«Sonnenpark» vs. Wohnparkvorstadt

In St. Pölten hängt seit vielen Jahren über einem Naturidyll ein Damoklesschwert

Der St. Pöltener «Sonnenpark» ist unvermutet groß und herrlich ungestüm: Ein Stück ländliche Idylle. Nur hie und da gibt es «kulturelle Eingriffe», die sensibel und mit Respekt vor der Natur gemacht werden. Nichts scheint darauf hinzuweisen, dass dieser 50.000 m² große Grünraum seit Jahren massiv von Bebauung bedroht ist. Doris Kittler (Text und Fotos) berichtet aus der Niederösterreichischen Landeshauptstadt.

St. Pölten galt – von Wien aus betrachtet – in den 90er Jahren quasi als Inbegriff des todlangweiligen, hinterwäldlerischen Provinznestes, während es heute aus der Kulturlandschaft Wien/Umgebung nicht wegzudenken ist. Kam man früher eher zufällig in die niederösterreichische Landeshauptstadt, so fahren heute jede Menge Wiener_innen in einem flotten halben Stündchen Bahnfahrt in die «Nachbarstadt», um eine Vorstellung im Landestheater, das Höfefest oder etwa das Frequency-Festival zu besuchen. Auch die Vereine «La Musique et Sun» (LAMES) und «Sonnenpark» sind mit ihren jährlichen Festen fixer Bestandteil des lokalen Kulturgeschehens geworden, bei denen jährlich tausende Menschen feiern und gleichzeitig durch Spenden die Finanzierung der Initiativen ermöglichen. Die Vision einer zukünftigen Nutzung steht über sämtlichen Aktionen, die allesamt das Lustvolle mit dem Nützlichen zu verbinden suchen. «Verwirklichte Utopien und gelebte Ideale werden der Realität in der Stadtentwicklung und politischer Agitation gegenüber gestellt. Das Symposium für interdiziplinäre Kunst, Parque del Sol, und der Park generell bieten dabei die perfekte Bühne, eben als Ort, an dem Utopien gelebt werden. Die Stadt hat davon bisher profitiert», so Markus Weidmann, Obmann des Vereins Sonnenpark. Dieser Kulturverein «zur Förderung nachbarschaftlicher Kommunikation und gemeinschaftlicher Aktivitäten» bringt ganzjährig die Nachbarschaft zusammen, und es gibt fast nichts, das es nicht gibt: mehrere Gemeinschaftsgärten, Projekte mit Schulen und der BOKU, Barfußlaufen zur Fußbettstärkung, Bäume umarmen für die Seele, lesen an der Bücherentnahmestelle, riechen am Duftgarten, Vogeltränken, Naturbandolinos, Pflanzenpatenschaften, Kräuterseminare. Nachhaltigkeit und Selbstversorgung sind wichtige Stichwörter: Man kann hier in Workshops lernen, wie man Naturkosmetik selber macht oder wie man ein einfaches, netzunabhängiges Solarsystem aufbaut, um sich selbst mit Strom versorgen zu können. Es ist ein Arbeitsort für internationale Künstler_innen, Energieort voller Freude, jedoch ohne Konsumzwang, Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Naherholungsraum. Das funktioniert seit Jahren hervorragend. LAMES hat 1995 als künstlerisches Kollektiv angefangen, um «Sonne in die Tristesse des St. Pölten der späten 90er zu bringen», so die Aktivistin Agnes Peschta. Er wurde von Andi Fränzl mitgegründet, der übrigens auch Mitglied der A-capella-Band «Bauchklang» ist. Man hatte erst einmal einen Raum in einer Malereifirma von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommen. Als das Gebäude 1999 abgerissen wurde, bekam die Gruppe das Gebäude am Spratzerner Kirchenweg 81 zur Verfügung gestellt. Nach ziemlichen Tiefen wie Räumungen und einem Brand, bei dem viel Equipment, Instrumente und Filmmaterial verloren gingen, gibt es nun ein gutes Verhältnis mit diversen Politiker_innen aus fast allen Lagern, und mit Bürgermeister Matthias Stadler wurde mündlich vereinbart, beide Häuser zu verwenden. «Im Leitbild von LAMES gibt es drei Teile: Kunst, Mensch und Natur», so Peschta. Es gehe darum, die Räume vielfältig an verschiedene Initiativen zu vergeben, um das Ganze stabiler zu machen («Save the Place» ist auch ein Motto). Man müsse aktiv an die Menschen herangehen und sagen: «Komm mit an Bord!» LAMES bietet ein buntes Programm: Bei polnischen, jüdischen oder Soulfood-Abenden werden, während gekocht wird, Geschichten erzählt. Das Café «Beschwingt» ist ausgerichtet für die Pensionist_innen der Gegend, und es kommen tatsächlich immer mehr ältere Menschen hin. Auch Projekte mit der Kunstuni gab es schon. «Das erreicht auch eine andere Öffentlichkeit und macht den Ort bekannt. Gäste aus Belgien, aus Deutschland kommen extra zum ‹Parque del Sol›, wie cool ist das denn?»

