Ein «Erfahrungsort» in Augsburgvorstadt

Grandhotel Cosmopolis: Leben, Kunstmachen & das Asylverfahren abwarten

Unter dem Motto «Stadt der Vielen» ging es beim heurigen «Urbanize Festival» darum, Stadt selbst zu gestalten. Dabei war auch das «Grandhotel Cosmopolis» aus Augsburg – ein Hotel, Lebens- und Arbeitsraum für Gäste mit und ohne Asyl. Raphael Kiczka ergriff die Möglichkeit und sprach mit den drei Hoteliers Julia, Sophia und Stefan über die Möglichkeiten gemeinsamer Erfahrungsräume, Tun auf Augenhöhe und Kunst als Werkzeug gegen die Verwaltung von oben.

Foto: Wolfgang Reiserer

Was ist für euch das Grandhotel Cosmopolis?

Wir werden ganz oft als Flüchtlingsprojekt verstanden, aber das Selbstverständnis der meisten ist nicht so. Beim Grandhotel geht es nicht nur darum, wie wir Geflüchtete behandeln wollen, sondern wie wir uns als Menschen begegnen wollen. Es ist ein Ort, wo wir im alltäglichen Zusammenwohnen und Tun aushandeln, wie wir miteinander leben wollen. Da geht es um Gesellschaft und die Frage: Wie können wir es schaffen, in diesen ungleichen Situationen, in denen wir stecken, trotzdem auf Augenhöhe in Kontakt zu kommen?

Und was braucht es dazu?

Wichtig ist die Entstehungsgeschichte. Es war nicht so, dass ein paar Künstler_innen gesagt haben: Wir wollen jetzt mal was mit Flüchtlingen machen. Künstler_innen haben nach Leerstand gesucht und das Haus im Auge gehabt. Und als klar war, dass es ein Flüchtlingsheim wird, stand fest: Wir machen das zusammen. Dadurch ist auch das Zusammenarbeiten auf Augenhöhe gegeben, weil sich nicht eine Gruppe von Aktivist_innen gefragt hat: Wie können wir «die» jetzt aktivieren?

Im Alltag braucht es gemeinsame Räume und Zugänge. Dass du im Treppenhaus nicht weißt: Ist das ein Reisender, der gerade freiwillig hier ist, ist das jemand, der zwangszugewiesen wurde hier, oder ist das jemand, der schon länger in der Stadt lebt? Das eröffnet einen ganz anderen Raum, in dem Zuschreibungen und Erwartungen unterlaufen werden. Wichtig ist auch die Lobby als Raum. Dort kannst du arbeiten, dich treffen, ein Gespräch beginnen, und in den seltensten Fällen geht es dabei darum: Wo kommst du her?

Weil sich im Grandhotel alle gleichermaßen als Gast fühlen?

Ich weiß gar nicht, warum, die Fragen verschwinden einfach. Wenn jemand fragt: Wo kommst denn du her, dann merkst du, der oder die ist noch nicht so lang da.

Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete sind meist isoliert, abgetrennt vom städtischen Leben und Alltag. Das Grandhotel Cosmopolis schafft einen Ort, der vernetzt, die Stadt hereinholt und in die Stadt wirkt. Liegt das an der zentralen Lage?

Weil viel Energie reingesteckt wird, dieser Ort wird gepflegt, und ganz viele Aktivitäten werden organisiert. Das schafft Zentralität: Viele Projekte treffen sich da, tauschen sich aus, Räume sind leicht zugänglich und nutzbar. Die Offenheit ist zentral, besonders auch für neue Leute, die Ideen reinbringen. Es ist ein Möglichkeits- und Erfahrungsraum. Es kommt drauf an, was du damit machst.

Das heißt ja auch viel experimentieren, ständige Bewegung und Veränderung durch die vielen Beteiligten. Darum bezeichnet ihr mit Josef Beuys’ Worten das Grandhotel als «soziale Plastik»?

Soziale Plastik bedeutet: Es wird am gesellschaftlichen Zusammenleben unterschiedlicher Menschen gearbeitet, das individuelle Bewusstsein geschärft für die Gestaltung der Gesellschaft. Chaotische Strukturen provozieren, Automatismen werden irritiert, dein Bewusstsein wird aktiviert, und durch Provokation entstehen neue Formen und soziale Strukturen. Das ist ein künstlerischer Prozess, und es gibt sonst kein Projekt, das so konkret an diesem Konzept arbeitet.

