Unter Schweinenvorstadt

Eine kleine Augustin-Museologie: Teil 1

Was ist das eigentlich – ein Museum? Ein Ausstellungshaus mit angeschlossener Sammlung? Eine Forschungsstätte mit Galerie? Im besten Fall ist ein Museum ein Ort, an dem der Kopf ins Staunen gerät. Lisa Bolyos wird an dieser Stelle einmal monatlich ein Museum mit Seltenheitswert besuchen. Die erste Folge führt in ein fröhliches Wohnzimmer, das vor lauter Schweinen ganz rosa ist.

Foto: Lisa Bolyos

Spätsommer in der Josefstadt. In einer unscheinbaren Seitengasse werden Szenen eines Erich-Kästner-Fernsehfilms gedreht: drei Abende lang Novemberpogrome; alte Geschäftsportale (die gerüchtweise bald Garagen weichen) wurden in Damenmoden- und Posamenten-Läden umgemodelt, auf die Schaufenster ein Hakenkreuz und antisemitische Parolen geschmiert. Gegenüber diesen Lokalen hat (in echt, nicht im Film) die schlagende Burschenschaft «Gothia» ihre Bude; die ist im Normalfall mit Anti-Nazi-Parolen besprüht. Um das Filmset authentisch zu halten, wurde das Haus frisch gestrichen. Pittoresk auch, dass die Filmgarderobe im Lokal des Wiener Akademikerbundes eingerichtet ist, so sieht man dort in einem fort SA-Uniformierte ein- und ausgehen. Ob Erich Kästner im Grab rotiert?

Man macht sich also lieber davon, biegt ums Eck in die Laudongasse ein, wo der Dreiunddreißiger am Volkskundemuseum vorbeirattert. Ein paar Häuserblocks weiter oben, Ecke Skodagasse, war bis 2002 das «Haus des Buches» untergebracht, die Städtische Hauptbücherei – ein futuristisches Betonjuwel der späten Sechzigerjahre. Noch ein Stück die Straße hinauf, dort, wo Laudon- und Florianigasse sich auf undurchschaubare Weise vermengen, gibt es rechterhand auch zwei alte Geschäftslokale: ein Antiquariat und einen Friseurladen. Aber was sitzt da zu hunderten in den Schaufenstern des Friseurs? Schweine! Ganze Herden davon.

Glücksschweinvitrinen und Coverferkel

Ilse Kilic und Fritz Widhalm müssen den aufmerksamen Augustin-Leser_innen nicht vorgestellt werden; Kollegin Legenstein hat vor zwei Jahren den achten Teil ihres autobiographischen «Verwicklungsromans» besprochen, ein Projekt, das die beiden bis zu ihrem Lebensende betreiben wollen. Kilic und Widhalm schreiben (und malen, machen Filme und Fernsehsendungen, leiten einen Verlag usw.) nämlich in erster Linie, und erst in zweiter sind sie eine Museumsdirektion. Und zwar eine Glücksschweinmuseumsdirektion.

Wie das Schwein eigentlich zum Glückssymbol wurde, ist eine unzureichend beantwortete Frage. In seiner «Schweine» betitelten Naturkunde schreibt Thomas Macho, dass der «dämonische Charakter der Schweine» im Barock langsam von der Symbolik für die Hoffnung auf Fruchtbarkeit und Reichtum abgelöst wurde – und beides zusammengenommen mag man durchaus als Glück empfinden. Wieso aber quetscht man ein Museum in einen (wirklich kleinen!) Friseursalon? «Da ist halt draußen ein Zettel gehängt, ‹zu vermieten›, wir haben angerufen, sie haben zurückgerufen, und dann haben wir es gemietet», antwortet Kilic ohne viele Schnörkel. Und Widhalm ergänzt: «Die Friseurin hat uns ihr Stromguthaben überlassen. Sie war an und für sich sehr nett.»

Aber von Anfang an. Das erste Schwein war nämlich eigentlich nur ein Lückenfüller. Als Fritz Widhalm 1989 das Cover für die Erstlingspublikation des Kleinverlags «Das fröhliche Wohnzimmer» designte, «war in der Mitte noch ein großer Platz, und da hat das Schwein reingepasst». Und weil es so viel Zuspruch fand, wurde es zum Verlagstier, und weil es zum Verlagstier wurde, bekamen Ilse und Fritz ein Schwein nach dem anderen geschenkt. Was macht man mit einer Schweineherde aus Plastik, Stoff und Speckstein? Genau, ein Glücksschweinmuseum.

