Nach dem Mittagspapperl das VerdauungshatscherlDichter Innenteil

Lostage, Zehnter Neunter Nullsechs

Nach dem Essen sollst du flott marschieren, um hineingestopfte Kalorien zu verlieren. Zwar ist eine derbere Version dieses Spruches im Umlauf, wo die Frau zur Sexpuppe degradiert wird, aber so was weise ich dezidiert von mir, ist auch mein Verhältnis zum anderen Geschlecht nicht ganz friktionsfrei. In der vorliegenden, sozusagen politisch korrekten Form, habe ich mich heute nach üppig ausgefallener Speisenaufnahme dazu ermuntert, was gegen den Altersspeck zu unternehmen. Ich bin auch eher ein Spagettisultan, aber mit den Jahren geht das Wohlstandsbäuchlein immer schwerer weg. Wenn ich mich normalerweise zuhause selbst bekoche, vergönne ich mir ein genussvolles Mittagsschläfchen, ehe ich per Rad oder zu Fuß meinen Bewegungsdrang befriedige. Heute war alles ganz anders, denn eine Gruppenschwester vom Abstinenzverein und ich wurden von der Leiterin zum Mittagessen ins schöngelegene Häuserl am Roan eingeladen. Als zusätzliches Dankeschön nebst anständiger Entlohnung dafür, dass ich während ihres Familienurlaubes Haus und Garten nahe der Höhenstraße betreue. Das heißt vor allem Rasen mähen und die zurückgelassenen Haustiere, zwei Mauserl und drei Schildkröten, versorgen. Die zweite Gästin hatte mich manchmal in dieser ruhigen Idylle besucht, um sich genussvoll in der Sonne zu räkeln, während ich hackelte. Dies sei ihr schon deswegen verziehen, weil die Arme schon lange an ihrem linken Fuß laboriert und deswegen öfters unters Messer muss. Außerdem war ja nicht sie die Beauftragte, immerhin hatte sie mich in dieser Zeit stets unterhalten.

Nun waren wir drei also an diesem sonnigen Tag im Garten des beliebten Ausfluglokals recht fröhlich beisammen, wenngleich an einem Schattentische ob der Argumentation der Damen, es wäre anderswo wegen zahlreicher anderer Gäste kein Platz an der Sonne für uns.

Bald mit einem Getränk versorgt, ließ indessen das Essen eine Stunde lang auf sich warten! Der ältere Kellner entsprach haargenau dem Typ, welchen wir in unserem schrägen Hardchor namens Stimmgewitter besingen. Man sah ihm an, dass ihn die vielen Jahre des Bedienens schon total verdrossen machten. Aber die lange Wartezeit machte meinen Begleiterinnen überhaupt nichts aus, wo sie sich doch eine Menge zu erzählen hatten. Da verordnete ich mir lieber Sendepause und erfuhr so manch unbekanntes Detail aus dero Biografie.

Endlich war das schmackhafte Papperl da und bald verzehrt. Dessert mit Kaffee zum Abschluss ließen mich schließlich leise und zufrieden grunzen. Jetzt wurde die Gastgeberin ungeduldig, sie wollte bezahlen, weil sie nachmittags noch was vorhatte. Seine Hoheit, Herr Ober aber ließen sich lange bitten, bis sie sich gnädig dazu herabließen. Waren ihm Trinkgeld schon wurscht?

Fauler Arsch in Bewegung


Doch einen Verdauungsspaziergang wollte sich unsere Vereinsmutter nicht entgehen lassen, was mich kurzfristig in helle Begeisterung versetzte. Denn die zwei wohlproportionierten Damen kamen nur im Zeitlupentempo vorwärts, außerdem hatten sie noch lange nicht alle Themen abgehandelt. Ich verabschiedete mich ziemlich abrupt und legte einen Start hin, der einem neunzigjährigen Läufer alle Ehre gemacht hätte! Zu meiner Entschuldigung war ich ja festmäßig ausgerüstet, mit weißem Hemd und Bundfaltenhose sowie Lederschuhen. Es gibt da einen herrlichen Weg oberhalb der Vororte Salmannsdorf und Neustift mit ein paar reizenden, alten Häusern durch die Weinberge der Gegend. Den bis zur Schnellbahnstation Oberdöbling, eine starke Stunde von der Höhenstraße entfernt bin ich schon oft gegangen, wenn ich bei der Vereinsmutter zu tun hatte. In entgegengesetzter Richtung habe ich es einmal mit dem Rad versucht, was hauptsächlich bergauf schieben bedeutet. Dafür dann die Talfahrt stadteinwärts, da flitzt das Rad alleine, und wäre die Gegend vor der Donau nicht total verbaut, hätte ich ungehindert in sie reinfliegen können.

Ich marschierte also möglichst flott durch die schöne Gegend, wo auch Denkmäler an Pest- und Türkenbelagerung erinnern, oben Wald, unten Tal. Das erinnert mich ein bisserl an meine Knabenheimat Weinviertel mit ihren sanften, ausladenden Hügeln, wo es zwar weniger Bäume, aber ebenso viele Weinberge gibt.

Und dann, auf der Höhe des Hackenberges, lag plötzlich Wien vor meinen Füßen wie eine riesige, weißgraue Märchenstadt, noch ohne Lärm und Gestank.

Selig und motiviert kam ich zuhause an, hatte großen Appetit bekommen, bald wieder den wunderbaren Naturgürtel um Wien aufzusuchen, eine wohltuende Besonderheit, die nicht viele Metropolen haben! Man ist ja schnell draußen und drinnen in den grünen Armen von Mutter Natur, ein Öffifahrschein muss auch für den Armen drin sein, um seinen und den zivilisatorischen Scheiß für Stunden zu vergessen. Auch mein Rad will wieder aktiviert werden, es scharrt förmlich mit den Hufen bei solchem Prachtwetter. Aber ich bin doch so ein komischer Typ, dass ich nach anfänglicher Begeisterung dann immer wieder urviele Ausreden habe, meinen faulen Arsch in Bewegung zu setzen.

Gewiss bin ich an diversen Projekten beteiligt, siehe Augustin, aber zusätzlich verzettle ich mich gerne in vielerlei Erledigungen, die ich mir mehr einbilde, als dass sie nötig sind.

Da ist wohl eine Denkkorrektur bei mir vorzunehmen, denn es ist eine erstaunliche Tatsache, dass ich nach Wanderungen und Radtouren so was von ausgeglichen und ruhig bin, dass mir die meisten meiner Probleme und Sorgen lächerlich erscheinen. Na schön, für heute bin ich froh über dieses befriedigende Wandererlebnis und die nachklingende Phantasie wird mich gewiss bald wieder hinaustreiben!