Ein Penzinger Familienbetrieb mit tschechischer Vorgeschichtevorstadt

Der Slovan-Humanismus

Vor hundert Jahren wurden TschechInnen in Wien als ArbeiterInnen gebraucht, aber nicht geliebt. Mit Mut und Ausdauer begannen sie, ihre eigenen Strukturen zu entwickeln. Ein Resultat ihres Eigensinns existiert noch heute: der Slovan HAC.Obmann Werner May hat den Verein quasi in den Genen. „Meine Geschichte mit Slovan beginnt vor meiner Geburt“, erzählt er. „Mein Großvater war Spieler und Funktionär des Clubs in der Zwischenkriegszeit. Und meine Großmutter, die sich selbst eigentlich gar nicht für Fußball interessiert hat, hat mir, als ich noch klein war, immer davon erzählt.“ Die klassische Initiation erfuhr er, als sein Vater ihn zu den Spielen an die Steinbruchstraße in Penzing mitnahm, wo der Verein seit den Sechzigerjahren trainiert, spielt und immer wieder auch feiert. Seine Karriere als Slovan-Spieler resümiert der Ex-Handballer und -Basketballer mit angemessener Verschmitztheit: „Ich war 23 oder 24 und bereits als Funktionär tätig, als die Reserve so schwach besetzt war, dass ich mich spontan bereit erklärt habe, einzuspringen. Für einen Durchbruch in die Kampfmannschaft hat es natürlich nicht mehr gereicht.“

Das wiederum ist keine Schande, wenn man bedenkt, welche Kaliber das Leiberl des Slovan HAC einst übergestreift hatten: Neben dem slowakischen Spieler des Jahrhunderts, Popluhar, und anderen Legenden aus der ehemaligen Tschechoslowakei scheint der Name der Schnauzbart- und Freistoßlegende Antonin Panenka in den Vereinsannalen auf und lässt wohl nicht nur die Rapid-Anhängerherzen höher schlagen.

Die Hartnäckigen

Wie der Name „Slovan“ verrät, hat der Club tschechische Wurzeln. Er wurde 1902 von tschechischen Arbeitern gegründet und pendelte in seinen ersten Lebensjahren zwischen dem Laaer Berg, der Schmelz, dem Prater und der Hohen Warte quer durch Wien. Mit dem Aufstieg in die höchste Spielklasse 1923 begann man auf dem Gelände, das heute das Horr-Stadion der Wiener Austria beherbergt, einen Platz für bis zu 80.000 Zuschauer zu bauen, eine Vorstellung, die Frank Stronach wohl vor Neid erblassen ließe. Finanziell war man offenbar weniger gut aufgestellt als der austrokanadische Wiedergänger und kam bald in große Schwierigkeiten. Nichtsdestotrotz spielte der SK Slovan bis 1929 in Österreichs höchster Spielklasse und erreichte 1926 mit dem sechsten Rang die beste Platzierung.

Während der Nazidiktatur erfuhr der Verein nicht zuletzt aufgrund seiner „undeutschen“ Wurzeln schwere Repressionen. Im Zuge der Germanisierung aller Vereinsnamen wurde er zunächst in „AC Sparta“ umbenannt. Viele Vereinsmitglieder hatten unter Übergriffen der Nazis zu leiden, weil sie im Widerstand tätig waren. Einige traf das mörderische System mit ganzer Härte: Während der spätere Präsident Oscar Blazek die Inhaftierung im KZ Buchenwald überlebte, kam ein anderes Vereinsmitglied, Jaro Safr, dort zu Tode. Die Überlebenden konnten jedoch nach dem Krieg für eine Wiedergeburt des SK Slovan unter altem Namen sorgen.

Sportlich lief es ab den Fünfzigern nicht mehr so gut wie vor dem Krieg. Nach dem Abstieg ins Wiener Unterhaus fusionierte der Verein mit „Olympia 33“ und siedelte sich am heutigen Slovan-Platz in der Steinbruchstraße an. Nach der Fusion mit dem Hütteldorfer AC im Jahre 1976 nahm man immer wieder prominente tschechoslowakische Ex-Internationale auf, denen der Staat einen Ausklang ihrer Karriere im nahen Ausland gewährte. „Leider sind die Kontakte nach dem politischen Umbruch 1989 sehr rar geworden“, sagt Obmann May. „Aber immerhin ist der Popluhar zur Hundert-Jahr-Feier gekommen. Der Panenka hat leider keine Zeit gehabt.“ Mit ihm gelang im Jahr 1988 auch der letzte große sportliche Erfolg, der Meistertitel in der Regionalliga Ost. Weil die Spiele aber mittlerweile auf Kunstrasen ausgetragen wurden, verwehrte man dem Club den Aufstieg in die zweite Division, was auch einen langfristigen sportlichen Abstieg nach sich zog. Zurzeit spielt der Verein in der Oberliga, heuer allerdings mit dem erklärten Ziel, in die Wiener Liga aufzusteigen.

