Reiten auf der Radiowellevorstadt

Visite im Amateurfunkzentrum

Funkamateur_innen schicken ihre Signale zum Mond, in Wolken und Meteoritenschauer und können so rund um den Erdball kommunizieren. Oft sprechen sie übers Wetter. Eine Reportage aus der Welt des Amateurfunks von Julia Grillmayr.

Seit meiner Kindheit ist das kleine Radio-Gerät meines Vaters ein magisches Objekt für mich. Das graue Kastl sieht nach nichts aus, aber bei jedem Einschalten tun sich Welten auf – und zwar buchstäblich. Als ich etwas älter war, erklärte er mir nämlich, dass ebenjenes Radiogerät ein Weltempfänger ist. Das heißt, es kann nicht nur die Frequenzen der Ultrakurzwelle empfangen, auf denen die Wiener Radiosender senden, sondern auch Kurzwelle. Auf diesen etwas längeren elektromagnetischen Wellen senden internationale Radiostationen in die ganze Welt. Heute wird das nur noch in geringem Umfang genützt. Der ORF etwa sendet täglich 75 Minuten Ö1 International. Reisende Österreicher_innen, die die gewohnten Nachrichten nicht missen möchten, können diese mittels Kurzwellenempfänger weltweit hören.

Hat man einen Weltempfänger, eine gute Antenne und etwas Glück, hört man neben solchen Sendungen auf der Kurzwelle auch knisternde Stimmen, die in mysteriösen Zahlen- und Buchstabenfolgen kommunizieren. Dann ist man auf den Frequenzbändern des Amateurfunks gelandet – die Spielwiese der Funkamateur_innen. Die Neugierde, was es mit diesem Reich der Kurzwelle, seinen Bewohner_innen und Regeln auf sich hat, führte uns nach Wiener Neudorf. Dort befindet sich mitten im Industriezentrum und wegen der Antennen am Dach unschwer erkennbar, das Amateurfunkzentrum des Österreichischen Versuchssenderverbandes (ÖVSV). Wir treffen dort Michael Zwingl, den Präsidenten des ÖVSV.

Generöses Geschenk.

Die Geschichte des Funkens ist eine relativ junge. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Radiowelle als Mittel zur Kommunikation entdeckt. Die ersten Funkgeräte wurden auf den Schiffen der Marine installiert. Sie funkten auf Mittel- und Längstwelle. Den Rest überließ man den Funkamateur_innen. «So hat man uns generös in einer Handbewegung alle Frequenzen geschenkt, die damals als nicht nutzbar galten, den gesamten Kurzwellenbereich», erzählt Zwingl. «Die Radiopioniere nutzten jede Minute, um ihre Geräte auszuprobieren und zu senden – daher heißen wir auch heute noch ‹Versuchssender›», erklärt Zwingl.

Es war der Amateurfunk, der daraufhin die besondere Eigenschaft der Kurzwellen entdeckte: Sie werden an der Ionosphäre reflektiert; das ist eine Schicht der Atmosphäre, die aus elektrisch aufgeladen Teilchen besteht. Während diese Schicht Radiowellen mit anderen Wellenlängen absorbiert, wirft sie die Kurzwellen auf die Erde zurück – und so überbrücken sie die Erdkrümmung und können über sehr weite Strecken geschickt werden. «Man kann sich die Ionosphäre wie eine Alufolie vorstellen, die rund um die Erde gespannt ist. Sie reflektiert die Kurzwellen zurück. Dann sind schon einmal 3000 Kilometer überbrückt. Wenn das noch nicht genug ist, können sie mehrere Sprünge machen», erklärt Zwingl. Manchmal wird die Welle im Zickzack wie ein Flummi zwischen Ionosphäre und Meer hin und her geworfen und kommt so rund um den Erdball.

In Anerkennung für diese bahnbrechende Entdeckung wurde der Amateurfunk als offizieller Funkdienst etabliert. «Wir dürfen ihn nicht zu kommerziellen Zwecken nutzen, aber haben viele Frequenzen zur Verfügung, auf denen wir experimentieren können», sagt Michael Zwingl. Und diese Spielwiese wird von der Amateurfunk-Community rege genützt. «Das geht von ganz einfachen bis zu sehr anspruchsvollen Experimenten», gibt Zwingl ein paar Beispiele: Manche wollen bestehende Geräte testen. Andere schicken ihr Signal zum Mond und lassen es dort reflektieren. Wieder andere bauen eigene Satelliten. «Kürzlich war eines der Highlights, dass wir über den Meteoritenschauer der Geminiden gefunkt haben.» Hier wurde das Signal von einem verglühenden Meteoriten zurückgeworfen. «Und zuletzt habe ich mit einem Parabolspiegel über eine Regenwolke in die Ukraine gefunkt», erzählt Zwingl weiter. Gesprächsweise erfahren wir dann noch, dass er einmal, im Stau stehend, über seine Funkanlage im Auto mit einem russischen Kosmonauten auf der Raumstation «Mir» gefunkt habe.

Kontaktaufnahme.

