„Unter den Zwei Linden“vorstadt

Toni Sudy, Wirt und Reiki-Meister

Betritt ein Gast das Wirtshaus am Schüttel 5 im 2. Bezirk, unweit der Franzensbrücke neben dem Donaukanal, befindet sich links der Stammtisch mit Leuten aus dem Gemeindebau. Sie sitzen fast täglich hier.Es sind immer andere Leute, und doch immer die gleichen. Meistens spielen sie Karten und tauschen ihre Probleme des Alltags aus. Vor allem ist dieser Stammtisch aber eine Informationsbörse über die Alltäglichkeiten einer Wiener Wohnbauanlage: „Hast schon g’hört, die Frau Dingsda, du weißt schon, die mit den Krücken, haben sie schon wieder ins Spital abgeholt „.

Pause: „Und in die freie Wohnung auf der 7er-Stiege, wo im letzten Frühjahr der Dingsda – na wie hat er gleich g’heißen? Der mit der Erdäpfelnase? Mir fällt es nicht mehr ein. Der am Schlagerl gestorben ist? In diese Wohnung ist gestern eine junge Familie eingezogen. Scheinen anständige Leute zu sein „.

Die Wirtschaft ist wie ein großes, plumpes L angelegt. An anderen kleinen Tischen sitzen meistens ältere Leute aus dem Bau beim Mittagsmenü, das täglich frisch gekocht, nur wenig mehr kostet, als wenn man sich zu Hause selbst in der Küche aufwändig was zusammenpatzen würde.

Die Speisekarte ist nicht sehr umfangreich. Für den Kenner ein Zeichen, dass hier nicht vom Fließband aus dem Kühlfach Vorgefertigtes auf den Tisch kommt. Und wer nur einen kleinen Hunger hat und deswegen das „Kinderschnitzel“ bestellt, braucht sich deswegen nicht mit Schnuller als Volksschüler verkleiden .

Im Sommer sitzen die Gäste am liebsten im kleinen Wirtsgarten, obzwar dort die Verständigung nicht einfach ist: Daneben brausen die Autokolonnen vorbei, auf der anderen Seite donnern im Paar-Minuten-Takt die Züge und die Schnellbahn übers Viadukt. Aber das scheint hier niemanden zu stören.

Im Herbst gibt es eine rare Spezialität, die im übrigen Wien wohl nur selten zu finden ist: Gebackene Parasol!

Toni Sudy kommt aus der Steiermark, hat neun Geschwister, von denen die meisten noch in der „grünen Mark“ leben, und ihn jeden Herbst mit den Pilzen beliefern.

Sein Vater war Schneidermeister, die Mutter betrieb die kleine Nebenerwerbslandwirtschaft.

„Ich habe nur 8 Klassen Volksschule absolviert. Meine Eltern konnten sich teure Schulen nicht leisten.“

Also lernte er die Gastronomie von der „Pieke“ auf.

1984 übernahm er die Wirtschaft von seinem Vorgänger. Der hatte früher gleich neben dem Viadukt eine kleine Imbissstube, von den Leuten „Quargelsturz“ genannt. Obwohl der Gemeindebau – vor 50 Jahren, 1957 – bereits fertig gestellt war, gelang es ihm, dass die Gemeinde noch die Räumlichkeiten für eine Gastwirtschaft dazu baute.

In der nahen Böcklinstraße befindet sich eine Außenstelle der Akademie für Bildende Künste mit Bildhauerateliers. Daher war das Lokal von Beginn an auch immer von den Akademie-Professoren gern besucht.

Eher aus Zufall bildete sich ab 2004 zudem ein Stammtisch von Kunst- und Politikinteressierten, der sich hier jeden Mittwoch trifft.

Eigentlich hat das Gasthaus immer Mittwoch und Donnerstag Ruhetag gehabt, doch weil sich die Gruppe lieber am Donnerstag treffen wollte (angeblich finden Donnerstags die meisten Vernissagen in Wien statt), wurde halt schließlich Donnerstagabend auch geöffnet.

Die Malerin Michaela Söll, deren Werk ohnedies von guten Galerien vertreten wird, hatte einmal Lust ihre neuesten Bilder ihren Freunden vom Stammtisch zu zeigen und hängte sie an der großen Rückwand des Gastraumes auf.

Als diese Ausstellung vorbei war und sich die Leute des Stammtisches eine Woche später wieder trafen, wurden sie durch eine neu gehängte Ausstellung überrascht: Fast zwei Dutzend Ölbilder in unterschiedlichen Formaten gemalt hingen da. Von wem?

Der Wirt wollte ENDLICH einmal zeigen, dass auch er malt. Für jedes der Bilder, egal wie groß oder mit welchem Aufwand gefertigt, verlangte er einen Einheitspreis von 100,- Euro.

Und wovon Kunst-„Profis“ nur träumen können: Binnen kurzer Zeit waren die meisten Bilder verkauft.

Leute, die in armen Verhältnissen groß geworden sind, werden oft extrem geizig (was irgendwie einsichtig ist). Toni ist kein Groscherl- (jetzt Cent-) Zähler. Als der Dichter Rainer Pichler (1942 – 1998) wegen seines Krebsleidens Schmerzpflaster benötigte, die die Krankenkassa nicht zu bezahlen bereit war, organisierten seine Freunde dafür eine Kollekte. Toni spendete dafür sofort 3000,- Schilling.

Zuweilen kommt man ins Lokal, und ganz hinten in einer Ecke sitzt ein Gast aufrecht, mit geschlossenen Augen auf dem Sessel.

Dahinter sehr konzentriert Toni, und legt der Frau oder dem Mann vor ihm, die Hände auf den Kopf.

Seit ein paar Wochen ist Toni Sudy nämlich auch Reiki-Meister.

Er macht das ohne großes Aufsehen. Wenn jemand über Schmerzen klagt, sagt er bloß „Komm, vielleicht kann ich dir helfen.“

Reiki (= Lebensenergie) gehört zu jenen asiatischen alternativen Heilpraktiken, deren Wirkung von der Schulmedizin am meisten angezweifelt wird: Die Heilerfolge wären bisher nur unzulänglich statistisch erfasst und bewiesen worden; oft sei anzunehmen, dass es sich dabei bloß um Placebo-Effekte handle, sagen die Kritiker.

„Ach, mir ist das so was von egal, was die anderen dazu sagen. Ich weiß nur, dass es den meisten, die sich unter meine Hände begeben, danach besser geht“, meint Toni zu dieser Kritik. Und: „Klar ist, dass auch Reiki nur eine ergänzende Heilmethode zur Schulmethode sein darf.“

Und was verlangt er für eine „Behandlung“?

„Wer das macht, weil er Eurostückeln statt Augen im Gesicht hat, hat den Geist des Reiki sowieso nicht begriffen. Die meisten, die zu mir kommen haben ja kein Geld. Da verlang ich nichts und freue mich, wenn es ihr oder ihm eine kleine Aufmerksamkeit wie Räucherstäbchen oder eine andere kleine Anerkennung „wert“ war. Bei den normal Verdienenden lasse ich mich halt überraschen, was es ihnen „wert“ ist. Aber das sind ja ohnedies nur ganz wenige.