«Der Praterstern ist das Wohnzimmer für Leute, die keines haben»tun & lassen

Wie sicher ist Wien?

Reinhard Kreissl leitet das Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung, VICESSE. Christof Mackinger hat mit dem Kriminalsoziologen über den Praterstern, Hotspots und das Alkoholverbot gesprochen – und über die Politik, die mit all dem gemacht wird.

Foto: Lisbeth Kovačič

Was steckt eigentlich hinter dem Begriff «Sicherheit» und was gibt es da zu erforschen?

Sie sind so lange sicher, wie Sie nicht über Sicherheit nachdenken. Ein anschauliches Beispiel kennen wir aus Beziehungen: Sagen wir, Sie leben mit ihrem Partner zusammen. Mit der Frage «Sag mal, liebst du mich eigentlich?» eröffnen Sie einen Rahmen, wo etwas problematisiert wird, was natürlich da ist. Wenn Sie darüber reden oder nachdenken, dann wird es brüchig.

Sicherheitsforscher schauen sich die Verletzlichkeit komplexer Systeme an: Stromversorgung, Telekommunikation, Cybergefahren, terroristische Gefahren – weit überschätzt! –, das Gesundheitssystem oder auch Naturkatastrophen. Wer sich professionell mit dem Thema befasst, fragt: Wie anfällig sind komplexe, techno-soziale Systeme, wie eine städtische Gesellschaft?

In dem Moment aber, in dem man Sicherheit zu einem politischen Thema macht, bekommt das eine ganz eigenartige Dynamik, die letztendlich immer mögliche Schäden vorwegnimmt: «Es könnte ja sein, wenn einer eine Bierdose in der Hand hat, dass er dann besoffen wird und auf mich einschlägt. Am besten, wir verbieten ihm das Bier!» Prävention kennt kein Stopp. An die Grenzen kommt man nur, wenn es um Kommerz und Profit geht. Das sieht man bei Drogen und Waffen. Viele Leute verdienen damit Geld, aber wehe, man erwischt dich damit!


Jetzt wird, auch in Wien, viel über Sicherheit gesprochen. Wie sicher ist unsere Stadt eigentlich?

Wien ist extrem sicher, objektiv gesehen. Wie in allen westlichen Gesellschaften nimmt auch hier die Kriminalität ab. Unabhängig davon haben wir aber diese zweite Ebene, das Reden über die Sicherheit. Und da versucht die Boulevardpresse, in Kooperation mit einschlägigen politischen Akteuren, den Leuten ein Unsicherheitsgefühl zu vermitteln.

Warum finden sich Leute an Orten wie dem Praterstern zusammen?

Da sind ja Asylwerber, Jugendliche, Drogenkonsumenten, Leute, die sonst keinen Ort haben. Wie alle anderen Menschen gehen auch Obdachlose dorthin, wo sie wissen, dass da ihre Spezln sind. Zugespitzt formuliert ist der Praterstern das Wohnzimmer für Leute, die keines haben.


Und wenn sich Leute an solchen Orten, an sogenannten Hotspots tatsächlich unsicher fühlen?

Leute, die sich in ihrem kleinen Grätzl sehr kompetent bewegen, im Urlaub All-Inclusive-Touren machen, wo sie an der Hand genommen und geführt werden; wenn Sie diese Leute in eine für sie unbekannte Umwelt setzen, dann wirkt das verunsichernd oder möglicherweise bedrohlich. Im öffentlichen Bereich muss man aber anerkennen, dass es Vielfalt gibt. Das sollte einem nicht Angst machen, sondern Respekt und Anerkennung abgewinnen. Der «Hotspot» ist eine mediale Erfindung. Er ist der Versuch, die Phantasie eines reinen, sauberen, letztendlich kleinbürgerlich-konservativen Modells von Stadt durchzusetzen. Der öffentliche Raum gehört aber allen!

Was sagen sie zum Alkoholverbot am Praterstern?

Wie gehen wir mit den Leuten um, die keine Arbeit haben, die aus dem System rausfallen, weil sie nicht gebildet, nicht qualifiziert sind, weil sie nicht diese – scheinbar wichtige – Leistungsfähigkeit haben? Sie einfach vertreiben, auf die Kaiserwiese, hinter den Busch? Das halte ich für sozialpolitisch nicht legitim.

Wenn jemand ein manifestes Alkoholproblem hat, dann sollte er medizinische Hilfe bekommen und nicht als ein Sicherheits- und Ordnungsproblem gesehen werden.

Schauen Sie sich die Agenda an, die gerade von Türkis-Blau durchgezogen wird: Das ist Klassenkampf von oben. Unsere Gesellschaft erzeugt Armut und gleichzeitig scheißen wir auf die Armen. Da sind am Praterstern bald eher mehr Leute als weniger.