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Tagebuch einer Befreiungsaktion. Teil 2

Die Medizinstudentin Barbara aus Wien war im Jänner 1979 auf einer USA-Rundreise in die Fänge der Mun-Sekte in San Francisco (SF) geraten. Ihre Eltern, Johanna und Roman, und Barbaras Freund Fritz reisten, nachdem sie davon erfahren hatten, kurz entschlossen nach San Francisco, mit der Absicht, Barbara nach Österreich zurückzuholen. Denn je länger jemand Mitglied der Mun-Sekte ist, desto schwieriger sei es, unbeschadet wieder davon los zu kommen, hatten sie erfahren. Das Vorhaben war heikel, und viele Befreiungsaktionen anderer waren bereits gescheitert. Jenny, eine einundzwanzigjährige Studentin aus Philadelphia, die vier Jahre vorher ein Jahr bei Barbaras Familie als Austauschstudentin verbracht hatte, kam ebenfalls mit nach SF.Dienstag, 31. März 1979



Jennifer holte uns vom Flughafen ab. Wir schliefen bei den Großeltern. Alles war wie damals bei unserem ersten Besuch. Sehr, sehr nett! Wir redeten lange, um halb 11 Uhr abends gingen wir todmüde ins Bett. Wir lasen die ganze Zeit Bücher, Bücher über die Mun-Sekte, Bücher von Ex-Munies, um uns Ratschläge zu holen, um ja nichts falsch zu machen. Um halb 5 waren wir wieder wach. Nach dem Frühstück fuhren wir wieder zum Flughafen. Und weiter gings, sechs Stunden Flug nach Kalifornien. Jenny flog mit uns. Sie sollte die ersten Kontakte zu den Munies herstellen. Denn sie durften nicht Verdacht schöpfen, dass wir im Land sind. Oft, so haben wir gelesen, war es schon vorgekommen, dass die Betroffenen kurzfristig in ein anderes Zentrum oder in ein anderes Land verlegt wurden, um den Kontakt mit Familienmitgliedern zu vereiteln. Ankunft in San Francisco, 12 Uhr Ortszeit.

Sofort riefen wir Gary Scharff (Ex-Munie, der Betroffene beim Ausstieg unterstützt und ihnen hilft, die negativen Folgen der Gehirnwäsche zu verarbeiten) an. Die Kontaktadressen von Gary Scharff und Evelyn Einstein, der Enkelin von Albert Einstein, hatten wir von Dr. Valentin (Sektenexpertin aus Wien) erhalten. Sie meinte, die beiden könnten uns in SF weiterhelfen.

Inzwischen haben wir aus Büchern erfahren, wie gefährlich es sei, junge Menschen da rauszuholen. Das Allergefährlichste sei, sie mitzunehmen, ohne dass ihnen jemand hilft, mit ihnen diskutiert und die Schuldgefühle von ihnen nimmt. Es wird ihnen ja grundsätzlich freigestellt, zu entscheiden, ob sie bleiben oder nicht. Was ist es, was es ihnen so schwer macht zu gehen? Da ist noch so vieles, das ich nicht verstehe.

Gary riet uns, zunächst ein unauffälliges Quartier zu besorgen. Er würde dann dorthin kommen, um alles Weitere mit uns zu besprechen. Wir fanden eine günstige Pension in der Market Street, also fast im Zentrum. Die Einrichtung war scheußlich, Franz wollte gleich wieder gehen. Aber es war sehr sauber, und es war ja nur für ein paar Tage, also blieben wir. Wir hatten leider kein Telefon im Zimmer. So mussten wir immer zu einem kleinen Raum neben der Rezeption, dort gab es eine Telefonkabine. Es waren nur junge Männer da beschäftigt, die waren sehr, sehr nett. Sie servierten uns immer Tee und Cookies. Sie haben schließlich mitgekriegt, warum wir dort sind, weil wir ja den ganzen Tag telefonierten und bange warteten.

