Verwurzelung gegen krankhafte Stadterweiterungvorstadt

Wer klaute den Rothneusiedl-Einwohner_innen ihre Gemüse-Felder?

Mitten in der «Pampa», in einer brachliegenden Ebene mit beinahe null Infrastruktur, schwer zu erreichen, gab es einen landwirtschaftlichen Betrieb, in dem Anrainer_innen ihr eigenes Gemüse ziehen konnten. Kerstin Kellermann (Text) und Lisbeth Kovačič (Fotos) nahmen an einem «Aktions-Wandertag» zum Haschahof teil.So sieht also jemand aus, dem man seinen Lebenstraum kaputt gemacht hat: Erstaunlich rüstig, flott, speedig, mit großen Händen, Zipfelmütze auf dem Kopf. Und beinahe angriffslustig schweigsam. Rudolf Hascha lehnt es ab, interviewt zu werden, obwohl er im Kühlregal sogar einen Sommergemüse-Aufstrich stehen hat, der «Augustin» heißt. Er beäugt seine Lieferliste hinter der Verkaufstheke in der Liesingbachstraße 211 und rechnet im Kopf. Nicht weit von dieser kleinen Bauernstube, einsam unter blauem Himmel in der weiten Ebene, eine Reihe alter Backsteingebäude ähnlich dem Wiener WUK, die rot in der Sonne leuchten. Die ehemalige, 200 Jahre alte Molkerei wurde ab 1922 von Herrn Haschas Vater Jaro gepachtet und in einen bäuerlichen Betrieb umgewandelt. Ab 1987 als einer der ersten Biobetriebe Österreichs. Fünfzig Hektar Land angeblich! Kurz vor Weihnachten 2014 wurde Herrn Hascha aber vom neuen Stiftungsrat überraschend gekündigt und innerhalb einer Woche musste er sein Zuhause verlassen. Seitdem stehen die Ställe leer, ein einsamer Wachdienst davor – wegen der Obdachlosen, die hier Unterschlupf finden möchten.

Zwei Stunden dauerte der Versuch, eine S-Bahn zu finden, die von Wien Mitte bzw. vom hässlichen Hauptbahnhof aus zur neu errichteten S-Bahn Station Blumental hinausfährt, die sich ebenfalls auf qualitätsvollen Bio-Feldern befindet. Nichts zu machen, Zwei-Stunden-Intervalle! Vom belebten, beinahe überfüllten Reumannplatz aus, mit der Straßenbahn 67 an gespenstisch anmutenden, menschenleeren, pyramidenartigen U-Bahn-Stationen vorbei, kann man mit dem Bus 17A fahren. Neue U-Bahn wohin? Riesig ragt die Per-Albin-Hansson-Siedlung auf.

Ein eigener Menschenschlag wohnt hier draußen in der zugigen Ebene. «Sie gehen zurück in die Himbergstraße, dann stadtauswärts über den Liesingbach, bei der Kirche rechts und dann sind es noch ein paar Hundert Meter», erklärt Herr Hascha am Telefon. Kleine Häuschen, eine Allee, dörflicher Charakter, das Gasthaus hat geschlossen. «700 Parzellen hatte Herr Hascha am Schluss vermietet, an alte Leute, an Kinder, an Wohngemeinschaften, die dort ihr eigenes Gemüse anbauten. Das wichtigste ist der Bioboden, der zu diesem großen Gutshof gehört, das soll nun alles vernichtet werden in dieser krankhaften Stadterweiterung!», erzählt seine Mitarbeiterin, die Gott sei Dank etwas gesprächiger ist. «Herr Hascha ist ein 64-jähriger Bauer, er war nie im Leben auf Urlaub, hat sich keine goldene Nase verdient und nichts gespart. Unterlaa und Rothneusiedl gehörten früher nicht zu Wien, die Bauernwirtschaft galt als belanglos, hier lebten früher viele Ungarn.»

Vielfache Verwurzelung

So sehen also Menschen aus, die sich ihre Träume nicht zerstören lassen wollen: Circa Hundert solcher Charaktere ziehen in einem «Aktions-Wandertag zum Feld X», mit Feld X sind die ehemaligen, nun brachliegenden Felder von Bauer Hascha gemeint. Eisiger Wind weht über die Ebene, die Wiese leuchtet grün. «Die Belebung des Leerstandes gehört gefördert, und nicht die weitere Zersiedelung», meint Silvia E., eine Anrainerin, die mitwandert. «Österreich könnte sich landwirtschaftsmäßig nicht mehr selber erhalten, die Schweiz aber schon.» «Willst du lieber in der Stadt wohnen oder am Land?», frage ich ihren achtjährigen Enkelsohn. «Auf der Grenze!», antwortet er und ist ganz fasziniert, wo genau die Grenze zu Oberlaa verläuft. «Dort hinter den Hügeln liegt die Grenze zu Niederösterreich», deutet seine Oma, «die Hügel wurden künstlich gegen den Lärm angelegt, denn dort soll ein Verschubbahnhof her.» Die Polizei hat die kleine Geh-Demonstration schon entdeckt, drei Polizeiwägen kurven herum. Zwei Rehe hoppeln über die Felder neben der Rosiwalgasse. Vor dem Haschahof steht ein Polizeiwagen, ein Wachdienst mit Spiegel-Sonnenbrille telefoniert hektisch herum. Die befürchten wohl eine Hausbesetzung! Die Wanderer_innen ziehen aber brav in einem großen Bogen hinter den Hof, vor dem alten Schafstall sind Tee und Brote hergerichtet. Es zieht eiskalt durch die Fugen und alle frösteln. «Der Herr Hascha hält sich heraus», sagt eine junge Frau, «er muss sich an Verträge halten, ihn kann man belangen, er muss sich bedeckt halten. Er hatte hier alles ausgebaut, eine Brauerei errichtet, weil er dachte, die U-Bahn kommt. Früher wollte der Stronach an dieser Stelle ein Einkaufszentrum auf die Wiese stellen.» Die Frau redet von Verwurzelung. Meint sie jetzt Menschen oder Pflanzen? «Wir wollen unsere Gärten zurück!», ruft jemand durchs Mikrophon. Akkordeon-Tusch.

