Dealer mit Schmäh und Hausverstandvorstadt

Gschäftl-Report (1. Folge)

Wer sich Drogen beschaffen will, geht in der Regel nicht zum Drogisten, so viel ist bekannt. Dass die Begriffsverwandtschaft dennoch keine zufällige ist, erhellt ein Besuch bei einem der letzten echten Drogist_innen Wiens. Von Arthur Fürnhammer (Text) und Mario Lang (Fotos).

Drogisten sind allwissend, sagt Herr Alexander Pekarek, Besitzer der Drogerie Zum weißen Engel am Alsergrund, scherzhaft über seinen Berufsstand, «die hean‘s Gras wachsen». Und so war es früher auch. Wer etwas wissen wollte, der ging zum Mann im weißen Kittel. Das musste nicht unbedingt mit dessen eigentlichen Betätigungsfeld zu tun haben, der Drogist wusste einfach in allen Lebenslagen Bescheid. Das stieg manchem auch zu Kopf, und so pflegte Frau Pekareks Mutter zu sagen: «Die Drogisten ham alle an Vogel, die san a eigenes Völkchen, die san sehr von sich eingenommen.» Sie musste es wissen, sie war selbst mit einem verheiratet. Allwissend oder nicht, über die Herkunft des Wortes «Droge» weiß Herr Pekarek natürlich Bescheid. Es leitet sich vom niederländischen Wort «droog» ab, womit getrocknete Kräuter und Pflanzen gemeint waren. Fast ausschließlich solche Waren mit natürlichen Grundstoffen wurden von den Drogisten zu Beginn verkauft.

Gebietsschutz für Apotheker.

Das Berufsbild ist ein vergleichsweise junges und entwickelte sich aus dem Apothekerberuf. Die ersten Drogisten gab es in Wien erst Ende des 19. Jahrhunderts. So gesehen hat Herr Pekareks Geschäft fast die gesamte Lebensspanne dieses Berufszweiges überdauert. 1904 wurde gegenüber dem heutigen Standort eine Drogerie Zum weißen Engel gegründet. Und zwar, wie Herr Pekarek sagt, von einem Magister. Zum Tragen des Titels Magister berechtigte damals lediglich das Studium der Pharmazie. Da aber ein Gebietsschutz für Apotheker bestand und dieser Magister keine Zulassung bekam, führte er das Geschäft als Drogerie. Sein Nachfolger verlegte die Drogerie 1908 an den heutigen Standort Ecke Berggasse/Liechtensteinstraße.

Aus dieser Zeit stammt auch der Großteil der nach wie vor bestehenden Inneneinrichtung. Es ist der Wandverbau aus dunklem Vollholz mit den vielen Laden, deren Inhalte noch mit lateinischen Namen angeführt sind, der ein fast museales Flair erzeugt. Ein Blickfang ist auch der Glasschrank hinter der Budel, in dem diverse Substanzen offen aufbewahrt werden. In den bräunlich gefärbten Glasbehältern, in Kurrentschrift fein säuberlich auf Latein beschriftet, befinden sich flüssige Substanzen wie Benzin, Weingeist, ­Ammoniak, Wasserstoff, Salzsäure, Brunolin, Essigsäure, Glycerin, Kölnisch Wasser, Borwasser, Franzbranntwein, aber auch Feststoffe wie etwa Meerschaum und Gummi Arabicum. Es ist das Wissen um diese Essenzen, das aus dem heutigen Sprachgebrauch fast völlig verschwunden ist und das einen Besuch bei Herrn Pekarek so außergewöhnlich und kurzweilig macht. Denn der Besitzer ist noch dazu einer, der mit seinem Wissen nicht hinterm Berg hält und auf jovial-entspannte Weise aus dem drogistischen Nähkästchen plaudert. Pekarek, der über eine gesunde Portion Selbstironie verfügt, sagt über sich selbst: «I bin a Dampfplauderer, schreiben S’ des.» Er bestätigt damit nur, was ohnehin offensichtlich ist, nämlich dass er ein durch und durch witziger und kommunikativer Zeitgenosse ist. Angesprochen auf die diversen im Glasschrank verwahrten Essenzen klärt er etwa auf, dass Meerschaum eine Gesteinsart ist, die im Mittelmeer vorkommt, leicht schwimmt, von Schiffern in der Antike als tatsächlicher Meeresschaum gedeutet und als Mittel zur Beseitigung von Fettflecken verwendet wurde. Gummi Arabicum wiederum wird zur Herstellung von Kleistern und Klebern verwendet, aber auch als Verdickungsmittel in Coca-Cola und zur Gummierung von Papier, also für Etiketten, Briefmarken, Kuverts und Zigarettenpapier.

Drogistenmuseum.