Jedoch entstand auch die Museumsgründung, die in einer Vitrine im Eingangsbereich des AKH ihren Anfang nahm, nicht allein aus der Notwendigkeit, eine Sammlung auszustellen, sondern vielmehr aus der Notwendigkeit, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Ilse Kilic wurde im AKH gegen Krebs behandelt und wollte, dass sich auch die anderen Patient_innen über die Glücksschweine freuen könnten. «Irgendwie weiß man halt nicht, wie lange man lebt. Und ich hab’ mir gedacht, mit den Lebensträumen ist es so: Entweder man macht es oder man lässt’s.» Später kam eine zweite Vitrine am Stephansplatz dazu, und schließlich mieteten die beiden das Straßenlokal an. Drinnen im «Wohnzimmer» ist es in erster Linie rosa und so gemütlich, dass man gern noch länger zwischen den Schweinemassen sitzen bleiben und die Stadt da draußen unbemerkt vorbeiziehen lassen will. Ins Glücksschweinmuseum kommt allerlei Publikum: Laufpublikum, «meistens angeführt von Kindern», Bekannte, die auf einen Plausch oder ein neues Buch vorbeikommen, und Leute, die um Geld fragen, «und das ist manchmal blöd, weil wir haben selber nicht so viel Geld». Einige Zeit lang gab es vor dem Museum eine öffentliche Sparkasse, die selbsttätig befüllt und geleert werden durfte. «Aber die wurde mehrmals kaputtgemacht, und irgendwann ist man dann einfach ein bisschen frustriert.»

Excalibur Pig und leere Sparschweindln

Wenden wir uns jetzt aber den Schweinen zu: Da gibt es eines, das mit den motorisierten Flügeln flattern kann, eine Schweinekuckucksuhr, ein minikleines Nadelkissenschwein, eine venezianische Schweinemaske, einen griechischen Fußabstreifer, ein kunstvoll von einem Kind genähtes und ein Schwein auf einer Münze, dutzende Schweinepostkarten, eine Schweinelichterkette, ein Schwein aus einem Tannenzapfen, ein Gmundner Porzellanschwein, ein Schwein auf einem Osterei, eine ganze Menge Christbaumkugelschweine und eines, über das fast ein Herkunftsstreit entsteht: Ilse Kilics Lieblingsschwein. Sie ist davon überzeugt, dass es am Weihnachtsmarkt am Steinhof erworben wurde, ihr Kompagnon widerspricht und versucht es mit einer Alternativversion: Aus Excalibur City sei das runde Tonschwein mitgereist, auf einer Fahrradtour nach Tschechien. «Die Geschichte stimmt», pflichtet Kilic bei, «aber es ist das falsche Schwein. Macht ja nichts.» Und wir wenden uns dem nächsten Ferkel zu, das, zieht man es auf, «Country Roads» erklingen lässt.

Die Schweine werden immer mehr, auch die Wohnung sei schon wieder voll mit ihnen, sagt Widhalm, und dass sie inzwischen wählerisch geworden seien, was Schenkungen anbelangt. Eine Katalogisierung der Schweinesammlung haben die beiden Museumsdirektor_innen verabsäumt. «Das tut mir jetzt fast ein bisschen leid», sagt Ilse Kilic, um gleich darauf pragmatisch zu beschwichtigen: «Vielleicht ist es ja auch egal.» Sparschweine lassen sich mit Schwein & Kunst übrigens nicht so einfach füllen. Lange Jahre haben Kilic und Widhalm abwechselnd für Lohn gearbeitet, um der anderen Person das Kunstschaffen zu ermöglichen. «Aber da haben wir nicht bedacht, dass wir älter werden und es immer schwieriger wird, bezahlte Arbeit zu bekommen.» Die Lösung finde Kilic hingegen naheliegend: «Wir brauchen ein Grundgehalt. Und zwar bald.»

Glücksschweinmuseum & Wohnzimmergalerie

Florianigasse 54, 1080 Wien

Geöffnet Di., Do., Fr. 15–18.30 Uhr

Thomas Macho: Schweine. Naturkunden, Matthes & Seitz, Berlin