Bewegende Bevölkerung

Es ist unklar, wem der Grund eigentlich gehört, es gibt keine direkten Ansprechpartner_innen. Die Bezirksvorsteherin fragte nach, und der Grund befindet sich in privater Hand. Angeblich wird der Haschahof nun doch nicht abgerissen. «Wir werden auf der Brache biologisches Saatgut einbringen», sagt jemand durchs Mikro, und prompt beginnen alle zu graben. Anrainer Oliver H. gewann hier auf seinem eigenen Feld Erkenntnisse, die man nicht mittels Computer findet – erstaunlich für einen 16-Jährigen: «Man musste vor allem Unkraut zupfen», lacht er, «Berge von Unkraut, das gedieh prächtig. Ich dachte immer, ein Bauer pflanzt und erntet nur, aber so war es nicht. Man konnte Karotten, Mangold, Spinat, Kohlrabi, Gurken oder Zucchini beim Wachstum zuschauen. Im Supermarkt erfährt man nichts über Kartoffelkäfer.» Für jemand, die am Land aufgewachsen ist und das Bäuerin-Sein mit Schufterei gleichsetzt, klingt das sehr romantisierend. Herr Hascha säte aber selber aus, mit dem Traktor. Inzwischen hat Oliver, der Polizist werden möchte, ein Kirchenfeld in Unterlaa. Melitta erzählt, dass Herr Hascha ihr auf dem Feld einen Spinat abschnitt, als sie einen kaufen wollte. Mit der Rohmilch erzeugt sie sich selber Joghurt und Käse. «Man könnte wenigstens eine Öko-Siedlung mit Garten machen», meint sie. «Eine Bevölkerung kann etwas bewegen. Wir sind jahrelang gegen eine Straßen-Umlegung Sturm gelaufen. Nun sind die Schrebergärten geblieben. Die Stadt Wien sollte diese Nahversorgung mit Lebensmitteln ernst nehmen, bevor sie sie zerreißt.» Hauptverlierer_innen aber sind die Kinder. «Hier waren die Hühnerställe», deutet Azmi, der Enkel der streitbaren Oma, die viele Protestbriefe schrieb. «Zwei Spielplätze gab es, die sind einfach verschwunden. Wie kann man einen Spielplatz wegräumen? Das war schön hier!» «So schöne Sätze stehen im Programm der rot-grünen Stadtregierung», lacht Melitta, «wir fordern die Felder, Gebäude für Geräte, schön wäre auch ein kollektives Lokal. Was spricht gegen das gute Leben für alle?» «Da vorne konnte man Sonnenblumen stehlen», zeigt eine andere Anrainerin. «Noch eine Wiese, noch eine Wüste, es gibt keinen Halt», singt Maren Rahmann zum Akkordeon. «Ein Apfelbaum.»

«Wo ein grüner Fleck ist, wollen die bauen», konstatiert die Hascha-Mitarbeiterin am Telefon, die früher Krankenschwester war. «Sie könnten wenigstens eine Gärtnerei hineintun, mit Arbeitslosen, die eine Hoffnung und etwas Freude suchen. Hier brüten Fasane, es gibt tolle Sonnenuntergänge, seit 1984 einen Pflückgarten. Das Land wird keinen Gewinn abwerfen und ein Investor versucht hier nichts aus Nächstenliebe – will die Regierung Bürger-Aufstände verbieten?»

Schon Herrn Haschas Vater war Ingenieur und Bauer, Herr Hascha hat auf der Universität für Bodenkultur studiert. Bio-Bier, eine Flasche um 2,30 Euro. Rote Ronen, Erdbeeren, Apfelmost! Wurzelspeck und Bauernbutter, kleine Wollschafe um fünf Euro, ein Bierschild im Fenster, gesprühte Buchstaben auf Glas. Rudolf Hascha wirkt nicht unzufrieden. «Mit mir ist alles okay», lacht er über forschende Blicke. Vor dem Fenster gackern die Hühner.