Stauraum auf Zeitvorstadt

Aufheben oder weggeben? Wer gleichzeitig zu wenig Wohnraum zur Verfügung hat, für die oder den könnte die Lösung Selfstorage heißen. Mit diesem Phänomen beschäftigt sich die aktuelle Ausstellung des Wien Museums im MUSA, die Franz Indowa besuchte.

«Man kauft sich nicht nur zusätzlichen Raum, man kauft sich auch Zeit, um nachdenken zu können und Zwischenzeiten zu überbrücken», sagt Peter Stuiber, der gemeinsam mit Martina Nußbaumer die Ausstellung Wo Dinge wohnen – das Phänomen Self-

storage kuratiert hat. «Viele Menschen nehmen Selfstorage-Abteile, um nicht gleich entscheiden zu müssen, was mit den Dingen passieren soll.»

Die Selfstorage-Flächen haben in Wien in den letzten 20 Jahren stark auf insgesamt rund 100.000 Quadratmeter Lagerfläche zugenommen. Das ist das Ergebnis mehrerer parallel laufender Trends: Während der Wohnraum in Wien immer knapper und teurer wird und sich manche darob freiwillig von Dingen trennen, sammeln andere alles Mögliche an – von Gewand und Büchern bis zu Schallplatten und Musik-CDs. Noch nie wurden von einzelnen Menschen in der westlichen Welt so viele Dinge besessen wie heute, nämlich rund zehntausend pro Frau und Mann.

Eine Haltung – das grenzenlose Sammeln – könnte in Richtung Messie-Status führen, die andere mündet konsequent vorangetrieben in ein gleichsam aufgeräumtes Leben nach dem Motto: Wozu mehr als 100 Dinge besitzen? Da die Größe des Wohnraums pro Person in Wien zum ersten Mal in den letzten fünf Jahrzehnten rückläufig ist, werden immer mehr Häuser und Hallen gebaut, in denen die Dinge «wohnen», die wir zwar besitzen, aber nicht mehr bei uns haben wollen oder können. Außerdem im Trend: Die Japanerin Marie Kondo zeigt in ihren Videos, wie man die Socken platzsparend zusammenlegt und seine Besitztümer reduziert.

Umbrüche in Biografien.

Die aktuelle Ausstellung im MUSA porträtiert in Video, Bild und Text sechs Selfstorer: Da ist etwa der Musiker und Komponist Georg Graewe, der Musikermaterial wie CDs ablagert. Einer legt seine Plattensammlung auf diese Weise zur Seite, ein anderer Alltagsgegenstände und Bücher aus der DDR. Oder Kinderspielzeug beziehungsweise Opernkleider. All diese Gegenstände sind für die Zeit der Ausstellung in Vitrinen im MUSA als Leihgaben wiederum zwischengestored. «Selfstorage-Räume können sehr berührende Räume sein, weil sie sehr viel über Biografien erzählen», sagt Martina Nußbaumer und erinnert sich an einen Mann, der die gesamte Wohnungseinrichtung seiner verstorbenen Eltern in eine Halle verfrachtet hat – er konnte sich nicht sofort davon trennen.

Oft befinden sich keine wertvollen Dinge im Selfstorage, sondern das, was bei einem Umbruch im Leben gerade noch gerettet werden konnte. «Selfstorage ist ein Wirtschaftszweig, der von einer erhöhten Beschleunigung in allen Lebensbereichen, von veränderten Lebensstilen und Einschnitten in Biographien profitiert», schreibt die Ethnologin Petra Beck, die dieses Phänomen wissenschaftlich erforscht hat, im Katalog zur Ausstellung. Diese Einschnitte passieren entlang der Linien Umzug wegen eines neuen Arbeitsplatzes oder Verlust von Arbeit, Scheidung, Auszug oder Todesfall in der Familie. In diese Erzählung reiht sich allzu oft Obdachlosigkeit ein. Das Thema Wohnungslosigkeit habe die Recherche zur Ausstellung begleitet, erzählt Kurator Stuiber: «Wohnungslosigkeit ist auf jeden Fall mit Selfstorage verzahnt. Selfstorage ist nicht nur ein Phänomen für Leute, die viel zu viele Dinge haben, sondern auch für Menschen, die eigentlich nur noch ganz wenig besitzen.» Obdachlose würden hier mitunter Kleider zum Wechseln lagern. Der Preis für diesen kleinen Luxus ist hoch. «Wir sind bei der Recherche auf Preise von acht bis 40 Euro pro Quadratmeter und Monat gestoßen», erzählt Martina Nußbaumer und berichtet weiter, dass sich Klient_innen von sozialen Einrichtungen das mietbare Abstellkammerln oft nicht leisten können: Europaweit sind die Abteile durchschnittlich 3,77 Quadratmeter groß und kosten im Jahr 987 Euro.