Mittags kamen Evelyn und Gary zu uns und wir besprachen die weitere Vorgehensweise. Sie meinten, wir würden Barbara sicher zu sehen bekommen. Aber wahrscheinlich wird sie nicht mit uns gehen wollen. Es sei wichtig, freundlich, lieb und nett zu den Munies zu sein, weil sonst Barbaras Widerstand, mit uns zu gehen, wachsen würde. Auf keinen Fall dürften wir sie gegen ihren Willen kidnappen. Erst vor 14 Tagen seien zwei Mädchen von ihren Eltern entführt worden. Die schalteten die Polizei ein, eine ging wieder zurück und sagt jetzt im Prozess gegen die Eltern aus. Es war schrecklich, das alles zu hören, nicht zu wissen, wie es Barbara geht, was mit ihr bis jetzt passiert ist. Es war wirklich eine Zeit der Prüfung. Unsere Barbara war doch immer so ein natürliches Mädchen. Wie war sie jetzt? Tausend Fragen, keine Antwort.

Immer wieder riefen wir im Camp an, den ganzen Tag, doch nie war sie erreichbar. Um halb ein Uhr nachts gingen wir schlafen. Wir hatten eine andere Telefonnummer bekommen, wo wir um 9 Uhr früh anrufen sollten.

Donnerstag, 2. April

Nach dem Frühstück riefen wir wieder an. Sie ist auswärts, hieß es, am Abend wird sie wieder da sein. Jenny wurde gefragt, wer sie sei und von wo sie anrufe. Jenny sagte, San Francisco, aber sie hätte kein Telefon im Zimmer, daher müsse sie von einer Telefonzelle anrufen. Da sagte Lionel, sie solle doch am Abend in die Bush Street (Mun-Zentrum in der Stadt) kommen, um dort alles kennen zu lernen. Dort könne sie auch mit Barbara telefonieren. Also jetzt hatten wir endlich etwas Konkretes. Aber was tun bis am Abend? Wir beschlossen, uns die Stadt anzusehen. San Francisco ist wunderschön angelegt. Viel Grün, Bäume, Parks etc. Wir gingen die Market Street hinunter, schlenderten durch die Altstadt. Mittags aßen wir in einem Lokal Pastrami-Sandwiches, bei der Bestellung haben wir endlich einmal wieder viel gelacht. Der Barmann nahm die Weckerl, schnitt sie in der Mitte durch, gab Senf drauf, viel Zwiebel für Fritz, keine Zwiebel für mich, für Jenny wenig, Schinken für alle, o. k., Tomaten und grünen Salat, für Fritz nicht, für uns schon, dann Käse, für Jenny nicht, für Fritz und mich o. k., Mayonnaise ich nicht, Jenny wenig, Fritz extra viel und noch in einem Schüsserl extra dazu. Der Arme wusste schon nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.

Danach zur Golden Gate Bridge. Die Brücke ist ganz, ganz toll. Fritz schaute immer nur den Wellenreitern zu. Der Blick von der Brücke in die Stadt herrlich! Das hat uns wenigstens ein wenig abgelenkt. Unter der Brücke ist ein Fort, wie man es auch vom Fernsehen kennt. Dann der Blick zur Insel Alcatraz sehr schön! Und die Vegetation, die begeisterte mich sehr, so viele Blumen, Sträucher, alles in der vollen Blüte. Und diese herrlichen Bäume, so majestätisch. Schließlich fuhren wir schnell zurück ins Hotel, denn die Zeit drängte. Jenny musste bald aufbrechen. Sie hatte schon große Angst vor dem Abend. Allein in die Höhle des Löwen. Angst, dass sie dort auch nicht mehr rauskommt. Wir versuchten, sie zu beruhigen und aufzubauen. Für sie war das alles sicher eine große Prüfung. Nach dem Essen setzten wir uns wieder zum Telefon und warteten, ob entweder Jenny oder Barbara anrief. Doch nichts. Die Stunden gingen dahin schlichen dahin , bis Jenny um 22 Uhr wiederkam. Sehr erleichtert, dass sie wieder bei uns war! Sie hatte Barbara nicht erreicht, nur mit einigen Munies dort geredet. Wir riefen wieder in Camp K (großes Mun-Zentrum außerhalb von San Francisco) an. Dort hieß es, sie sei da, doch sie könne nicht gesucht und zum Telefon geholt werden, das Camp sei zu groß.

