«Eine Steigerung um 200 Prozent!»vorstadt

Ein bisserl verschlafen, ein bisserl hip: der Volkertmarkt

Im Zuge der Verlängerung der U2 zum Ernst-Happel-Stadion wurde dem Volkertplatz bzw. -markt im zweiten Bezirk ein Boom prognostiziert. Doch es will, und das ist vielleicht auch gut so, nicht so recht mit der Wiederbelebung klappen. Doris Kittler (Text und Fotos) hat sich vor Ort umgesehen und mit einem Grätzeldelegierten gesprochen.

«Chillen ist die Kunst, sich beim Nichtstun nicht zu langweilen.» Der gemeine Wiener, die gemeine Wienerin sagen dazu «tachinieren»; die Exekutive würde es wahrscheinlich «unbegründetes Stehenbleiben» nennen (und dafür Strafe kassieren). Den Menschen, die sich täglich so verlässlich vor dem türkisch-österreichischen Marktstand «Suema» auf dem Volkertplatz einfinden, wie die Sonne auf- und untergeht, scheint es jedenfalls nie fad zu werden. Beim fast schon legendären Herrn Suemer ist immer was los, auch kriegt man bei ihm das Bier billiger als im daneben betriebenen «Café Nelke», wo sich eher die Ingwertee-mit-Honig-Fraktion trifft und gepflegt unter den Heizstrahlern parliert, weil es eigentlich noch zu kalt zum Draußensitzen ist.

«Volkertmarkt, wo genau is’n der?» – so die Reaktion der meisten Stadtbewohner_innen, die nicht unmittelbar im Volkert- oder Alliiertenviertel wohnen, etwas unscheinbar zwischen Augarten, ehemaligem Nordbahnhof, Praterstern und Heinestraße gelegen. So richtig hip wie beim berühmten Nachbarn Karmeliterviertel ist es hier nie geworden, während die Wohnungspreise ähnlich gewaltig angezogen haben. Gleich links von der «Nelke» das kroatische Fischrestaurant (ein Geheimtipp), ein Kebap-Stand, der koschere Fleischhauer und der einzig noch verbliebene Gemüsehändler. Den großen Platz daneben, wo sich nur das Jugendzentrum und einige Bänke befinden, erlebt man an schönen Tagen wie einen Bienenschwarm, voll von Fußball spielenden Kindern und Jugendlichen, jausnenden Familien und vielen älteren Menschen aus allen Ecken des Grätzels. Aber die asphaltierte Mitte des Platzes stellt eine Art Stadtvakuum da, wo kaum was passiert. Nicht so an manchen Samstagen, an denen Charly Krumpschmid und seine Haberer monatlich zum «Themenflohmarkt» auffordern und Musiker_innen aus nah und fern auf die Bühne bringen. Seit über einem Jahr bemüht sich der offiziell berufene «Grätzeldelegierte» um eine Wiederbelebung des Marktes. «Das ist mir als Anrainer, der den Markt lange kennt, ein großes Anliegen. Vor einiger Zeit gab es nur mehr einen einzigen Standler am Samstagsmarkt. Mittlerweile sind immerhin eine Fleischhauerin aus dem Waldviertel und ein Käseverkäufer dazugekommen. –  Das ist eine Steigerung um 200 Prozent!» Aber natürlich wünschen sich viele einen richtigen, alternativen Bauernmarkt.

Auf einer improvisierten Bühne werden die Anrainer_innen aufgefordert, ihre Musik darzubieten, wobei oft spontane Impros und Chöre mit Menschen entstehen, die man vielleicht noch nie davor gesehen hat. Er wolle die unterschiedlichen Ethnien, Religionen und sozialen Schichten zusammenzubringen, «Kunst, und vor allem Musik ist eine Möglichkeit». Rock, Punk, Jazz, Wienerlied, Gypsy und Balkan ist dort zu hören, dazu tanzt, wer zufällig vorbeikommt, wie auch MA7-Männer, die am 31. Oktober spontan während ihrer Kehrarbeit in Halloweenmasken auftauchen – ein Gimmick fürs Publikum. Daneben werden in einer kleinen Runde Hauben für Flüchtlinge gestrickt, während andere sich an Charlys heißem Punsch laben. Als Abdullah, ein junger, aus dem Irak stammender, asylsuchender Neuwiener einmal mit einer Anrainerin tanzte, gestand er anschließend, dass dies gerade der erste Tanz seines Lebens gewesen sei. Charly kann zufrieden sein.

 

Info:

Nächster Flohmarkt zum Thema «Kunst und Kitsch» bzw. offene Bühne am Samstag, dem 12. März ab 10 Uhr