Im Amateurfunkzentrum in Wiener Neudorf hat sich inzwischen sein Sohn Florian Zwingl zu einer Funkstation gesetzt. Er zeigt uns, wie eine Kontaktaufnahme aussieht. Zuerst entscheidet er über die Richtung, in die er funken möchte. Mittels Computer können die Antennen am Dach der Station mit wenigen Knopfdrücken vom Schreibtisch aus bewegt werden. Wir hören einen schottischen Funkamateur, der mit einem Funker aus Litauen und dann einem Amerikaner spricht. Florian Zwingl wartet geduldig, bis sie fertig gesprochen haben. In dem internationalen Gespräch, dem wir zuhören, geht es – wie sehr oft im Amateurfunk – ums Wetter. Die Funkamateur_innen sprechen meist über Belangloses, einerseits weil es ihnen vordergründig nicht um den Austausch von Information geht, sondern um das Testen ihrer Antennen und Geräte. Andererseits ist für einen solchen Test das Wetter oftmals gar nicht belanglos, sondern für die Verbindung entscheidend.

Nun sind wir an der Reihe. Florian Zwingl startet die Kontaktaufnahme und sagt: «Oscar Echo Three Hotel Quebec» – OE3HQ in Amateurfunk-Buchstabierweise, das Rufzeichen der ÖVSV-Station. Das Rufzeichen ist so etwas wie der Reisepass in der Welt des Funkens. Jede_r Funker_in bzw. jede Station ist so identifiziert. Der Schotte antwortet. Zwingl buchstabiert seinen Namen und fragt: «QSL?», eine Aufforderung den Empfang zu bestätigen und den eigenen Standort zu nennen. Der Gesprächspartner heißt John und funkt aus Glasgow. «Five and nine here in Vienna», sagt Zwingl ins Funkgerät; fünf und neun, das sind die Abkürzungen für «gut und in hoher Lautstärke hörbar». Zum Verabschieden wünschen sich beide 73. Eine weitere Abkürzung, die aus dem Morse-Alphabet kommt und so etwas wie «Schöne Grüße» heißt.

«QSL bedeutet Empfangsbestätigung», erklärt Michael Zwingl und führt uns weiter in ein Nebenzimmer des Amateurfunkzentrums. Hier leisten zwei Vereinsmitglieder eine Freiwilligen-Arbeit, die für den Amateurfunk zentral ist, obwohl sie weder Antennen noch sonstige Funktechnik beinhaltet. Sie sortieren tausende und abertausende Postkarten. «Bei einer gelungenen Funkverbindung ist es üblich, sich eine QSL-Karte zu senden», sagt Zwingl. Ein halbes Jahr nach dem Funkkontakt, bekommt man, über die jeweiligen Amateurfunk-Clubs vermittelt, eine kleine Karte, wo verzeichnet ist, wer mit wem über welches Equipment gefunkt hat. Diese Karten sind nicht nur informativ, sondern sehen oft großartig aus. Viele Funkamateur_innen gestalten ihre eigenen Karten, machen ein hübsches Layout, das zum Beispiel ihre Funkanlagen zeigt. Die QSL-Karten sind gleichermaßen Visitenkarten und Souvenir.

Nachrichten senden.

Meistens als Freizeitbeschäftigung verstanden, hat der Amateurfunk als offizieller Funkdienst auch gewisse Pflichten, etwa im Not- und Katastrophenfall. «Wir verfügen über Möglichkeiten, mit einfachsten Mitteln Nachrichten zu senden – wenn Mobiltelefonie und Internet nicht mehr funktionieren», erklärt Michael Zwingl. Deshalb und auch weil auf einer Frequenz immer nur eine Person senden kann, muss der Funk genau geregelt werden. Zuhören darf jeder, aber um aktiv zu funken, muss eine Prüfung bei der Fernmeldebehörde abgelegt werden.

Man muss darin rechtliche Grundlagen lernen und nachweisen, dass man die Technik beherrscht. «Die Funkamateur_innen sind die einzige Gruppe, der es gesetzlich erlaubt ist, an Funkgeräten herumzubasteln. Um das machen zu können, ohne dass die Flugzeuge vom Himmel fallen oder andere Funkdienste gestört sind, braucht es fundierte Kenntnisse in Elektronik und Nachrichtentechnik, bis zum Blitzschutz», sagt Zwingl. Drittens, ist eine gute Betriebstechnik zu lernen. Das sind die Manieren am Funk – etwa ausreden zu lassen, damit es nicht zu Störungen kommt.

Florian Zwingl legte diese Prüfung mit neun Jahren ab. Was ihn am Amateurfunk reizt, ist der Wettbewerb. Bei internationalen Contests geht es darum, in einer gewissen Zeit möglichst viele Funkkontakte herzustellen, etwa zu Funkstationen auf Inseln oder Leuchttürmen. Eine weitere sportliche Disziplin des Amateurfunks ist die «Fuchsjagd», wo auf einem großen Terrain mehrere versteckte Sender gefunden werden müssen. Wie gesagt, mir schien die Bezeichnung «Weltempfänger» für mein kleines magisches Radio-Kastl immer sehr treffend. Aber die Vielfalt der Kurzwellen-Welt ist doch überraschend.

Dieser Text basiert auf der Radio-Reportage Alles Funkt der Sendereihe Superscience Me – Wissenschaft und Fiktion, auf Radio Orange 94.0. Zu finden unter: o94.at/radio/sendereihe/superscience-me

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