Umwidmung in Bauland

Das Areal war im Laufe des Zwanzigsten Jahrhunderts Schmiede, Hackschnitzelwerk, später Flüchtlingsheim, es wurden Rennpferde gezüchtet und Schrebergärten betrieben. Anfang der 90er Jahre machte die Stadt einen Vorverkaufsvertrag mit der Niederösterreichischen Wohnbaugenossenschaft, und es dürfte eine Anzahlung in unbekannter Höhe geflossen sein, vermuten Wohnbaugegner_innen, bloß Beweise können sie keine vorlegen. Um das Gelände zu sichern, müsste die Stadt den Park quasi «zurückkaufen». 2008 wurde der Sonnenpark zu Bauland umgewidmet und seither steigt und steigt der Wert des Baulandes. Zwei Planungsverfahren gab es schon, wobei das erste kippte. Den genauen Grund dafür kennen die Gegnerinnen nicht, aber es sei naheliegend, dass zu viel Grünland und geschützte Bäume geopfert worden wären. Der zweite Vorschlag beinhaltet nämlich einen großen Grünanteil in der Siedlung, womit man den Aktivist_innen entgegenkommt. «Das wären mehrstöckige Gebäude, und wir wollen nicht, dass gebaut wird», so Peschta, und ihr Kollege sagt gar: «Das wäre ein Wahnsinn, ein Schuss ins Knie!» Das Spannende an diesem Raum ist allerdings, dass er eben nicht fremdbestimmt ist, nicht in fertiger Form zur Verfügung gestellt wird und von unten «herauswachsen» darf. «Utopie ist so ein schwieriger Begriff, weil er in sich trägt, dass das nie realisierbar ist. Es ist nichts Unmachbares, was hier gefordert wird. Es sind Dinge, wo sich jede Stadtplanung freuen darf, dass Bürger_innen Ideen tragen und mitentwickeln», meint ein Sonnenpark-Aktivist im Rahmen einer Diskussion zum Sonnenpark.

Immerhin gebe es mittlerweile eine Leitlinie für eine «Green Infrastructure» in der EU. – «Über diese Schiene muss man das spielen», so ein weiterer Park-Fürsprecher. – «Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Die Stimmung war schon mal weit schlechter. Wir werden seit 16 Jahren von der Stadt unterstützt, allerdings hatten wir immer einen prekären Status hier. Jedenfalls gehen wir davon aus, dass das hier bleibt.» Der vorsichtige Optimismus der Initiativen lässt hoffen, dass es bald auch endlich eine positive Klarstellung seitens der Politik geben wird. Nichtsdestotrotz zeigen zahlreiche ähnliche Beispiele bedrohter Grünräume österreichweit, dass es in der Praxis schnell ging, dass vollendete Tatsachen mitten in Verhandlungen geschaffen wurden und Baumfäller meist in Jahreszeiten und zu Uhrzeiten geschickt wurden, wo sie niemand erwartete. Es gilt also, wachsam zu bleiben.

Info:

Am 21. November wird um 19.30 das Buch «15 Jahre LAMES» im ehemaligen Forumkino St. Pölten (Kranzbichlerstraße 18) präsentiert. Anmeldung: office@lames.at (begrenzte Sitzplätze) www.lames.at Adventmarkt am 12. Dezember

www.sonnenpark-stp.at