„Seit Anfang an“vorstadt

Walter Szabo bringt dem Augustin die Zeitung

Dienstag, halb vier. Vor dem Verkaufsbüro der Straßenzeitung Augustin in der Reinprechtsdorfer Straße steigt wieder einmal die Spannung. Gleich wird sie da sein, die neue Ausgabe. Die freiwilligen Helfer, die sie auch heute von den Paletten im Hof heben und in die Stauräume des Büros bringen sollen, sind jedenfalls schon da. Ein gutes Dutzend, die drei Sozialarbeiter miteingerechnet.Es gibt schöne Geschichten, die finden nur mehr selten den Weg in die Zeitungen. Weil sie nur schön sind, aber nicht spektakulär. Weil man in den Redaktionen der Zeitungen befürchtet, dass sie sofort untergehen, in der modernen Meldungsflut. Weil sich aber auch ihre Protagonisten niemals in den Vordergrund drängeln würden. Lieber laden sie Verantwortung auf ihre Schultern. Im Hintergrund.

Druckreif für diese Jubiläumsausgabe ist jedenfalls die Geschichte von Walter Szabo. Der liefert seit 15 Jahren die Zeitung an. Auf Papier gebracht wird sie in der Druckerei Herold in der Faradaygasse im Dritten, hinter dem Arsenal. Den Weg durch die Stadt und am Ende eines langen Arbeitstages zum Augustin kennt Szabo nur zu gut. Er fährt ihn Ausgabe für Ausgabe. Immer dienstags. Inzwischen hält er bei 282 Lieferungen.

«Ja, ich bin seit Anfang an, seit der ersten Ausgabe mit von der Partie», berichtet der 52-jährige Berufschauffeur, nachdem er seinen Klein-LKW behutsam in der für ihn reservierten Ladezone geparkt hat. Auf diese Kontinuität ist er auch «ein bissl stolz». Kurz vor 16 Uhr. Walter Szabo hat es wieder einmal geschafft. Nach ihm kann man die Uhr stellen. Seine Ankunft löst eine routinierte Geschäftigkeit bei Sozialarbeitern und zur Seite stehenden Kolporteuren aus.

Die neue Zeitung ist da! Hundert Exemplare zu einem Packen geschnürt, mehr als 30.000 Exemplare auf sechs Paletten verteilt. Neuer Lesestoff für die einen die Käufer; neue Verdienstmöglichkeit für die anderen die Verkäufer. Ohne viel Trarara hat der augustinische Hilfstrupp eine Menschenkette gebildet, die vom Hof bis in das Büroinnere reicht, um sich dort in zwei Richtungen zu verzweigen. Von Hand zu Hand wird nun Hunderter-Packen für Hunderter-Packen gereicht.

«Mich fasziniert dieser Zusammenhalt», kommentiert der Walter das fast wortlose Zusammenspiel. Ja, die Augustiner sagen Walter zu ihm. Haben Vertrauen zu ihm, sehen einen echten Kollegen in ihm, weil er es sich auch nicht nehmen lassen mag, selbst Hand anzulegen. Nachdem die Zeitungen der ersten Palette verfrachtet sind, fügt er leise hinzu: «Das sind Leute, die viel weniger haben, und dennoch glücklicher wirken als andere.»

Er selbst ist im nördlichen Burgenland aufgewachsen. Nach der Schule kam er wie so viele aus seiner Generation zum Arbeiten nach Wien. Wien wollte ihn dann nicht mehr loslassen. Vor der Arbeit als Chauffeur war Walter Szabo Beschriftungsmonteur bei der Gemeinde Wien. «Wir haben die Buchstaben und Tafeln in Gemeindebauten und Schulen angebracht.»

Den Buchstaben ist er so gesehen treu geblieben. Zur Druckerei Herold, die im Übrigen nichts mit dem gleichnamigen Mödlinger Adressen-Spezialisten zu tun hat, hat ihn ein Kollege gelotst. 1986 war das. Keine üble Entscheidung. Gut, der Auto-Verkehr in der Stadt wird immer mehr. «Aber mit der notwendigen Gelassenheit hat man auch damit umgehen gelernt.» Selbst jene Autofahrer, die ohne erkennbare Notwendigkeit «das Benzin verfahren», können den unaufgeregten Zusteller nicht aufregen. Da steht er, da sitzt er längst drüber.

Im sauerstoffarmen Büro drinnen treten Anzeichen körperlicher Anstrengung auf den Stirnen der Werktätigen zutage. Bald eine halbe Stunde sind sie nun schon am permanenten Weiter-Geben der Zeitung. Der Walter muntert daher den Vorarbeiter auf: «Noch zwei Paletten, dann hammas für heute.»

Die erste österreichische Boulevardzeitung, wie sie weiterhin auf der ersten Seite tituliert wird, zählt zu den Großkunden der Firma Herold. Weiß der stets zuverlässige Verbindungsmann. Nur die niederösterreichische Bauern- und die Wiener Kirchen-Zeitung liefert er in höherer Auflage aus. Die sind aber in einem traditionell agrar-katholischen Umfeld nicht unbedingt die Messlatten für ein Sozialprojekt, das weder Presseförderung noch eine Zuwendung aus dem Füllhorn der Stadt Wien bekommt.

Kurz durchatmen! Endlich ist auch der letzte Zeitungspacken eingeschlichtet. Von wegen Menschen, die nicht arbeiten wollen. Als kleines Dankeschön warten auf alle auch schon traditionell belegte Brötchen. Dazu gibt es ein wenig Zeit, um sich in Ruhe zu unterhalten. Der Walter ist, wie sich schnell zeigt, ein herzlich willkommener Gesprächspartner. Und ein aufmerksamer Zuhörer obendrein. Nach einer Weile verabschiedet er sich wie immer höflich. Draußen auf der Straße wiederholt er seinen «Respekt vor der guten Stimmung im Team». Der Augustin habe ihn schon öfters auf den Boden der Realität zurückgeholt. Möge es ihn noch möglichst lange geben!

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Lokalmatadore sind Menschen, die zum Gelingen dieser Stadt beitragen. Die Serie Lokalmatadore erscheint seit bald elf Jahren im Augustin. Daraus sind auch schon zwei gleichnamige Porträtbücher erwachsen. Der aktuelle Band kann auch per E-Mail bestellt werden: mario@augustin.or.at.