Und gleichzeitig gibt es eine alte Frau, die sitzt einfach jeden Tag vier Stunden in der Lobby, der brauchst du nicht mit «sozialer Plastik» kommen. Es gibt natürlich unterschiedliche Zugänge, es ist kein Projekt mit konkretem Ziel und eindeutiger Ausrichtung. Das ist auch das große demokratische Potenzial, dass die Idee verhandelbar bleibt. Die allgemeingültigste Beschreibung wäre wohl: Erfahrungsort.


Ihr wollt kreativ und selbstorganisiert neue soziale Strukturen schaffen. Aber zuständig für die Unterbringung der Geflüchteten ist die Regierung von Schwaben. Die sind wohl eher an einer schlichten hierarchischen Verwaltung von Menschen interessiert als an der gemeinsamen Schaffung eines sozialen Gesamtkunstwerks.

Der größte Konflikt ist, dass eine solche Lagerrealität mit ihrer Verwaltungslogik einen starken Zwangskontext reinbringt. Wir wollten, dass die Leute sich auch ihre Räume gestalten, mit von ihnen ausgesuchten Möbeln. Das wurde gleich unterbunden, weil Standards eingehalten werden mussten und alles konform bleiben muss. Das steht in massivem Widerspruch zu unserer Haltung: Du bist freiwillig hier, du gestaltest mit. Und Menschen werden hier einfach reingesteckt und sind unfreiwillig da. Für manche ist das Grandhotel auch zu viel, oder sie verstehen die Idee dahinter nicht.

Also ist der künstlerische Ansatz auch deshalb ein strategischer Ansatz, weil er am meisten einer Verwaltungslogik entgegensteht?

Die Kunst macht eine Möglichkeit auf, Einspruch zu erheben und Widerstand zu leisten. Aber nicht als klassischer Gegenprotest, sondern in Form eines positiven Gegenentwurfes. Wie zeigen eine andere Möglichkeit auf. Wir können nicht mehr in einer nationalstaatlichen Denke verbleiben. Diese Grenzen müssen wir überwinden, weil wir eigentlich schon längst in einer kosmopolitischen Realität leben. Dazu braucht es konkrete Orte und ein Bewusstsein darüber, dass wir hier kosmopolitische Aushandlungsprozesse haben.

Dafür braucht es Raum, aber auch Zeit. In Wien sind Unterbringungsorte für Geflüchtete häufig Zwischennutzungen. Gibt es sozialen Austausch und gemeinsame Projekte, endet dieser meist mit dem Aus- und Umzug.

Mit der Tiefe ist so ein Projekt in einer Zwischennutzung nicht möglich. So etwas wie das Grandhotel ist möglich, weil es lange und im Prozess wachsen konnte, mit den Leuten, die da sind. Bei unserer Vorstellung beim Urbanize Festival kam die Kritik: Es geht wenig um die Perspektive von Geflüchteten. Und das stimmt. Wenn du immer tiefer gehst, da bist du irgendwann auf der Ebene der Gesellschaft, und es macht keinen Sinn, diese gesellschaftliche Kategorie so stark zu benennen, wenn sie eigentlich verworfen werden soll und die konkrete Praxis des Grandhotels zu einem gewissen Grad schon darüber hinausweist.

Warum gibt es bisher wenige solcher Grandhotels?

Es gibt vielleicht schon viele, aber es war das Role Model, und die Medien haben es stark aufgenommen. Und vieles kam zusammen: Zeit, Ort, Menschen, Situation, eine Stadt in der Größe wie Augsburg.

Also, nicht kopieren – selber machen?

Ja, und damit sind wir wieder beim Erfahrungsort.

 

Ein leerstehendes Altersheim in der Augsburger Altstadt – im Besitz der Diakonie – wird 2011 zum Startpunkt für das Grandhotel Cosmopolis. Auf drei der sechs Etagen leben seit 2013 etwa 60 Geflüchtete. Die zuständige Regierung von Schwaben bezeichnet diese als «Gemeinschaftsunterkunft XV». Für die Hoteliers des Grandhotels ist dies der Hotelbereich mit Asyl. Sie betreiben im Haus das Hotel ohne Asyl, in dem Reisende 16 kunstvoll hergerichtete Zimmer beziehen und gastronomische und kulturelle Angebote genießen können, sowie eine Gaststätte, Ateliers und eine Café-Bar. Das Grandhotel bietet einen gemeinsamen Ort des Tuns und des Austausches – ob Hotelgast mit oder ohne Asyl, spielt hier keine Rolle. «Das Grandhotel Cosmopolis ist die konkrete Utopie, eine grenzenlose, kosmopolitische Alltagskultur zu verwirklichen, in der sich Flüchtlinge, Reisende, Gäste, Künstler und Nachbarn begegnen und willkommen fühlen.»

grandhotel-cosmopolis.org