Hinter der Siedlung wächst das Grasvorstadt

Fußball in Favoriten ein Streifzug in Folgen (2)

Derbytime: Der FavAC zu Gast beim kleinen Bruder IC Favoriten, der große Träume hegt. Und der Augustin trifft einen Döblinger Extrabrennfahrer, der vor 15 Jahren buchstäblich bei null begonnen hat.Eine Reise zum IC Favoriten beginnt für den Nichtfavoritner dort, wo seine Auseinandersetzung mit dem Zehnten normalerweise endet: Am Reumannplatz schlüpft er in den 67er, hält zügig auf einen Hügel mit dem Frischluft verheißenden Namen „Altes Landgut“ zu und schlängelt sich anschließend talwärts Richtung Per-Albin-Hansson-Siedlung. Der Fußweg zum Franz-Koci-Sportplatz ist eine Enttäuschung für all jene, die sich diese Gegend so vorstellen wie der deutsche Innenminister Neukölln: Die Gehsteige sind so sauber, als ob sie das hiesige Hundsvolk nicht einmal von fern beschnuppert hätte, und neben dem Einkaufszentrum ragt keine Moschee, sondern ein Kirchturm in die Luft.

Erregung setzt erst ein, sobald man die Spielanlage betritt, denn an diesem Samstagnachmittag gastiert der FavAC beim Bezirksnachbarn IC Favoriten. Und auch wenn es in der Tabelle für beide Mannschaften um nicht mehr viel geht, können die Trainer davon ausgehen, dass ihre Spieler sich in den neunzig Minuten anders verhalten werden als weiland die Nationalteams von Österreich und Deutschland beim Skandalspiel von Gijon.

Handschlag und Schwalben

Abgesehen vom Derby-Kick beschert eine weitaus unangenehmere Episode diesem Spiel schon vor Anpfiff eine besondere Spannung. Vor wenigen Wochen hatte sich ein Mitarbeiter des Wiener Fußballverbands vergessen und den IC-Spieler Marc Akanu rassistisch beschimpft. Nachdem der Mitarbeiter daraufhin vom Verband seiner Ämter enthoben wurde – „eine richtige Entscheidung“, wie Michael Fanizadeh von der Organisation „Fairplay“ betont -, entstand bei diesem das Bedürfnis nach symbolischer Wiedergutmachung. Unter der Vermittlung von Fairplay kam es vor Spielbeginn zu einem Handshake zwischen Akanu und Ex-Funktionär Trimmel.

Das Spiel selbst liefert statt Gehässigkeiten zunächst auf beiden Seiten ungelenk tastende Versuche, ein Spiel nach vorne aufzuziehen. Die Höhepunkte der ersten halben Stunde: zwei ebenso spektakulär wie durchsichtig vorgetragene Schwalben, die vom Unparteiischen auch prompt mit Gelb benotet werden. Nach und nach können sich die Hausherren ein spielerisches Übergewicht erarbeiten, nicht zuletzt durch den Einsatz des mit großer Übersicht spielenden Marc Akanu, der sein Fußwerk in der Akademie des größten Fußballvereins in Nigeria erlernte. Vorne lauert mit Vladimir Stanimirovic der aktuelle Zweite der Torschützenliste, und es dauert keine Halbzeit lang, bis er auch im FavAC-Kasten anschreibt: 1:0 für den IC, schön herausgespielt auf der rechten Seite und trocken eingenetzt, Saisontor Nummer 14 für den Stürmer.

Nach dem Seitentausch bemüht der FavAC sich entschieden redlicher um das Spiel und kommt in einigen Situationen einem Unentschieden auch gefährlich nahe. Bei aller Anstrengung ist nicht zu übersehen, dass die Mannschaft zwar über Potenzial, aber noch nicht über die Sicherheit verfügt, einen ebenbürtigen Gegner spielerisch unter Druck zu setzen. Da helfen auch nicht die Stoßseufzer der rührigen Fans, von denen einige noch die Sara-Brüder in Bundesligaschlagern angefeuert hatten, zu einer Zeit, als der älteste Spieler der aktuellen Mannschaft gerade das Licht der Welt erblickte. Und am Ende kommt es, wie es kommen muss: Erneut ist es Stanimirovic, der mit dem 2:0 den Punkt unter ein flottes Derby setzt.