Wenn der letzte Drogist oder die letzte Drogistin dicht gemacht hat, wird dieses Wissen zwar nicht komplett verloren sein, denn es gibt noch das Drogistenmuseum, dessen aktueller Leiter Herr Pekarek ist. Es wird aber außerhalb des Museums weitgehend verschwunden sein. Kund_innen kann man nicht vorwerfen, dass sie lieber zum dm gehen, wo die Auswahl eine größere ist. Doch die Drogerieketten verkaufen hauptsächlich Markenprodukte, deren Inhaltsstoffe der großen Masse unbekannt sind. Wer heutzutage sein Klo reinigen will, kauft sich eben ein Kloreinigungsmittel vom Drogeriemarkt. Er könnte jedoch auch zum oder zur Drogist_in gehen und sich Salzsäure besorgen, was den gleichen Effekt hätte und billiger wäre. Salzsäure wäre aber wiederum zum Entkalken von Wasserkochern ungeeignet, erklärt Herr Pekarek. Da wäre Zitronensäure oder stark verdünnte Ameisensäure besser. Man kann aber natürlich auch Calgonit kaufen. Und damit ­Procter & Gamble unterstützen, oder Unilever oder welchen multinationalen Konzern auch immer.

Pekarek hat durchaus Humor. Und den braucht er auch in Zeiten wie diesen. Vieles von dem, was früher zum Standardgeschäft gehört hat, wurde mittlerweile von großen Geschäftsketten abgezogen, von Drogeriemärkten, aber auch von Baumärkten. Babynahrung gab es vor einigen Jahrzehnten ausschließlich in der Drogerie. Und auch für die Entwicklung von Filmen war der Drogist zuständig. Trotz dieser Entwicklung hegt Pekarek keinen Groll, auch das ist erstaunlich. Über dm sagt er: «Das ist eine Musterdrogerie.» Die Angestellten seien gut geschult und mit Fachwissen ausgestattet. Dennoch gäbe es Lücken im Sortiment, die er bedienen könne. Dass sich Pekarek in Zeiten wie diesen eine solche positive Lebenseinstellung bewahrt hat, ist erstaunlich, aber auch sein großes Plus. Während sich manche Verkäufer und Verkäuferinnen im Drogeriemarkt, vor allem die Jungen, regelrecht verstecken, punktet Pekarek mit dem direkten Kund_innenkontakt und seinem Fachwissen.

Kokain und Cannabis.

Während des Geschäftsbesuchs durch den AUGUSTIN besteht reger Kund_innenverkehr. Dass es da einen freundlichen und kompetenten Drogisten gibt, ein Unikat seiner Branche, hat sich über die Bezirksgrenzen hinweg herumgesprochen. Eine ältere Frau kommt eigens aus dem 19. und kauft ein spezielles Venengel. Mit vielen Kund_innen entspinnt sich ein kurzes Gespräch, mit manchen auch ein längeres. Herr Wolschek etwa hat ein Poliermittel für Metalle gekauft. Herr ­Pekarek: «Ich bitte um 5 Euro 90, und alles blitzt und glänzt.» Herr Wolschek: «Werma seng.»

Nachdem der Herr Magister seine Drogerie 1908 an den jetzigen Standort verlegt hat, wurde das Geschäft 1929 von Herrn Pekareks Vater übernommen. In dieser Zeit zählte auch Sigmund Freud zu seinen Kund_innen. Der bekannte Psychiater litt an Krebs und benötigte diverse Schmerzmittel, nahm Kokain und Cannabis. Cannabis steht auch heute noch auf einer der vielen Laden, die mittlerweile jedoch anderes enthält. Pekarek junior folgte seinem Vater 1964. In den 70ern, in den goldenen Zeiten, hatte er drei Angestellte. Allein über diese könnte der Chef endlos Geschichten erzählen. Der Vater hatte sich noch gegen weibliche Mitarbeiter verwehrt, weil diese «nur Unfrieden stiften» würden. Sein Nachfolger hatte jedoch nichts gegen weibliche Angestellte. Da gab es «die Hübsche, die Andrea», und auch die Brigitte mit den naturgoldenen Haaren war eine Fesche, nach der sich jeder umgedreht hat. Einmal wäre sie nicht zur Arbeit erschienen. Herr Pekarek hat zuhause angerufen, der Stiefvater hat abgehoben und erklärend festgestellt: «Die Brigitte nimmt ein Bad.» Herr Pekarek muss heute noch herzhaft lachen bei dieser Anekdote.

Herr Pekarek ist mittlerweile 78. Warum er immer noch arbeitet? «Mir macht’s Spaß. I mach weiter, weil erstens geht’s, zweitens weil i da hineingeboren bin und drittens weil i bled bin.»