Datenschätzetun & lassen

Über 50 Millionen Nutzer_innendaten hat sich das Politwerbeunternehmen Cambridge Analytica unerlaubt besorgt

Über 2,7 Milliarden Menschen weltweit nutzen Facebook. Ohne Erlaubnis, aber mit Wissen des Social-Media-Giganten hat Cambridge Analytica die Datensätze systematisch für Wahlkampfzwecke verwendet – vornehmlich für rechte politische

Positionen. Liese Kuttin fasst zusammen.

Illustration: Stefanie Sargnagel

Der 20-jährige College-Student Mark Zuckerberg war selbst überwältigt. «Wenn du je Infos über andere Studenten in Harvard brauchst, dann frag mich. Ich habe über 4.000 E-Mails, Fotos, Adressen, Nachrichten», schrieb er 2004 einem Freund. «Warum?», fragte dieser. «Weil die Leute das einfach eingegeben haben. Ich weiß nicht, warum. Sie vertrauen mir. Dumme Idioten», antwortete Zuckerberg. Vierzehn Jahre später ist aus «thefacebook», einem sozialen Netzwerk für Harvard-Student_innen, die größte Onlineplattform der Welt geworden. Facebook – das «The» ging irgendwann verloren – hat über 2,7 Milliarden Nutzer_innen, für viele Menschen ist es der zentrale Einstiegspunkt ins Internet.

Facebook hat das Internet grundlegend verändert. Das Grundprinzip des World Wide Web war dessen Dezentralisierung. Man surfte anonym auf verschiedenen Websites. Wer Informationen über sich preisgeben wollte, baute sich eine Homepage. Der große Vorteil des Internets war, dass man eben nicht mit seinem Namen, Foto und anderen klar identifizierbaren Merkmalen unterwegs war. Doch offenbar fehlte genau das vielen Menschen. Sie wollten eine Plattform, bei der sie sich zu erkennen geben, mit ihren Freund_innen und Verwandten verbinden und sie auf dem Laufenden halten können. In diese Bresche schlug Facebook, das seine Zielgruppe rasch von Harvard-Student_innen auf die gesamte Menschheit ausdehnte.

Wertvoller Rohstoff.

Das kam gut an. Facebook wurde zum Selbstläufer. Je mehr Menschen dort aktiv waren, desto größer war für andere der Anreiz, selbst dabei zu sein. Irgendwann überschritt die Plattform jene Schwelle, bei der es – zumindest für junge Menschen – merkwürdig erschien, wenn sie nicht auf Facebook waren. Hunderte Millionen Menschen füllten ihr Facebook-Profil täglich mit persönlichen Informationen an: Sie zeigten private Fotos, erzählten aus ihrem Leben, kommentierten Beiträge ihrer Bekannten und gaben sich als «Fans» von Politikern, Produkten und Stars zu erkennen. Für Facebook waren diese Daten, die auf den ersten Blick vielleicht banal wirken, ein wertvoller Rohstoff.

Einerseits nutzte das soziale Netzwerk die eingegebenen Informationen, um seinen Nutzern automatisch jene Inhalte zu präsentieren, die sie möglichst lange an die Plattform binden. Wer etwa oft Fotos eines bestimmten Freundes oder einer bestimmten Freundin kommentierte, sah beim Einstieg auf Facebook dann sofort viele Beiträge dieser Person. Andererseits konnte das kapitalistische Unternehmen Facebook diese Datenschätze verwenden, um möglichst zielgerichtete Werbung zu schalten. Das kam wiederum bei anderen Firmen gut an. Allein im Jahr 2017 setzte Facebook rund 40,5 Milliarden Dollar um, den Großteil davon mit Werbeeinnahmen.

Meinungsmanipulation.

Parallel zum Aufstieg von Facebook begannen Wissenschaftler_innen, sich für die online gesammelten Daten zu interessieren. Kann man von einzelnen Beiträgen, Likes und Fotos auf Facebook auf persönliche Merkmale von Nutzer_innen schließen? Das wollten ab der Mitte der 2000er-Jahre Mitarbeiter_innen der Cambridge University erforschen. Ihr Fachgebiet war die Psychometrie, also die Methodik psychologischer Messungen. Die Forscher_innen sammelten Daten auf Facebook, indem sie Nutzer_innen zu einem Persönlichkeitsquiz einluden. Mit ihrer Teilnahme erteilten die User_innen den Wissenschaftler_innen die Erlaubnis, ihre Daten auf Facebook abzusaugen. Erste Studien zeigten zwar gewisse Zusammenhänge, die Ergebnisse waren jedoch alles andere als spektakulär.

Dennoch erweckten die Studien das Interesse der Werbebranche, vor allem im politischen Bereich. Die Nutzung von Facebook in Wahlkämpfen steckte da noch in den Kinderschuhen – der damalige US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama war 2008 der erste Politiker, der Facebook großflächig nutzte, um Anhänger_innen zu mobilisieren. In den Jahren darauf sprossen eine Vielzahl von Social-Media-Werbefirmen aus dem Boden. Darunter auch Cambridge Analytica, das 2013 als Tochterfirma der windigen britischen SCL Group gegründet wurde. Die SCL Group hatte zuvor mit Militärorganisationen und Geheimdiensten zusammengearbeitet, etwa im Irak-Krieg. Nun wollte das Unternehmen auch Wahlwerbung anbieten.