Ball und Pferde

Nach dem Spiel gehen noch einmal die Emotionen hoch: Dass FavAC-Tormann Milosevic die Kugel frustriert über den Maschendraht jagt, mag IC-Obmann Walter Thun nicht auf sich sitzen lassen. Grob befiehlt er dem verdutzten Spieler aus einer Entfernung von 70 Metern, den Ball gefälligst zu holen, was dieser umstandlos und Hände ringend gelobt. Einmal im glücklichen Wiederbesitz, lässt Thun das Spielgerät nicht wieder los. „Ich bin hier Mädchen für alles“, seufzt er, und wer sich seine Geschichte mit dem Verein vergegenwärtigt, bekommt eine Ahnung, was das bedeutet. In den Sechzigern selbst Staatsligakicker bei der Vienna und beim WAC, schlägt er nach dem Karriereende zunächst eine zweite Laufbahn als Trabrennfahrer ein. „Neulich am Rathausplatz hat mich ein Augustin-Verkäufer angesprochen. ‚Auf di und deine Pfeadln hob i vü Göd valuan‘, hat der gelacht.“

Zum Fußball kommt der gebürtige Döblinger eher zufällig wieder zurück, als er 1989 den Verein Strebersdorf übernimmt – als Letzten der untersten Klasse, mit null Punkten. „Schauns, wo wir heute sind“, sagt er mit Stolz und Müdigkeit in der Stimme. „Jetzt haben wir einen Sponsor, der in die Regionalliga will. Dafür müssen wir aber auch die Leute hier begeistern. In der Siedlung leben 30.000 Menschen, an die versuchen wir über die Jugendarbeit heranzukommen.“ Ein Schlüssel zu diesem ehrgeizigen Unternehmen könnte der neue Trainer sein. Der im Rapid-Nachwuchs groß gewordene Hans Slunecko, 38, hat die Mannschaft zu Beginn des Frühjahrs übernommen. Er kann auf eine aktive Karriere als Wandervogel zurückblicken: Engagements bei Vienna, St. Pölten oder dem Lask bescherten ihm lehrreiche Jahre in den oberen Spielklassen. Als Trainer am stärksten geprägt hat ihn der mittlerweile verstorbene Hannes Weninger, „nicht zuletzt, weil er mir den meisten Widerstand entgegengesetzt hat“. Entscheidend war für ihn sein letztes aktives Jahr bei den Rapid-Amateuren. „Da habe ich mitgekriegt, unter welchem Erwartungsdruck die Jungen heute stehen, und das berücksichtige ich in meiner Arbeit.“ Trotz allem unterscheidet Slunecko scharf zwischen realem Druck und dem ihm immer wieder begegnenden Selbstmitleid der Spieler. „Ich sag immer: Schauts euch den Fabregas an. Der hat sich bei Barcelona nicht durchgesetzt und hätte es sich leicht machen und zu einem kleineren Club in Spanien wandern können. Wo ist er hingegangen? Zu Arsenal. Und dort spielt er jetzt groß auf.“

Dass der Sponsor „Schnitzlplatzl“ in die Regionalliga will, kommt Slunecko entgegen. „Um den zehnten Platz spielen interessiert mich nicht. Dementsprechend muss sich auch die Mannschaft in der nächsten Saison gestalten.“ Gut möglich, dass in der Hansson-Siedlung bald einer von Sluneckos Exclubs wie St. Pölten oder Vienna zu Besuch kommt. Spätestens dann sollten sich die Regionalligatorleute ein ordentliches Benehmen zugelegt haben.

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