eine Möglichkeit, um Freundschaften zu schließen, als sie alleine in der Stadt war. «Ich habe viele der anderen Verkäufer gut kennen gelernt», sagt sie, «im Allgemeinen unterstützen sie einander.»

 

Hörstück über Obdachlosigkeit

Bekki macht nun seit drei Jahren Kunst. Ihre Arbeit legt den Schwerpunkt auf Themen um psychische Gesundheit und Obdachlosigkeit. Sie möchte die Wahrnehmungen der Betrachter_innen herausfordern, indem sie persönliche Geschichten und Erfahrungen von Menschen darstellt, die in der Gesellschaft stigmatisiert sind.

Die Inspiration, eine Klanginstallation zu kreieren, kam, als sie «Surround Me» von Susan Philipsz sah: «A Song Cycle for the City of London», ein Liederzyklus, der Aufnahmen der Künstlerin mit traditionellen Folksongs enthält, die im öffentlichen Raum abgespielt wurden. «Ich habe ihr Stück gesehen … Ich bin während eines Schneesturms durch eine der Gassen in der Nähe der St.-Pauls-Kathedrale gelaufen, und dort wurde gerade diese wunderbare Folk-Musik auf der Straße gespielt. Das hat mich dazu veranlasst, ein Hörstück an öffentlichen Plätzen über Obdachlosigkeit zu machen, die nicht über so viel Schönheit verfügen», berichtet sie.

Bekki geht unsentimental an ihr Werk heran. «The Doorways Project» ist ein ernüchternder Scheinwerfer auf den Teufelskreis der Armut, der obdachlose Menschen in seinen Bann ziehen kann, doch die Geschichten beinhalten auch ihre eigene Schönheit. Gängige Themen sind der Kampf mit geistiger Gesundheit, Probleme mit der Wohnungswirtschaft, sowie die Bedeutung von Freundschaften auf den Straßen und die Freundlichkeit von fremden Menschen.

Das Publikum reagierte auf unterschiedliche Weise. «Es ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich», so Bekki. Doch es ist stets eine Honorierung für die Künstlerin, wenn man sieht, wie das Publikum von einem Stück ergriffen ist, wenn es zufällig darauf stößt.

Doch es gibt ein Publikum, das Bekki eingesteht, nicht berücksichtigt zu haben – es handelt sich um die Menschen, die gegenwärtig obdachlos sind. «Ich glaube, ich habe es mehr als eine Erkenntnisfrage angesehen und wollte Menschen, die kein Verständnis für Obdachlosigkeit hatten, dazu bringen, stehenzubleiben und hinzuhören», erklärt sie. Es war eine zufällige Begegnung in Brighton notwendig, um ihre Augen für das Potenzial zu öffnen. «Da war ein Typ, der sich mit seiner Decke und einem Hund eine Aufnahme anhörte», erinnert sie sich. «Ich bin zu ihm hin und er sagte, ‹Ich bleibe stehen und höre mir dieses Interview jeden Tag an. Ich bin heroinabhängig und kann diese Geschichte so sehr nachvollziehen.› Das hat wirklich für mich das Projekt in Brighton ausgemacht: dass er tatsächlich stehen blieb und zugehört hat, weil er sich damit identifizieren konnte.»

Auch wenn die Resonanz vorwiegend positiv war, gab es etwas Feindseligkeit gegenüber dem Projekt. Bekki sagt, sie komme von «Leuten, die ohnehin immer feindlich gegenüber den Obdachlosen gesinnt sind». Nachdem sich ein Lokalblatt mit der Ausstellung befasste, war die Resonanz «entsetzlich». «Es wurden Sachen wie ‹Die sollen einfach verschifft werden›, und ‹Warum macht jemand Unterhaltung daraus?› geschrieben.» Bekki antwortet mit der gleichen Widerstandskraft, die es ihr ermöglicht hat, Straßenzeitungen in London zu verkaufen und eine erfolgreiche Künstlerin mit einer Vergangenheit als Obdachlose zu werden. Negative Reaktionen lösen bei ihr vielmehr ein Lächeln als Abschreckung hervor. «Ich wollte [ihre Reaktion] in ein Kunstwerk verwandeln, das ich als witzig ansah.»