Cambridge Analytica setzte vor allem auf Investor_innen, Berater_innen und Klient_innen aus dem rechten bis rechtsextremen politischen Spektrum. So schloss sich der nationalistische US-Publizist Steve Bannon dem Vorstand der Firma an, die republikanische Milliardärsfamilie Mercer steckte Geld in Cambridge Analytica. Außerdem warb das Unternehmen Mitarbeiter_innen von der gleichnamigen Universität ab – und kaufte Daten von dortigen Forschungsprojekten an. So hatte ein russischer Forscher ebenfalls mit einem Persönlichkeitsquiz User_innendaten gesammelt. Doch er holte sich nicht nur die Erlaubnis, Informationen der teilnehmenden Nutzer_innen abzusaugen, sondern auch von deren Freunden. So gelangte er an persönliche Informationen zu fünfzig Millionen Menschen. Diese Daten wanderten an Cambridge Analytica, das damit im Bereich Meinungs-

manipulation experimentierte.

Globales Netzwerk.

Rasch wurde die Firma zu einer wichtigen Anlaufstelle für Wahlkämpfer_innen. Über 45 republikanische Politiker_innen setzten auf ihre Dienste, über ein dubioses Firmennetzwerk wurden auch Kampagnen für den Brexit unterstützt. Dann landete Cambridge Analytica einen Coup: Sie wirkte in der letzten Wahlkampfphase von Donald Trump mit. Laut eigenen Angaben war sie «entscheidend» an dessen Kür Trumps zum US-Präsidenten beteiligt.

Im Windschatten der US-Geschäfte baute Cambridge Analytica ein Kundennetz auf der ganzen Welt auf, beispielsweise in Mexiko, Sri Lanka oder Trinidad und Tobago. In Kenia soll das Unternehmen mit dem Präsidenten Uhuru Kenyatta zusammengearbeitet und Falschmeldungen zu dessen Rivalen Raila Odinga in Umlauf gebracht haben. Die Schmutzkampag­ne gegen Odinga führte zu einem Wiederaufleben der Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, bei gewaltvollen Übergriffen gab es Verletzte und Todesopfer.

Falschmeldungen.

In einem heimlich aufgenommenen Gespräch mit einem britischen Undercover-Journalisten prahlte Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix damit, auch vor schmutzigen Tricks nicht zurückzuschrecken. Er erzählte etwa davon, dass man politischen Gegnern «hübsche ukrainische Mädchen» schicken könnte, um kompromittierendes Material zu sammeln. Als das Video ausgestrahlt wurde, verteidigte sich Nix damit, den angeblichen Kunden selbst «getestet» zu haben. Die Ausrede nützte nichts, Nix musste zurücktreten.

Durch den Clip und die Enthüllungen in Kenia wächst nun auch die Sorge, dass Cambridge Analytica in den USA und Europa Regeln gebrochen hat.

Die Kritik trifft aber nicht nur Cambridge Analytica, sondern auch Facebook. Der Konzern muss sich ohnehin schon wegen seiner Rolle bei der Verbreitung von Falschmeldungen verteidigen, nun stehen auch die umfangreichen Datensammlungen und Datenweitergaben des Unternehmens im Fokus. Denn Facebook begann nach seinem ersten Wachstum rasch zu merken, dass seine Nutzer_innen nicht nur persönliche Inhalte, sondern auch Nachrichtenartikel online teilten. In vielen Ländern wurde Facebook zur wichtigsten Informationsquelle, vor allem für junge Menschen. Statt Zeitung zu lesen oder Nachrichten-Websites anzusteuern, bekamen sie ihre Infos über die angezeigten Inhalte auf Facebook.

Unter Druck.

Da Facebooks Computersysteme merkten, dass vor allem schockierende oder empörende Artikel gut ankamen – also viele Kommentare oder Klicks auslösten; wurden diese künftig «besser gereiht». Facebook unterschied auch nicht, ob diese Inhalte glaubwürdig, schlecht recherchiert oder komplett erfunden waren. Das entdeckten zwei Gruppen: einerseits geldgierige, unpolitische Betrüger_innen, die mit Falschmeldungen Klicks und Werbegeld abstauben wollten: andererseits politische Kampagnen, die Gerüchte über ihre Rival_innen verbreiten wollten. In Österreich testete vergangenen Sommer etwa der von der SPÖ beauftragte Wahlkampf-Experte Tal Silberstein, welche Falschmeldungen über Sebastian Kurz (ÖVP) besonders gut bei Facebook-Nutzer_innen ankamen. Auch andere Parteien machen im Netz Stimmung. Der FPÖ nahestehende Websites verbreiten etwa regelmäßig Falschmeldungen, mit denen gegen Geflüchtete

agitiert wird.

International geriet Facebook etwa wegen Burma in die Kritik. Dortige Nutzer verbreiteten massenhaft Hassbotschaften gegen die Gruppe der Rohingya. Diese sollen zu jenen Angriffen auf die muslimische Minderheit beigetragen haben, die von den Vereinten Nationen als «ethnische Säuberung wie aus dem Lehrbuch»

bezeichnet wurden.

Spätestens seit der Wahl Donald Trumps steht das soziale Netzwerk nun massiv in der Kritik. Einer Kampagne namens «Lösch Facebook» haben sich bereits zahllose Nutzer_innen angeschlossen. Auch große Unternehmen beenden ihre Präsenz auf dem sozialen Netzwerk oder ziehen Werbegelder zurück. Bislang sind diese Aktionen für Facebook nur potenziell gefährlich, sie könnten aber zu einem Wirbelsturm für die Plattform heranwachsen. Dann nämlich, wenn sich immer mehr Nutzer_innen als «dumme Idioten» fühlen, wenn sie Mark Zuckerberg vertrauen.