Also riefen wir Gary an: Was tun? Er sagte, wenn wir sie telefonisch nicht erreichen können, dann gibts keine andere Möglichkeit als zum Camp hinzufahren und unangemeldet, bevor sie aufsteht, vor der Tür zu stehen. Am besten gleich morgen. Um 7 Uhr früh müssten wir dort sein. Da war es bereits ein Uhr nachts. Roman und Jenny fuhren mit dem Taxi zum Flughafen, mieteten ein Auto und kamen um zwei zurück. Ich konnte nicht schlafen. Immer schaute ich auf die Uhr. Soll ich die anderen schon wecken? Oder noch nicht? Um halb vier weckte ich sie auf. Ich packte noch die Koffer, denn das war uns klar: Wenn wir Barbara mit uns hätten, dürften wir nicht mehr hierher zurückkommen. Es war Viertel fünf, als wir wegfuhren. Zweieinhalb Stunden Fahrt hat man uns gesagt um halb sieben waren wir beim Camp. Nun sollte der wohl schrecklichste Tag meines Lebens beginnen.

Das Gemeinschaftsgebet

Barbara konnte ihr Tagebuch, als sie die Sekte verließ, nicht mitnehmen. Sie schrieb in den Wochen danach einige Erlebnisse und Reflexionen auf:

Trevor begleitete mich in den ersten viereinhalb Wochen überall hin. Nur ins WC konnte er mich nicht begleiten, wäre er ein Mädchen, hätte er auch das getan. Er war mein ständiger Schatten. Das ging mir oft auf die Nerven. Ich sagte ihm, dass mir das nicht passte, aber es nützte nichts. Gleichzeitig wurde ich dann immer wieder davon abgelenkt durch das große Programm, das wir täglich hatten. Es war andererseits auch immer jemand da, wenn man Schwierigkeiten hatte, sich zurechtzufinden, oder wenn man einfach nicht mehr wollte. Dann war er da und redete mir zu.

Als ich zum ersten Mal beim Gemeinschaftsbeten mitmachte, war ich etwas erschrocken. Es lag so etwas Beklemmendes im Raum. Die Burschen standen links hintereinander, die Mädchen rechts. Noah begann laut mit seinem Gebet. Dann fingen die anderen auch an. Es wurde gejammert, geweint, man boxte sich selbst, damit man ein besserer Mensch werde (und auch damit man nicht einschliefe). Man beschuldigte sich selbst, dass man zu wenig tue für das Ziel. Etwa 50 Leute neben- und hintereinander, laut und emotional so etwas schreckt einen beim ersten Mal. Aber man gewöhnt sich dran, und gleichzeitig wächst das Gefühl, man gehöre nun auch zu den Insidern.

Der Prozess der Gehirnwäsche

Der 19-jährige Deutsche Oliver v. Hammerstein war ungefähr zur gleichen Zeit in einem kalifornischen Unification-Camp Muns. Er schrieb ein Buch über seine Erlebnisse (Ich war ein Munie, München 1980), das detailliert den Prozess der Gehirnwäsche beschreibt:

Die einseitig manipulierte Atmosphäre in den (Einstiegs-)Workshops, in welcher die Opfer von jeder normalen Umwelt abgeschlossen sind, beraubt den einzelnen seiner Kritikfähigkeit. Alle Neuankömmlinge werden sorgfältig voneinander getrennt und bekommen eine Bezugsperson der VK (Vereinigungskirche) zugeteilt, die sich mit aller Kraft dafür einsetzt, dass ihr Schützling an allen Aktivitäten teilnimmt, sich wohlfühlt, singt und klatscht, sich auf keinen Fall in ein Gespräch mit anderen Neuankömmlingen einlässt, die sich kritisch mit dem Geschehen auseinandersetzen. Die VK-BegleiterIn gilt als Schutzengel zur Beschattung und Beeinflussung des geistigen Kindes und zur Abwendung sämtlicher kritischer, negativer Regungen Telefongespräche mit Freunden und Verwandten wurden verhindert, negative Diskussionen unterbrochen, bei den Vorträgen konnten keine Fragen gestellt werden, bei den anschließenden Gruppengesprächen wurde nur nach positiven Empfindungen gefragt. All dies geschah sorgfältig versteckt unter dem Deckmantel der Besorgnis, der Liebe, der allseits angestrebten Harmonie und Einheit Die Workshops waren erstaunlich harmonische, gefühlsstarke Gruppenerlebnisse, die die persönlichen Probleme des einzelnen als geringfügig und lösbar erscheinen ließen und in vielen Gemütern ein rauschartiges Glücksempfinden hervorriefen.