Insolvenz-Hooligans auf der Hohen Wartetun & lassen

Die Vienna ist in der Krise

«Die Vienna», wie die Fans den First ­Vienna Football Club 1894 nennen, ist insolvent. Der älteste Fußballklub Österreichs hat sich zuletzt von einem einzigen, noch dazu dubiosen Sponsor abhängig gemacht. Martin Birkner über das Elend des Fußballkapitalismus.

Foto: Much

«Dei’ hohe Zeit ist lang vorüber, und auch die Höll’ hast hinter dir, vom Ruhm und Glanz ist wenig über …»: So beginnt Rainhard Fendrichs berühmt-berüchtigter patriotischer Schmachtfetzen. Dabei würde der Text eigentlich ganz gut zur Vienna passen: 1894 von Rothschild’schen Gärtnern gegründet, sechsmaliger österreichischer Meister und mittlerweile seit Jahrzehnten in der zweiten oder gar dritten Liga herumgrundelnd. Aber nicht nur ihre Geschichte macht «die Erstgeborene», wie sie von den Fans liebevoll genannt wird, inte­ressant. Spielt der Klub doch nach wie vor in der traumhaften Naturarena auf der Hohen Warte, auf der in den 1930er-Jahren 85.000 Zuschauer_innen dem österreichischen Wunderteam zujubelten. Außerdem wird bei der ­Vienna eine alternative Fankultur zelebriert, die sich auf das kreative und selbstironische Anfeuern des eigenen Teams beschränkt und auf Beschimpfungen der Gegner sowie rassistische und homophobe Rülpser verzichtet. «Insolvenz-Hooligans», schallte es zu Beginn der Frühjahrsmeisterschaft von den Rängen.

In meinen Träumen bist du Europacupsieger …

Finanzschwache Fußballklubs scheinen selbstverliebte, dubiose Geschäftsmänner besonders anzuziehen, und auch die Vienna kann ein Lied davon singen: 2014 wurde ihr die Lizenz für die zweithöchste Spielklasse verweigert, und sie musste wieder zurück in die Regionalliga. Auch damals hatte sich der Verein einem dubiosen Geldgeber, Herbert Dvoracek, ausgeliefert, der unter anderem mit manipulierten Glücksspiel-Anrufshows im Fernsehen sein Geld machte und im Zusammenhang damit sogar kurz im Gefängnis landete. Bereits 2009 berichtete der ­«Kurier» über eigenartige Geldflüsse aus Kasachstan – ausgerechnet aus dem Umfeld des 2015 unter äußerst mysteriösen Umständen ums Leben ­gekommenen früheren Botschafters Alijew.

Nach dem Schock von 2014 wurde Dvoracek von Richard Kristek als Präsident abgelöst. Dessen Sohn Martin war Geschäftsführer von Care Energy, einem deutschen Energiedienstleister mit negativer Presse aufgrund eigenwilliger Geschäftspraktiken. Als quasi alleiniger Sponsor (zuletzt wurden 98 Prozent aller Sponsoringeinnahmen von Care Energy bezogen) beglich er zunächst die Schulden des Vereins – und sicherte in der Folge den Spielbetrieb. Offensichtlich allerdings auf Kosten einer nachhaltigen Vereinsentwicklung: In der Ära Kristek wurde die gesamte Führungsmannschaft des Vereins ausgetauscht. Auch Spieler und Trainer wechselten in den letzten Jahren dermaßen schnell, dass keinerlei Kontinuität mehr herrschte. Als im Jänner dieses ­Jahres Martin Kristek nur 44-jährig unerwartet an einem Herzinfarkt starb, waren die Zahlungen von Care Energy bereits eingestellt, Kristek senior trat umgehend als Vereinspräsident zurück – und die ganze Dimension der ökonomischen Misere wurde schlagartig sichtbar.

… doch wenn ich aufwach’, fällt’s mir wieder ein …

Anfang März wurde die Insolvenz angemeldet und den Gläubiger_innen eine 30-prozentige Quote angeboten. Ob das durchgeht, steht noch in den Sternen. Vor der Tür steht wiede­rum angeblich eine «internationale Sponsorengruppe», die dem Verein das wirtschaftliche Überleben sichern soll. Auch eine Kampagne zum Gewinnen von Kleinsponsor_innen ist im Anlaufen. Es ist prinzipiell zu befürworten, dass sich der Verein nicht wieder von einem oder ganz wenigen großen Sponsor_innen abhängig machen will, ebenso deutet das mittlerweile gute Gesprächsklima mit dem Fanverein «Vienna Supporters» in die richtige Richtung. Die Spieler jedenfalls reißen sich trotz mehrerer Monate Verzug bei den Gehältern offenbar den Allerwertesten auf: Die ersten drei Spiele der Frühjahrssaison wurden mit einer Tordifferenz von 13:0 gewonnen, die Vienna spielt um den Meistertitel der Ostliga. Der Zwangsabstieg in die viertklassige Wiener Liga scheint dennoch unvermeidbar, so sieht es das Reglement des Österreichischen Fußballbundes nach einer Vereinsinsolvenz vor.

… spielst ganz woanders, in Liga drei

Das Problem, dass sich auch der traditionsbewussteste Klub den kapitalistischen Marktkräften ausgesetzt sieht, ist unüberwindbar. «Gegen den modernen Fußball» mit seinen Auswüchsen zu sein gehört zum guten Ton aktiver Fußballfans, auch der blau-gelben. Der Spielbetrieb in einer oberen Liga ist allerdings jenseits dieses modernen Fußballkapitalismus nicht zu haben. Halbwegs anständige Sponsor_innen, pünktlich bezahlte Spielergehälter in ausreichender Höhe sowie eine Einbindung der Fans «auf Augenhöhe» sind derzeit das höchste der Gefühle. Die Gerüchte über ein Engagement eines Salzburger Zuckerwasserkonzerns im Jugendbereich lassen allerdings nichts ­Gutes ­erwarten.