«Paradigmatisch für die Wiener Geschichte»vorstadt

Eine Wanderausstellung über eine historische Minderheit - die «Ziegelböhm»

Im Favoritener Karl-Wrba-Hof initiierte «Wohnpartner», ein Nachbarschaftsservice im Wiener Gemeindebau, Gesprächskreise mit Zeitzeug_innen der sogenannten Ziegelböhm. Auf Basis dieser Gespräche wurde eine kleine, aber sehr feine Wanderausstellung entwickelt. Reinhold Schachner sprach im volksmündlich auch als «Senfbau» bezeichneten Gemeindebau mit dem Kurator Andreas Rechling und dem ehrenamtlichen Mitarbeiter Nikolaus Salzer über die Ziegelböhm vom Wienerberg.

Foto: Bezirksmuseum Favoriten

In der Ausstellung ist ein ORF-Beitrag aus dem Jahre 1986 mit dem Titel «Minderheiten in Österreich: Tschechen» zu sehen. Gelten die Tschech_innen noch immer als Minderheit?

Andreas Rechling: Das Projekt ist aus einem lebensgeschichtlichen Gesprächskreis von ehemaligen Bewohnern und Bewohnerinnen der Ziegelwerke entstanden. Mich haben dabei Überlieferungen und Zuschreibungen der alten Ziegelböhm interessiert. Dabei ist ziemlich schnell klar geworden, dass sich diese Leute nicht als Teil einer tschechischen Minderheit verstehen. Sie sind in ihrer Jugend noch mit der eher diffamierenden Zuschreibung Ziegelböhm konfrontiert gewesen, aber sprechen selber kaum noch Tschechisch. In den kulturellen Ausdrucksformen, auf einer alltäglichen Ebene, gibt es aber Überlieferungen, wie z. B. Lieder oder Speisen.

Nikolaus Salzer: Meine Mutter und meine Großmutter haben als Umgangssprache noch Tschechisch verwendet, aber ich habe davon nichts verstanden.

Wie lange wurde die tschechische Sprache von Ziegelböhmen verwendet?

A. R.: Die NS-Zeit war eine Zäsur.

N. S.: Da war der Bruch. Man hat sich davor gescheut, Böhmisch zu sprechen. Sie haben versucht, sich das Bemakln, also gebrochen deutsch zu sprechen, abzugewöhnen, um ja nicht aufzufallen.

A. R.: In der Nachkriegszeit ist das aber eigentlich nahtlos weitergegangen, wenn bspw. Frauen mit Kopftüchern am Viktor-Adler-Markt tschechisch gesprochen haben, sind sie nicht gut behandelt worden.

Welche Intention steckte hinter den Gesprächskreisen?

N. S.: Der Standort spielte eine Rolle, weil hier die Ziegelfabrik am Wienerberg gewesen ist. Als die Wohnbauten für die Arbeiter aufgelassen wurden, ist der Großteil von ihnen in den Karl-Wrba-Hof gezogen. Daher war es naheliegend, dieses Thema aufzugreifen.

A. R.: Beziehungsweise auch in die [Per-Albin-]Hansson-Siedlung, wo ich auch einmal gearbeitet habe. Die Hansson-Siedlung und der Wrba-Hof fallen in eine ähnliche Zeit. Die Ziegelbauten sind im Laufe der 1970er-Jahre abgerissen worden, und ihre Bewohner sind in dieses Grätzel, in den südlichen Teil von Favoriten gezogen. Ich habe die Geschichte der Ziegelböhm gekannt und dann einige Leute getroffen, mit denen ich dieses Gesprächsthema hatte. Nachdem es eine Aufgabe der «Wohnpartner» ist, Gemeinwesenarbeit zu machen, also Räume für Begegnungen zu schaffen, entstand die Idee, diese Geschichte der Ziegelböhm in Rahmen von Gesprächskreisen aufzurollen.

Wie ist aus den Gesprächskreisen eine Ausstellung geworden?

A. R.: Am Anfang war nicht klar, dass es eine Ausstellung geben wird. Es begann mit einem Zeitzeugenprojekt, also den Gesprächskreisen. Allmählich kam es zur Überlegung, dass eine Ausstellung ein gutes Format sein könnte, dieses Thema einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich denke, die Geschichte der Ziegelarbeiter steht paradigmatisch für die Wiener Geschichte im größeren Sinne. In der Ausstellung trifft die Migrationsgeschichte mit der Selbstorganisation der Ziegelarbeiter und Ziegelarbeiterinnen im Zuge der Arbeiter_innenbewegung konzentriert zusammen.

Es sind auch viele Leute bzw. Vereine aus dem Bezirk an uns herangetreten und meinten, es sei spannend, etwas über die Ziegelböhm zu machen, weil es das noch nicht gegeben hat.

Herr Salzer, wie wurden Sie zum ehrenamtlichen Mitarbeiter der Ausstellung? Wohnen Sie im Karl-Wrba-Hof?

N. S.: Ich wohne sehr wohl im zehnten Bezirk, aber nicht im Wrba-Hof. Es hat einen Aufruf in der Bezirkszeitung gegeben, mitzuwirken. Ich habe meine Diplomarbeit in Soziologie über den Ziegelarbeiterstreik 1895 geschrieben und diese Andreas gebracht, der mich daraufhin zur Mitarbeit eingeladen hat. Ich habe die Funktion des Bücherwurms übernommen, der in alle möglichen Archive gegangen ist und die Unterlagen zusammengetragen hat.

Haben Sie die Ziegelwerke noch erlebt? Hatten Sie dort etwas zu tun?

N. S.: Zu tun hatte ich dort nichts, aber als Kinder sind wir natürlich immer bei den Ziegelteichen und in den Ruinen herumgelaufen, doch der Betrieb ist damals schon stillgelegt gewesen.

Herr Rechling, an einem Ausstellungseröffnungsabend haben Sie gesagt, diese Ausstellung sei nicht wissenschaftlich. Wie ist das zu verstehen?

A. R.: Das war so gemeint, dass unser Auftrag als «Wohnpartner» kein wissenschaftlicher ist, sondern Gemeinwesenarbeit. Wir wollten nicht minutiös ins Detail gehen, sondern das Wesentliche der Geschichte der Ziegelböhm herausarbeiten, damit eine Koalition mit der Gegenwart entsteht. Wie erzeugt man in der Gegenwart eine Auseinandersetzung und Diskussionen. Bisweilen ist mir in der Rezeption der Ausstellung aufgefallen, dass sie viele Leute anspricht, die irgendjemand mit tschechischen Wurzeln in der Familie haben.

N. S.: Die Ausstellung trifft das «Ausländer»-Thema auf den Punkt: Vielen Besuchern wird wahrscheinlich bewusster, dass sie auch nicht zur Gänze Einheimische sind.

Info:

«Wien und die «Ziegelböhm». Zur Alltagsgeschichte der Wienerberger ZiegelarbeiterInnen»

Bis 2. März 2015

Mo., Di., 9-17 Uhr , Do., 13-19 Uhr , Fr. 9-12 Uhr

GBStern, Quellenstraße 149, 1100 Wien

www.gbstern.at

Links zum Karl-Wrba-Hof:

https://inaltenundneuenstaedten.wordpress.com/2015/02/08/karl-wrba-hof-oder-ein-irrtum

www.wienerwohnen.at/hof/269/Karl-Wrba-Hof.html