Die Humanisten

Wie geht man mit einer solch langen und reichen Geschichte von Migration, Repression, Widerstand und Tradition um? Wie hält man sie lebendig? „Das Vereinsarchiv ist Anfang der Achtzigerjahre leider einem Brand zum Opfer gefallen“, erzählt May. „Aber da ich mit dem Verein quasi familiär verbunden bin, konnte ich vieles aus Erzählungen rekonstruieren. Die Fakten habe ich natürlich aus Zeitungsarchiven und Bibliotheken zusammengetragen, aber vieles habe ich auch durch Gespräche mit alten Slovan-Legenden in Erfahrung gebracht.“ Resultat dieser Bemühungen ist ein 99 Seiten umfassendes Manuskript für ein Buch, das irgendwann auch erscheinen soll, „aber eher für den Hausgebrauch“, wie May bescheiden hinzufügt. Was treibt einen Telekom-Techniker dazu, sich schreibend an eine solche Mikrohistorie anzunähern? „In mir steckt eben auch ein Humanist“, sagt May mit einer Nüchternheit, in der das persönliche Bekenntnis zur Menschlichkeit ebenso zu liegen scheint wie das Erbe, das ihm seine Vorfahren mit dem Verein beschert haben. Vielleicht muss man von einem Slovan-Humanismus sprechen, der die Geschichte des eigenen Außenseiterseins in lebendigem Eingedenken hält und daraus einen Auftrag zur Integration für die Gegenwart ableitet: „Die Türken, Jugoslawen oder Albaner sind vielleicht heute in der Situation, in der die Tschechen vor hundert Jahren waren. Wir haben einmal zusammengerechnet und festgestellt, dass unser Verein derzeit aus 11 Nationen besteht.“

Multikulturalität ist bei Slovan kein diffuses Sonntagsredenwort, sondern eine Tatsache, mit der man umgehen muss, wenn man nicht untergehen will. In der Nachwuchsarbeit laufen auf freiwilliger Basis Sozialisierungsprozesse, die kein politisches Programm je erfinden, geschweige denn von oben verordnen könnte. Auch wenn man die Früchte dieser Arbeit nicht immer selbst erntet und die größten Talente im Augenblick des Durchbruchs oft von den „Big Players“ Austria und Rapid geködert werden, entsteht durch die Sorgfalt in den menschlichen Beziehungen bei Slovan eine erstaunliche Verbindlichkeit und Loyalität unter jenen, die sich bewusst für den Verein entscheiden.

Die treuen Seelen

„Slovan, das ist für mich Zusammenhalt“, sagt etwa Bernhard Schipek, Torhüter der Kampfmannschaft, der in der letzten Saison zum besten Tormann der Oberliga A gewählt wurde. „Oft komme ich schon vor dem Training auf den Platz und bleib auch nachher noch gerne da. Wir sind hier wie eine Familie.“ Das ist umso erstaunlicher für einen, der gar nicht hier groß geworden ist, sondern beim Sportclub. Dort war er Jahrgangskollege des legendären Eigenbautrios Neidhart/Holcmann/Buchinger. Bei Slovan praktiziert er seine sagenhaften Reflexe, abgesehen von einer kurzen FavAC-Unterbrechung, nun seit fast sieben Jahren. Über die Frage, mit wem er am längsten zusammenspielt, muss er nicht lange nachdenken: „Mit dem Guggi!“ Gemeint ist Kurt Kumhofer, 38, Libero und Slovan-Urgestein. Im Haus neben dem Platz aufgewachsen, kam er mit 14 zum Verein. Mit 18 stand er in der Kampfmannschaft und wurde Regionalligameister – an der Seite eines gewissen Antonin Panenka. „Das ist aber auch das einzige, worauf ich fußballerisch wirklich stolz bin“, meint er, seinem Obmann an Bescheidenheit um nichts nachstehend. Abgesehen von kürzeren Engagements beim LAC, Red Star, Wienerberger und einem halbjährigen Gastspiel bei der Viktoria in Bregenz hat er Slovan weitestgehend die Treue gehalten. Ans Aufhören denkt er nicht, obwohl er mittlerweile schon mit der sportlichen Leitung betraut ist. „Wenn wir diesmal in die Wiener Liga aufsteigen, dann reizt mich das erst recht“, sagt er, und seine Stimme wird in dem Ausmaß leiser, in dem seine Augen an Glanz zunehmen. Sein Spielverständnis wird die Mannschaft vermutlich auch eine Klasse höher noch gut brauchen können, denn Kumhofer ist ein Libero, wie man ihn heute nur noch selten findet: Er drischt nicht auf den Ball, sondern spielt ihn mit Übersicht und Eleganz nach vorne – humanistisch eben.

Info: www.slovan-hac.at, www.oberliga-a.at

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