Konsequent zusammengedacht hat der Youtuber craft007 Obdachlosigkeit und Selfstorage und in einem Video dokumentiert, wie er eine Storage-Box in einen Wohnraum umgewandelt hat. Ob die Box bewohnt wurde und das Video authentisch ist, können auch die Kurator_innen nicht sagen, es ist aber in der Ausstellung zu sehen.

Selfstorage als Projektionsfläche.

Die Ausstellung inkludiert zudem eine Mitmachstation: Hier kann die Besucherin oder der Besucher selbst eine kleine Kartonschachtel zusammenbasteln und außen draufschreiben, wofür sie oder er mehr Stauraum bräuchte: «Mein Fahrrad – weil es in meinem Haus keinen Abstellplatz gibt» steht da oder: «Erinnerungskiste» beziehungsweise «Bücher/CDs». Ein Witzbold hat «Meine Frau» notiert, eine andere Person schreibt vieldeutig: «Mein altes Leben» und spricht damit Selfstorage-Boxen als Projektionsfläche an. Von der Frage, was sich hinter den Wänden des angemieteten Abteils befindet, leben Reality Soaps wie «Storage Hunters» – dabei werden unbetreute Stauräume und deren Inhalte an Altwarentandler_innen verscherbelt; immer in der Hoffnung auf einen Piratenschatz oder auf andere weggesperrte Preziosen, die in der Folge an den nächsten potenziellen Messie mit Gewinn weiterverkauft werden könnten.

Auch in Filmen, etwa in Das Schweigen der Lämmer – ein Ausschnitt dazu wird in der Ausstellung gezeigt –, sind Selfstorages zuweilen zu sehen: abwechselnd als Ablageplatz für Leichen, Drogen oder kriminell erworbene Gelder. Selfstorage-Boxen sind für manche so etwas wie der letzte Rückzugsort, ein kleines Stück Freiheit in einer instagramisierten Welt, in der alles öffentlich geteilt wird. «Selfstorage-Abteile sind intime Räume», sagt Peter Stuiber. «Man braucht das Vertrauen der Menschen, um überhaupt hineinschauen zu dürfen.» Zwischen den uniformen Storage-Wänden ist neben den gelagerten Dingen übrigens nur das Vorhängeschloss individuell.

Kaum Keller und Dachböden.

Selfstorage kommt aus den Vereinigten Staaten, im Bundesstaat Texas wurden die ersten Stauräume im Jahr 1964 vermietet. In den 1980er-Jahren schwappte die Welle nach Europa über, Großbritannien ist hier Spitzenreiter mit 0,06 Quadratmetern Selfstorage-Fläche pro Einwohner_in. Zum Vergleich: In Österreich sind es statistisch gerade mal 0,01 Quadratmeter, in den USA dagegen 0,87 Quadratmeter pro Nase.

Warum Selfstorage in Wien weiterhin zunehmen wird, hängt auch mit Architektur und Stadtentwicklung zusammen. In Neubauten sind oft keine Kellerabteile oder Abstellräume eingeplant und bei Dachböden – früher der Hort so mancher alten Kiste mit überraschendem Inhalt – denkt man heute lieber an teuren Wohn- als an Stauraum; bringt mehr Geld, klar.

Für das Erscheinungsbild einer Stadt hat der Selfstorage-Boom Konsequenzen, denn immer öfter werden auch leerstehende Erdgeschosse in Lagerräume umgewandelt – das führt zu breitflächig zugebauten Fenstern und Fassaden. Die wachsende Mobilität spielt den Selfstorage-Betreiber_innen in die Hände. «Wir haben zusammengezählt, dass fast zwanzig Prozent der Wiener Bevölkerung im Jahr umziehen», sagt Kuratorin Nußbaumer, dabei werden gerne mal ein paar Kisten zwischengelagert. Vielleicht wird man in Zukunft also nicht mehr aus dem Koffer, sondern sprichwörtlich aus der Kiste leben, wer weiß.

Noch bis 7. 4. 2019

Im MUSA, der temporären Außenstelle des Wien Museums

1., Felderstraße 6–8

www.wienmuseum.at